Zur Medienwirklichkeit in Corona-Zeiten gehört auch, dass verschiedenen Völkern ein typischer Umgang mit der Pandemie zugewiesen wird. Die Klischees künden davon, dass die Deutschen Toilettpapier horten oder die Amerikaner schnell noch ein paar Waffen kaufen. Aber was bedeutet das?
Zu einer Pandemie als unvorhergesehenem Notstand gehört eine Sicherheit generierende Reaktion als Folgeerscheinung. Wie kann man der Ausnahmesituation begegnen? Wie kann man sich der eigenen vermeintlichen Sicherheit wieder vergewissern, angesichts einer schwer fassbaren Bedrohung durch das unsichtbare Corona-Virus?
Deutschland und das Toilettpapier
In einer Konsumgesellschaft kauft man ein, man schafft sich einen mentalen Speckgürtel. Was also tun also die Völker der Einlassung der Medien zufolge? Kaufreaktionen, die in den Ländern Mangelware erzeugen, sind:
- Amerikaner kaufen Waffen
- Deutsche horten Toilettpapier
- Niederländer bunkern Haschisch
- Franzosen greifen zu Präservativen und Rotwein
Toilettenpapierkauf als Unterwerfungsgeste
Die bekannten Reaktionen kann man in zwei Bereiche einteilen. Zum einen gibt es Handlungen, die auf Dominanz oder die eigene Unterwerfung hinaus laufen. Man ordnet sich entweder einer Unvermeidlichkeit unter und durchlebt sie passiv oder versucht in eine vermeintlich exponierte Stellung zu gelangen, aus der heraus man den Viren mit Stärke begegnen kann. Die deutsche Reaktion des zwanghaften Toilettenpapierkaufs ist ein Eingeständnis der eigenen Schwäche. Die amerikanische Reaktion, massenhaft Waffen zu erwerben, erscheint dem gegenüber als ein Symbol der Stärke. Es könnte aber auch genau umgekehrt sein.
Die Dialektik von Stärke und Schwäche
Denn warum muss man Waffen kaufen, wenn eine virale Katastrophe droht? Nicht, weil man schwach und fragil ist und sich oberflächlich schützen will, indem man Kanonen für Spatzen besorgt? Und liegt in der deutschen Unterwürfigkeit, die sich im Symbolakt der Toilettenpapierverstiegenheit nicht ein gerütteltes Maß an Realismus und Alltagstauglichkeit? Essen und das Ausscheiden des Essens sind elementare Vorgänge. Im Bekenntnis zum Toilettenpapier liegt etwas Existentielles. In der Orientierung an der eigenen Lebenswirklichkeit liegt Stärke. Sie könnte tatsächlich relevant für das Durchleben der Gesundheitskrise sein. Aber kein Amerikaner wird mit seinem Schrotgewehr auch nur ein Virus stellen und erledigen. Waffen erscheinen hier eher als Realitätsflucht. So verkehrt sich die Wirklichkeit der Reaktionen von Deutschen und Amerikanern fast schon ins Gegenteil. Was zuerst wie Stärke wirkte, wird zur Schwäche, was zunächst skuril aussah, wird zum harten Realismus.
Leben und Tod als existentielle Erfahrung
Die zweite Kategorie des Umgangs mit dem möglichen Tod durch Corona-Erkrankung oder Unterversorgung ist das Bekenntnis zur entspannenden Bewusstseinstrübung. Die Niederländer reihen sich in Schlangen ein, um Haschisch zu horten, die Franzosen stellen das Gegenprogramm zur WC-Orientierung Deutschlands dar: sie kaufen Rotwein und Präservative in rauen Massen. Dahinter steckt nicht nur der Wunsch nach realitätsflüchtender Betäubung, vielmehr suchen Franzosen und Niederländer im Schlimmen das Gute. Im Unglück der Pandemoe das Glück zu finden – in der tumben Depression nämlich nachhaltige Lebensbejahung – das zeugt eindeutig von Größe.
Die Klopapier-Psyche
Bleibt die Frage, welche Störung das deutsche Volk in seiner Toilettenpapier-Sucht dokumentiert. Eine anale Fixierung liegt hier nahe. Sigmund Freuds Psychoanalyse, die inzwischen in dieser Form allerdings als überholt gilt, wies für den Entwicklungsprozess des Menschen fünf Phasen aus:
- Orale Phase im ca. 1. Lebensjahr
- Anale Phase im ca. 1.–3. Lebensjahr
- Phallische Phase im ca. 3.–6. Lebensjahr
- Latenz-Phase im ca. 7.–11. Lebensjahr
- Genitale Phase ab ca. dem 12. Lebensjahr
Oraler und analer Charakter nach Freud
Während ein „oraler Charakter“ sich in Neid und Egoismus ergeht und dem Essen, dem Trinken und dem Rauchen frönt, weil er zu einer die Psyche unterstützenden Abhängigkeit neigt, ist der anale Charakter ein Meister der Pedanterie, von Genauigkeit, Pünktlichkeit, Geiz und Trotz. Hier werden Sauberkeit und Ordnung als ritualisierte Kontrollausübung zelebriert. Wer in seinem individuellen Entwicklungsprozess daran gehindert wird, seine Entwicklungsphasen zu durchleben, bleibt unter Umständen in einer dieser Phasen hängen und ringt ein Leben lang damit, sie doch noch durchleben zu können. Die fehlgeleitete anale Phase, in der es unter anderem um die Handhabung und Kontrolle der eigenen Ausscheidungsprozesse geht, kann in einen Ordnungs- und Reinlichkeitswahn münden, wie man ihn mit dem zuverlässigen, ordentlichen und sauberen Deutschen als Klischee assoziieren würde.
Handlungen in Krisen-Zeiten
Man kann in Krisen drei Arten von Handlungsalternativen unterscheiden, die aktive und passive Reaktionen nach sich ziehen:
- Totstell-Verhalten: So tun, als wenn nichts wäre (passiv).
- Flucht-Verhalten: Sich abwenden und isolieren (aktiv-passiv).
- Kampf-Verhalten: Durch Aktionismus auffallen (aktiv).
Während das Klischee nahe legt, dass ein Amerikaner seine Sicherheit im Aktionismus durch Waffenkauf gestärkt sieht, durch den er sich aktiv-symbolhaft zu schützen meint, bilden Passivität und Toilettenpapierkauf ein Tandem. Sein Leben kontrolliert zu ordnen, indem man Hygiene-Artikel hamstert, ist ähnlich zielgerichtet wie ein Waffenkauf. Beides geht an einer tatsächlichen Lösung vorbei, beides geht nach hinten los. Dann lieber lebensbejahend und bewusstseinserweiternd wie die Franzosen, Italiener oder Niederländer Rotwein, Haschisch bzw. Präservative horten, um die Krise weichgezeichnet zu empfinden.
One Response to “Klopapier, Waffen, Haschisch & Präservative: Konsumpräferenzen in der Corona-Krise”
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