Auch wenn die Existenz von Geld und Kapital eine lange Geschichte hat, ist der Kapitalismus als gesellschaftliches Profit-Maximierungs-System relativ jung und so betrachtet eine Besonderheit in der Menschheitsgeschichte – auch wenn die ersten geprägten Münzen schon etwa 650 v. Chr. im damaligen Königreich Lydien, das auf dem Gebiet der heutigen Türkei lag, entstanden sind. Doch ein Zahlungsmittel allein macht noch keinen Kapitalismus aus.
Denn lange Zeit war nicht das Modell, das bis heute den Kapitalismus auszeichnet, prägend, sondern Sklaven und Leibeigene auf der einen Seite und eine feudalistisch etablierte Schicht auf der anderen.
Was ist Kapitalismus?
Im Kapitalismus wie er heute aktiv ist, gibt es zwei Akteure: Den Unternehmer, der mit Eigentumsrechten ausgestattet ist, als Inhaber und Maximierer des Kapitals und den freien Lohn-Arbeiter, der keine Produktionsmittel besitzt. Die Produktionsmittel sind also in Hand privater Investoren. Wohingegen der Arbeiter im Gegensatz zu früheren Zeiten frei ist aber wenig besitzt.
Was prägt den Kapitalismus?
Da das kapitalistische System darauf basiert, Profite zu erzielen und diese zunehmend zu steigern, was durch die Permanenz des „Wachstums“-Begriffs repräsentiert ist, ist der Kapitalismus ein Wirtschaftssystem der Kontraste, des asymmetrischen Ungleichgewichts und der Ungerechtigkeit, ein System, das Arm und Reich erzeugt und auseinanderdividiert. In diesem System, das hinein in die Gesellschaftsordnung wirkt, werden – wenn es korrekt funktioniert – mit Hochdruck Innovationen generiert, weil es einen hohen Konkurrenzdruck erzeugt und nur der Garant für immer weitere Profite ist.
Politik und Kapitalismus
Ohne das Einwirken der Politik und die Steuerung durch sie wäre der Kapitalismus weentlich korrupter. Während jedoch Herstellung, Handel und Tausch vergangener Zeiten schwerpunktmäßig zur Deckung des Eigenbedarfs dienten, ist der Kapitalismus eine Tauschwirtschaft, die zunehmend auf die Produktion für andere und den Export angelegt ist.
Gemeinwohl, Intrinsik und Kapitalismus
Dabei strebt das kapitalistische Wirken dananch, alles, dessen es habhaft werden kann, in einen finanziellen Mehrwert zu überführen. Aus Intrinsik (Absichtslosigkeit) oder aus der Solidargemeinschaft des Gemeinwohls wird eine Kapitalstruktur. Man sieht das etwa bei der Umwandlung von Landes- oder Staatsvermögen durch Privatisierungen. In Amerika sind weite Bereiche des öffentlichen Lebens und selbst der Institutionen privatisiert, etwa Sozialeinrichtungen, Schulen oder Gefängnisse. Das Ziel: Alles soll einen finanziellen Mehrwert bringen.
Ökonomik und Chrematistik
Aristóteles (384-322 v. Chr.) hatte zwischen der natürlichen „Ökonomik“ zur Deckung des Eigenbedarfs und der unnatürlichen „Chrematistik“ unterschieden, bei der Reichtum angehäuft wird. Ursprünglich waren viele Volkswirtschaften darauf ausgerichtet zu überleben und den eigenen Bedarf zu decken. Für den Kapitalismus sind Tausch und Export darüber hinaus entscheidend.
Künstler und Kapitalist
Der Kapitalist ist eigennützig und hat das permanente Ziel der Mehrwerterzeugung für sein Unternehmen, sein Produkt oder ggf. seine Aktien. Im Normalfall will der Kapitalist kompetent agieren, weil er ein Ziel hat. Sein persönlicher Einsatz ist also das Mittel zum Zweck der Profitmaximierung. Vergleicht man den Kapitalisten mit einem Künstler, dann könnte man sagen: auch der Künstler ist oft eine egozentrische oder egoistische Persönlichkeit aber sein Ziel sind Selbstausdruck und Selbstverwirklichung. Das künstlerische Handeln ist nicht Mittel zum Zweck sondern Mittel des persönlichen Ausdrucks, der zunächst intrinsisch ist, also absichtslos im Hinblick auf Materielles aus eigenem Antrieb heraus entsteht. So betrachtet, ist die Kunst das Gegenteil des Kapitalismus oder des materiellen Denkens. Die Kunst hält ihm im besten Fall den Spiegel von Absichtslosigkeit oder sogar Selbstlosigkeit vor.
Eigennutz und Selbstlosigkeit
Allerdings ist auch die Kunst wie viele andere gesellschaftliche Bereiche bis hin zu persönlichen Beziehungen zum Teil längst vom Kapitalismus durchwirkt und zum eigenen Markt mit hohen KaufSummen geworden, der immer neue Rekorde bei Auktionen generiert. Ein berühmtes oder ein zunächst vielversprechendes Kunstwerk ist ein Unikat und eignet sich witzigerweise gut als Investitionsobjekt mit garantierter Wertsteigerung wie kaum etwas Anderes am Kapitalmarkt. Denn einmaliger als etwa ein Ölbild oder eine Plastik geht es kaum. Dieser künstlerische Produkt-Individualismus steht im deutlichen Gegensatz zur oft massenhaften Produktionsorientierung im Kapitalismus und ist deshalb auch für Kapitalisten attraktiv. Auch deshalb gehört die private Kunstsammlung für Vermögende zum guten Ton. Eine solche Kunstsammlung mag aber auch Sinnbild für die Sinnleere des ausschließlich kapitalistischen Wirkens sein und bildet damit die tiefe Sehnsucht des Menschen nach Sinnhaftigkeit ab.
Kunst als antikapitalistischer Entwurf
So ist die Kunst als persönliches oder gar intimes Ausdrucksmedium in ihrem Urgrund unkommerziell. Denn das Bedürfnis, sich auszudrücken und in der künstlerischen Tätigkeit zu verwirklichen, hat nichts mit einem monetären Belohnungssystem zu tun. Das, wie auch der mögliche Drang eines Künstlers nach (öffentlicher) Aufmerksamkeit, können noch hinzukommen. Als Antrieb und Motivation der Kunst, wäre eine materielle Ausrichtung zu wenig. Inzwischen sind aber viele Grenzen eingerissen, auch die Grenze hin zur Kommerzialität. Werbegrafiker machen Kampagnen mit Kunstansatz im Sinne des Verkaufens und verkörpern zunehmend einen eher kommerziellen künstlerischen Anspruch. Sowieso haben Künstler immer schon zum Broterwerb auch kommerzielle Arbeiten geschaffen.
Kunst und Liebe
Der Kapitalismus hat den Drang, sich alles, was verwertbar ist, einzuverleiben. „Einverleiben“ bedeutet, Teilsysteme wie etwa „künstlerisches Wirken“ über den Kunstmarkt oder „Beziehungen“ in der Gesellschaft z.B. über Apps fürs Dating wie „Tinder“ monetär verwertbar zu machen. Das führt dazu, dass immer mehr Lebensbereiche, einer übergeodneten Verwertbarkeit zum Opfer fallen. Liebe und Kunst sind jedoch prädestiniert dafür, sich andererseits auch wieder organisierten Verwertungsketten zu entziehen. Dass gerade die Kunst unberechenbar sein kann, ist notwendig, denn ohne eine Absichtslosigkeit und Unvorhersehbarkeit würde die Kunst ihrer zufälligen, unkoordinierten Dimensionen verlustig gehen, kurz: sie könnte dann ihre Funktion in der Gesellschaft nicht mehr erfüllen, ihr einen Spiegel vorzuhalten und das Unsagbare auszudrücken.
Idealismus und Materialismus
Der Kapitalismus ist seinem Wesen nach, ein materialistisches System, das Ertrag generieren will. Kunst ist ein idelles System, in dem materielle Beweggründe nicht die Hauptmotivation sind, selbst wenn ein Künstler Auftragsarbeiten annimmt, nach Anerkennung, Erfolg und möglichst hohen Kaufsummen für seine Werke strebt. Zu spät bemerkt der eine oder andere dann aber, dass eine kapitalistische Kanonisierung seines Werkes eine Sattheit befördert, die der Tod der Ausdrucksmotivation sein kann. Ein Multimillionär als Künstler, wie etwa Damian Hirst, hat innerhalb eines materiell sorgenfreien Lebens und ohne den entsprechenden Leidensdruck vielleicht nicht mehr die zwingenden Ausdrucksmöglichkeiten. Die Autorin Elfriede Jelinek hat auf die Frage der FAZ, ob die Verleihung des Nobelpreises für Literatur 2004 „folgenlos“ an ihr „vorbeiziehen“ werde, geantwortet: „Er (der Nobelpreis) muss an mir vorüberziehen. Anders kann ich nicht leben. Das einzige, was ich mir wünsche, ist, daß ich nach einiger Zeit mein altes Leben wiederaufnehmen kann.“