Die deutsche Sprache gilt als kompliziert. Allerdings kann man sie manchmal für sich systematisieren, was Komplexität reduziert und die Wahrnehmung der Sprache als Ganzes vereinfacht. Worte kann man dabei fast wie ein simples Baukastensystem betrachten.
So gibt es als kleine Wortstammerweiterungen die Vorsilben (Präfixe) und die Nachsilben (Suffixe). Diese bilden den Einstieg oder den Ausklang eines Wortes und begegnen uns im täglichen Sprachgebrauch überall. Sie rahmen den Wortstamm ein und sind in ihrer Unverwechselbarkeit für die Wahrnehmung der Wortform mit entscheidend. Der Sprachstil wird dadurch geprägt und sein Variantenreichtum erweitert. Da Hörer und Leser die Präfixe und Suffixe und ihre Melodik verinnerlichen, tragen diese Silben zudem zur schnelleren Verinnerlichung von Worten in der Sprache bei. Speziell Nachsilben wie „-heit“ oder „-ung“ zeigen auch unverwechselbar die Wortart an, hier etwa Nomen. Tauscht man die letzte Silbe, wird
- aus einem Verb wie „halten“ das Substantiv „Haltung“ oder
- aus dem Adjektiv „lieblich“ das Substantiv „Lieblichkeit“.
Nachsilben von Adjektiven sind:
- lachhaft
- sonderbar
- nachhaltig
- freundlich
- spanisch
- seltsam
- endlos
Nachsilben von Nomen sind:
- Haltung
- Sicherheit
- Gemeinschaft
- Wirklichkeit
- Wagnis
- Frühling
- Schicksal
- Reichtum
Vorsilben von Verben und Substantiven sind:
- abhalten, Absicht
- anhalten, Anhalter
- aufhalten, Aufenthalt
- aushalten, Aussicht
- behalten, Bezahlung
- beitreten, Beitritt
- darlegen, Darlegung
- einhalten, Erhaltung
- erhalten, Erhaltung
- hinhalten, Hinweis
- hinterlassen, Hinterlassenschaft
- nachhalten, Nachlass
- niederhalten, Niederlage
- überreden, Überhitzung
- umwälzen, Umwälzung
- unterhalten, Unterhaltung
- verhalten, Verhalten
- vorhalten, Vorgehen
- wegfahren, Wegfahrsperre
- widersprechen, Widerspruch
- zerpflücken, Zerstörung
- zuladen, Zuladung
- zusammenbrechen, Zusammenbruch
Liste einiger weiterer Vorsilben:
- asynchron, Atheismus (Negierung, Verneinung)
- Allergie, Allokation (Abweichung, anders)
- Amphibien, Amphitheater (zwischen, doppelt, beid-)
- Anagramm, Anatomie (hinauf, hindurch)
- Antivirussoftware (gegen, zuwider)
- Apocalypse, Apotheke (von, weg)
- autonom, Autokrat (eigen, selbst)
- Diagnose, Dialyse (zwei, doppelt)
- Dystopie, dysfunktional (abweichend, miss-)
- Examen, Exzess (heraus)
- Epidemiologie, Epizentrum (drüber, auf)
- Esoterik (hinein, nach innen gekehrt)
- heterosexuell, heterogen (verschieden)
- homosexuell, homogen (gleich)
- Hemisphäre (zur Hälfte, halbseitig)
- Hypochonder, Hypothese (unter, weniger)
- isometrisch, isotonisch (äquivalent, gleichwertig, gleich)
- Katakombe, Katalysator (entlang, entgegen, herab, während)
- Mikrochip, Mikroskop (winzig)
- Monotheismus, Monogamie (eins)
- Orthographie, orthodox (richtig)
- Panorama, pansexuell (alles, umfassend)
- paranormal, Parapsychologie (gegen, neben)
- Peripherie, Periskop (herum, neben)
- Polygamie, Polyphonie (mehrere, viele)
- Prothese, Prognose (vor)
- Pseudonym (angeblich, falsch)
- Synagoge, Synfonie (gemeinsam, zusammen)
- Telefon, Telekinese (weit, fern)
- Trinität, triangular (drei, dreifach)
Diminutive: Verniedlichungsformen
Die Nachsilben „-lein“ und „-chen“ stellen Formen von Kosenamen und Koseworten, Verniedlichungen und Verkleinerungen dar. Ein paar Beispiele:
- Kindlein/Kindchen
- Kätzlein/Kätzchen
- Schätzlein/Schätzchen
- Männlein/Männchen
- Hündlein, Hündchen
- Häuslein/Häuschen
- Zipperlein, Fräulein
- Schweinchen, Bierchen, Häuschen, Wörtchen, Rippchen
Die Verniedlichungsform als fester Sprachbestandteil
Begriffe wie „Mädchen“, „Brötchen“, „Kaninchen“, „Eichhörnchen“ oder „Meerschweinchen“ sind als Verniedlichungsformen fester Bestandteil des Wortschatzes geworden und haben keine nicht-verniedlichte Entsprechung mehr. Das Gegenteil der Diminutive wird „Augmentativ“ genannt und stellt eine Hervorhebung und Vergrößerungsform dar. Beispiele wären: „Unsumme“, „Übermaß“ oder „Abertausende“.
Weitere Diminutivsuffixe
Gerade als Bestandteil von Dialekten können verschiedene verniedlichende Nachsilben (Suffixe) zur Anwendung kommen. Zum Beispiel:
- Katze/Kätzche
- Katze/Kätzle
- Bursche/Bürscherl
- Hans/Hansi
- Grete/Gretel
- Hund/Hündsche
- Anna/Antje
Eine dem Diminutiv-Wortstamm vor- oder nachgesetzte Silbe bezeichnet man auch als „Diminutivaffix“. Den Vorgang des Hinzusetzens der Affixe „Präfix“ und „Suffix“ zum Zweck der Verniedlichung nennt man „Diminutiv-Affigierung“. Ein Affix ist ein Wortbestandteil, das andere Bestandteile komplettiert, aber selbst nicht komplettierbar ist.
Vorsilben, die zuweilen „in“ sind
Es gibt Vorsilben, die in Mode kommen bzw. häufig gebraucht werden. Einige Beispiele:
- Hologramm, Holocaust (ganz, gänzlich, vollständig)
- Hyperraum, hyperaktiv (übermäßig, über, hinau)
- Kryptowährung, Kryptografie (verborgen, versteckt)
- Megafon, Megafusion (groß, großartig, hervorragend)
- Metakommunikation, Metaphysik (höher, darüber, hinter)
- Neoliberal, Neoproterozoikum (neu, jung, Erneuerung, Wiederbelebung von etwas)
- Postkolonial, Postmoderne (zeitlich nach etwas)
- Protofaschist, Prototyp (zeitlich vor etwas, vorderster, erster, Vorläufer)
Weitere Endoplast-Beiträge über Sprache und Worte:
- Schönheit der Sprache: Das „Backronym“
- Worte: Werther-Effekt – Medienwirklichkeiten, Medienwirkung, Medientote
- Begriffe: Der „Verbraucher“
- Dielektrikum oder warum es Worte gibt, deren Bedeutung sich uns nicht erschließt
- Verkürzte Sätze und Worteinsparungen: Zeig mal dein Zeugma
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