Michael Jackson hatte eine in der Popmusik einmalige Metamorphose durchgemacht. Vom schwarzen Soul-/Motown-Künstler mit Afrolook-Frisur war er durch OPs, Imageänderung und ein neues äußeres Erscheinungsbild zu einem Künstler mutiert, der zwischen Schwarz und Weiß angesiedelt war bzw. beide Welten miteinander verband.
Vielerorts war das auch Anlass für Kritik. Sicher sahen ihn manche Vertreter der Black Community als Verräter an der Sache der Schwarzen, als einen, der sich bei den Weißen anbiedert. Andererseits kann man Jackson als Botschafter sehen. Nicht als einen, der zwischen den Stühlen sitzt, sondern als einen, der schwarze und weiße Amerikaner über seine Musik verband. Und noch mehr: Jackson zelebrierte Völkerverständigung, indem er in einigen seiner Videos verschiedene Kulturen mit einband, etwa im „Earth Song“.
Album „Dangerous“ als Neustart
Im 11minütigen Langvideo zu „Black or White“ sieht man ihn dann auch singen: „…it don’t matter if you’re black or white“/„Es ist ganz gleich, ob du schwarz oder weiß bist“. Das Lied war die erste Auskopplung aus dem Album „Dangerous“, das nach dem Album „Bad“ erschienen war. „Dangerous“ markierte wieder einmal einen Neustart in Jacksons Wirken. Drei Alben lang hatte er mit Jazz-Altmeister Quincy Jones als Musikproduzentem kommerziell und künstlerisch äusserst erfolgreich einen Sound mit besonderen Indigrenzien geschaffen, den sie auf „Off the wall“, über „Thriller“ bis hin zum letzten Album der Triologie, „Bad“, perfektioniert hatten.
„Bad“ als Vorläufer von „Black or White“
Der Song „Bad“ mit dem dazugehörigen Kurzfilm-Video hatte bereits den Spagat zwischen weißer und schwarzer Welt thematisiert. Es ging darin um Zugehörigkeit und Grenzziehung. Im „Bad“-Langvideo hat Jackson als Teil der schwarzen Community Stellung bezogen und seine Zugehörigkeit eingefordert, gleichzeitig hat er moralische Grenzen gezogen und thematisiert, was es heißt, zwar „cool“ oder „bad“ zu sein aber andererseits nicht das Falsche zu tun, indem man mit Verbrechen moralische Grenzen überschreitet.
Mehr „dangerous“ als „bad“
„Dangerous“ hatte als Begriff „Bad“ verbal weiter dramatisiert und überholt. Michael Jackson wollte einerseits zeitgemäßer und damit jünger werden, suchte also Produzenten, die die Sounds für jüngere Zielgruppen realisierten, andererseits wollte er härter werden und sich gefährlicher, also agressiver zeigen. Dabei bediente er sich diverser Stilistiken und Stilmittel aus R&B, Hiphop, Funk, Soul, Pop und Rock. Vor allem Rockelemente prägten Black or White musikalisch.
Regisseur John Landis bei „Black or White“
Der „Black-or-White-Kurzfilm war eine erneute Zusammenarbeit mit Regisseur John Landis, der schon das berühmte Video zu „Thriller“ gedreht hatte, mit dem die Lang-Video-Kultur Michael Jacksons begonnen hatte, weil es in der Geschichte der Musikvideos wohl kein anderes Video gab, das bei seinem Erscheinen gesamtgesellschaftlich für so viel Aufsehen gesorgt hatte. Mit „Thriller“ war das Musikvideo als vollwertiges Mitglied der Popkulturfamilie angekommen. Spätere Videos hatten zwar schnell höhere Zugriffszahlen aber der Gewöhnungseffekt hatte zwischendurch gegriffen. So wurde denn „Black or White“ bei seinem Erscheinen international von 500 Millionen Menschen gesehen und war damit das reichweitenstärkste Musikvideo bis dahin. Promotet und angekündigt wurden solche Kurzfilm-Musikvideos Jacksons wie das Erscheinen eines neuen Kinofilmes. Es steckte ein riesiger Werbeetat hinter jedem neuen Michael-Jackson-Album, weil jedes wie eine Gelddruckmaschine war. Das galt auch für spätere Alben, die sich zwar alle weit weniger als „Thriller“ verkauften aber dennoch gemessen am Gesamtmarkt immer überaus erfolgreich waren.
Die „Black-or-White“-Lyrics
Das „Black-or-White“-Musikvideo enthält am Ende eine mehrminütige Sequenz, in der Jackson sich wie er es auch andernorts dauernd tat, in den Schritt fasste und Scheiben von Häusern und Autos einschlug. Das sorgte für Protest und Vandalismus-Vorwürfe. Man mag unterstellen, dass solche Szenen strategisch angelegt waren und für Aufsehen und Widerspruch sorgen sollten, was der Aufmerksamkeitsstärke des Videos durch den ausgelösten Skandal zugute kam. Die eingeschlagenen Scheiben können aber auch als Aggression gegen die Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit dem angeprangerten Rassismus verstanden werden, nach dem Motto „wehrt euch!“ Hierbei ist interessant, dass Jackson sich vor und nach der Sequenz in einen schwarzen Panther verwandelt hat. Die „Black Panther“ waren eine revolutionäre Bewegung, die die Rechte der Afroamerikaner in den USA stärken wollte. Im Lied wird deutlich, wie sehr Jackson sich wohl auch über seine eigene Situation ärgert, so singt er: „I am tired of this devil/I am tired of this stuff/I am tired of this business.“ Frei übersetzt etwa: „Ich bin es müde, dem Teufel zu begegnen“/„Ich bin müde wegen diesem ganzen Zeug“/„Ich bin müde wegen dieses ganzen Business.“
Der Ekat um „Black or White“
Vielleicht waren die verfilmten Aggressionen auch seinem Motto „Dangerous“ als Album- und Song-Titel geschuldet, mit dem er sich nicht mehr nur „cool“ und „bad“ zeigen wollte, sondern als maskulin-gefährlich. Darauf deuten auch seine expliziten Griffe in den Schritt und das Schließen seines Hosen-Reißverschlusses hin. Die umstrittenen Szenen führten dazu, dass das Video vielerorts nur ohne die letzten Minuten gezeigt wurde. Außerdem wurden in einer neuen Videoversion rassistische Graffitis auf die zerschlagenen Scheiben gesprüht, um den Gewaltausbruch im Nachhinein zu rechtfertigen.
Dangerous als „New Jack Swing“-Album
Am Album „Dangerous“ arbeitete Jackson vor allem mit Musikproduzent Teddy Riley (Jahrgang 1967) während Quincy Jones (Jahrgang 1933), der bisherige Produzent, wohl keine neuen Imulse mehr mit einbringen konnte. Jackson wollte musikalisch eine Frischzellenkur. Riley war ein Vertreter des sogenannten „New Jack Swing“ bzw. „Swingbeat“, zum Teil kam für weibliche Künstlerinnen auch der Begriff „New Jill Swing“ zum Einsatz. „Dangerous“ sollte das kommerziell erfolgreichste „New Jack Swing“-Album aller Zeiten werden. Dieser Musikstil, der 1986 vom Album „Control“ von Michael Jacksons Schwester, Janet Jackson, mit beeinflusst worden war, verband den neuen „R&B“ und Hiphop miteinander. Wichtig für den Sound waren Samples und die oft synthetisch erzeugte Rhythmik, die Strukturen des Swing aufgreift. Teddy Riley hatte drei Jahre vor der „Dangerous“-Veröffentlichung bereits Bobby Brown zum Erfolg mit seinem neuen Sound verholfen.
Vom „Rhythm and Blues“ zu „R&B“
Was heute „R&B“ oder „Contemporary R&B“ heisst, hat seine Wurzeln in den 1940-Jahren der USA. „R&B“ hieß damals als afroamerikanische populäre Musik „Rhythm and Blues“ oder in einer anderen Schreibweise „Rhythm’n’Blues“, kurz: „R’n’B“. Dessen Vorläufer war Bluesmusik, wobei der traditionelle Blues langsam war und „Rhythm & Blues“ schneller, rythmischer und akzentuierter. Aus dem schwarzen „Rhythm’n’Blues“ sollte sich schließlich der weiße „Rock’n’Roll“ entwickeln. Der „R&B“ mit popmusikalischen Einflüssen entstand in den 1980er-Jahren. Ein Jahrzehnt später sollte der Hiphop als Musik der Stunde immer mehr seinen Einfluss auf den „R&B“ ausüben und zum „New Jack Swing“-R&B werden. Neben Michael Jackson hatte vor allem Prince vorher höchst erfolgreich Pop, Funk und Soul zu einer neuen musikalischen Mixtur miteinander kombiniert und damit den „New R&B“ mit beeinflusst.
Personelle Kontinuitäten
Michael Jackson wollte auf „Dangerous“ neue musikalische Konzepte realisieren aber es gab personell auch Kontinuitäten. Maßgebliche Kooperationspartner auf den verschiedenen Alben waren neben Michael Jackson und Quincy Jones, die nicht nur produzierten sondern auch arrangierten, zwei zentrale Musiker:
- Bruce Swedien (Jahrgang 1934), den Quincy Jones mitgebracht hatte, war auf „Off the wall“, „Thriller“ und „Bad“ Toningenieur und Mixer. Bruce Swedien hatte schon eine lange Karriere in der Musikszene hinter sich, als er auf Michael Jackson traf. Unter anderem hatte er für Jazzgrößen wie Duke Ellington, Dizzy Gillespie, Benny Goodman oder Lionel Hampton gearbeitet.
- Bill Bottrell (Jahrgang 1952) war ebenfalls in der initiierenden Phase von „Bad“ Toningenieur und Drummer. Sein Handwerk hatte er beim „Electric Light Orchestra“ (ELO) gelernt, dessen Musik in den 1970er- und 1980er-Jahren zu den produktionstechnisch aufwendigsten und besten gehört hatte.
Zwar war Quincy Jones als Produzent ausgeschieden aber Bill Botrell schrieb drei der „Dangerous“-Songs mit, außerdem spielte er diverse Instrumente, mixte, arrangierte und produzierte mit. Auch Bruce Swedien produzierte fünf der Stücke mit, arrangierte, mixte und arbeitete als Multiinstrumentalist mit. Die meistern Neuerungen am Sound brachte aber Produzent Teddy Riley mit ein.