Vor kurzem gab mein schöner Wasserkessel berufsbedingt den Geist auf. „Berufsbedingt“ bedeutet: Ich war nachts im Arbeitszimmer während erst das Wasser und dann der Kessel ohne Wasser stundenlang vor sich hinkochte.
War er also dahin. Ich ging los, um mir einen neuen Wasserkessel zu kaufen. Ich gebe zu, ich habe ein paar Ansprüche daran: Er soll nicht zu groß sein, am besten komplett aus Metall, gut aussehen, schnell erhitzen. Mein bisheriger Kessel sieht übrigens so aus:
Kesselnotstand: Wasserkocher killt Wasserkessel
Ich fand in mehreren Städten nur einen Kessel, den ich annehmbar fand. Der war allerdings zu groß und zu teuer. Eine kleinere Version hätte erst bestellt werden müssen. Ich war erstaunt, dass die Auswahl so gering ist. Offensichtlich ist der Wasserkessel als Problemlöser vom Wasserkocher längst überholt worden, dessen Auswahl und Preisvarianz inzwischen erheblich größer ist. Der erhitzt das Wasser auch schneller. Ein klarer Produktvorteil.
Die Rettung: „Hot Bertaa“
Zuhause angekommen kam mir der Zufall zu Hilfe. Ich hatte mir vor Jahren „Hot Bertaa“ gekauft, ein Design-Teil, das ich aber nie benutzt hatte. Der stand jetzt in der Küche auf dem Schrank, und ich hatte komplett vergessen, was er eigentlich war: Ein Wasserkessel. Man sieht es ihm zwar nicht an, aber er verkörpert eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Thema „Erhitzung von Wasser“. An dieser Stelle müßte ich noch hinzufügen: Er war seiner Zeit weit voraus. Er hat in jedem Falle ein einprägsames Äußeres:
Doch keine Rettung: Der Aluminiumkessel lag wie Blei im Regal
Von dem puristisch-futuristischen Kessel wurden zwischen 1990 und 1991 nur 25.000 Stück hergestellt, dann wurde die Produktion eingestellt, ein Mißerfolg. Entworfen hat das gute Stück Philippe Starck, ein prägendsten Objektdesigner vor allem der 80er und 90er Jahre. Auftraggeber war Alberto Alessi gewesen, und der alte Fuchs verkauft den Mißerfolg grandios. Im „Brand 1“-Interview macht er aus der Niederlage einen Gewinn, indem er es für überlebenswichtig erachtet, auch Mißerfolge zu haben, weil nur die ein Unternehmen immer wieder aufrüttelten.
Der kleine Unterschied: Vom Prototyp zur Serie
Er schiebt diesen Mißerfolg darauf, dass die Planung vorsah, dass beim Kochen kein heißer Wasserdampf austreten sollte, was eine Innovation gewesen wäre. Bei den Prototypen hätte das auch noch funktioniert, nicht aber in der Serienproduktion. Es ist die Frage, ob es eine Käuferschaft vergräzt, wenn der neue Kessel wie alle anderen Wasserdampf ausstößt. Alessi sagt aber auch, die Käufer wollten keinen Kessel, für den man eine Gebrauchsanweisung brauche. Das trifft ins Schwarze. In der Tat habe ich ziemlich lange gebraucht, herauszufinden, wie ich den Kessel mit Wasser befüllen kann.
Geheime Verschlußsache: Der Rollerball-Mechanismus
Der Corpus ist komplett geschlossen. Das kurze Ende links im Bild ist der Ausgießer, befüllt wird der Wasserkessel durch das breite Rohr rechts, das gleichzeitig auch der Anfasser ist. Will man Wasser ausgießen, neigt man den Kessel so weit, dass das Rohr relativ senkrecht steht. Dies ist aber auch die Position, in der man den Kessel erst mit Wasser befüllen kann. Die Logik legt es einem aber nahe, dass so das Wasser wieder herauslaufen müsste – was aber nicht der Fall ist, weil ein Kugelmechanismus zwischen diesen beiden Teilstücken den Ausgießer verschließt.
Der Grund für den Mißerfolg mag vielschichtig sein:
Zum einen kauft man vermutlich nichts gerne, was nicht so aussieht, als hätte es die ihm zugeschriebene Funktion. Soll heißen: Ein Wasserkessel sollte aussehen wie ein Wasserkessel. „Hot Bertaa“ tut das aber gar nicht. Dann habe ich es gerne, wenn ich in den Kessel hineingucken kann. „Hot Bertaas“-Corpus jedoch ist vollständig geschlossen, es kann auch nichts abgeschraubt werden, was Einblick gewähren würde. Nimmt man noch hinzu, dass man den Kessel sehr ungewohnt in die Hand nehmen muß und dass ergonomisch unklar ist, wie er zu befüllen wäre, fehlt nur noch ein Argument: Das Material ist unter Umständen nicht klar definierbar. Der Cropus besteht aus Aluminium, am Anfang dachte ich, es könnte auch ein Hartkunststoff sein. Den jedoch auf eine hohe Temperatur zu erhitzen, läßt sch ebenfalls schwer vorstellen.
Fazit: Das Ding funktioniert
So bleibt dieses Wunderwerk an Kessel, das gut funktioniert, wenn man einmal weiß, wie’s geht, gerade am Anfang etwas geheimnisvoll. Ich habe den Kessel seit ein paar Tagen im Gebrauch, es funktioniert alles einwandfrei. Hat allerdings 10 Jahre gedauert, solange stand er unbenutzt irgendwo bei mir herum. Ein Fremdkörper, der nur gut aussieht, ist der Wasserkessel nun nicht mehr.
22 Responses to “Hot Bertaa: Philippe Starcks Küchen-Alien”
Ähm – und wie reinigt man dies Ding? Wie lässt es sich entkalken?
Gute Frage. Gar nicht!
Wieso gute Frage? Wohl eher nicht nachgedacht.
1. Wovon soll man denn einen Kessel innen reinigen, in dem ausschließlich Wasser gekocht wird und der noch dazu keine Öffnung hat, in die Schmutz gelangen könnte? Was für Schmutz soll sich denn da ansammeln?
2. Entkalken kann man ihn wie jede Kaffemaschine, die nimmt man ja auch nicht auseinander. Wer da Bildungslücken hat, bitteschön:
http://www.weg-mit-dem-kalk.de/index.php?q=Video_Kaffeemaschine
Im Übrigen ist dies wohl der genialste Wasserkessel, den es gibt.
Wie auch Philippe Starcks geniale Zitruspresse, bei der direkt ins Glas gepresst wird und kein Tropfen Saft daneben geht (http://www.adero.de/3). Beides wohl nix für einfach Strukturierte und Designignoranten…
Das hat ja wohl nichts mit einfacher Struktur des Benutzers zu tun und viel mit Ergonomie, Funktionalität und Handhabbarkeit.
…die zweifellos in vorbildlicher Weise gegeben ist! Aber da die Form nicht dem (damaligen) Mainstream entspricht, trauen ihr „einfach“ strukturierte Zeitgenossen die Ergonomie nicht zu. Ph. St. hat nicht nur für’s Auge entworfen!
Du willst sagen: Der Designer ist genial – und alle anderen Dummköpfe, die das Ding nicht gekauft haben, haben sich geirrt?
Noch ein Nachtrag: Wenn Hot Bertaa zu lange kocht, wird das Rohr, an dem man den Kessel packt, heiß, weil der Wasserdampf dann auch am langen Ende austritt. Beim normalen Erhitzen kommt nur aus der kleinen Öffnung Wasserdampf.
Das führt dazu, dass man den Kessel mit der bloßen Hand nicht mehr vom Herd nehmen kann.
Allerdings gilt dieses Erhitzen aber auch für die meisten anderen Kessel, die ich kenne.
Zu Deinem vorletzten Kommentar: Man k ö n n t e es so star(c)k vereinfacht auf den Punkt bringen…
zumindest ist der Designer was einige seiner Schöpfungen anbelangt genial. Da wir aber wahrscheinlich alle Menschen sind macht auch er mal Fehler. Allerdings nicht, was diesen Wasserkessel anbelangt!
Warum ihn wenige gekauft haben liegt zum großen Teil daran, dass die Form aussergewöhnlich war und noch immer ist. Das passt halt nicht in jede Landhausküche…
Mit dem Überhitzen wäre ich vorsichtig, unsachgemäße Anwenung ist jedes Wasserkessels frühzeitiger Tod!!! Und der Griff von diesem ist so viel ich weiß aus einem speziellen Kunststoff – also…
Wie wärs mit einer kleinen Elektroplatte im Arbeitszimmer :-) :-) :-)
Der Kessel ist außergewöhnlich gestaltet. Die Form also ist etwas Besonderes. Der Inhalt, hier: die Funktionalität, ist es aber nicht. Ich unterscheide zwischen einem guten Konzept und seiner Ausführung. Die Welt wimmelt von guten Ideen und guten Konzepten. Damit etwas aber auch funktioniert, muß dessen Ausführung durchdacht bis ins Detail sein. Das ist bei diesem Kessel nicht der Fall.
Ich möchte aber noch einen anderen Punkt hervorheben: Zur Funktionalität im weitesten Sinne gehören für mich die Ästhetik, die Form und deren Ausführung. Das hat nichts mit der technischen Tauglichkeit zum Beispiel eines Wasserkessels zu tun sondern mit seiner Wirkung auf das Auge, auf das Gefühl und allgemein auf das Wohlbefinden des Betrachters.
„Hot Bertaa“ ist so einfach in seiner Grundform aber auch so ungewohnt, dass mich dieser Kessel als Gebrauchs-Küchenutensil anregt. Damit ist aber auch nicht „in Schönheit sterben“ gemeint. Ich möchte nicht nur von glatten, überästhetisierten Gegenständen umgeben sein. Aber es ist schon schwierig eine Form in ein Lebensumfeld einzuführen, die zugleich ganz einfach-puristisch angelegt ist, zum anderen aber nicht langweilig wird. Besondere Formensprachen laden ein zum Nachdenken und zum Nachfühlen. In diesem Sinne ist der Wasserkessel gelungen.
Er ist von mir nicht „übererhitzt“ worden. Ein Kessel sollte es schon aushalten, dass das Wasser in ihm kocht, meinetwegen auch ein, zwei Minuten länger. Das sollte drin sein, ohne dass sich der Griff zu stark erhitzt. Ist aber leider nicht selbstverständlich.
Philippe Starck „genial“ zu nennen, ist so eine Sache… Es ist der Colani-Effekt… Luigi (=Lutz) Colani (http://www.colani.de/) ist so etwas wie der Vorläufer von Starck, was Einfluß, Selbstvermarktung und Produktivität anbelangt. Beide haben viel zu viel gemacht, um wirklich alles qualitativ durchdenken zu können. Jemand der ein schlaues Eigenmarketing realisiert, der medienpräsent ist, erfolgreich ist und um Rampenlicht steht, muß nicht genial sein. Ich würde mir das an Deiner Stelle mal genauer ansehen. Guck‘ mal auf die Starck-Website, die hier im Artikel verlinkt ist. Findest Du das alles gut, gar genial?
Ist das eine Taliban Langstreckenrakete die in deinem Herd steckt? Oder ein Atomsprengkopf?
Ich dachte schon, die Frage kommt nicht mehr. Ich verrate nur soviel: Darin kann man waffenfähiges Plutonium erhitzen.
Na, da freut man sich doch auf eine gemütliche Kernschmelze zuhause!
Pulonium soll man ja auch trinken können.
endlich mal eine ausführliche Beschreibung der Hot Bertaas!
Gibt es denn auch ein Signal welches ertönt, wenn das Wasser am kochen ist.
Klassisch wäre ein Pfeifton angetrieben durch den Wasserdampf.. Bei der Designikone könnte es jedoch wieder eine Überraschung sein und der Kessel sendet automatisch eine SMS?!?
Wie ist das gelöst?
@Dijon: SMS? Gute Idee! Vielleicht hätte das den Kessel gerettet.
Ein Pfeife gibt es nicht. Ist aber relativ zu sehen. Den einzigen Kessel, den ich bei meiner Recherche von Materialität und Design her für gut befand, ist einer von WMF. Der hat auch keine Pfeife.
Vielleicht sollte man sein Leben ändern. Nämlich nicht immer hektisch in der Wohnung rumlaufen, sondern wie beim Kochen auch sonst, in der Nähe des Kessels bleiben. Vielleicht ist ein pfeifenloser Kessel also eine Art pädagogisches Instrument.
Ich denke die erzieherische Maßnahme zum slow-fooder hört sich nicht schlecht an – bin bisher nur noch nicht fündig geworden um eine Bertaa zu erwerben.
Es gibt häufig auch eine Miniaturvariante als reines Designobjekt.
Wenn mir eine unter die Finger bzw. unter den linken Mausknopf kommt, werde ich zuschlagen.
Noch ein paar praktische Anmerkungen:
Wenn man Hot Bertaa zu lange kochen läßt, zum Beispiel wenn man Einkaufen geht, erst eine Stunde später wiederkommt, wenn alles Wasser schon lange verkocht ist, stinkt es nach Kunststoff. Außerdem hat sich der Griff gelockert. Ich weiß nicht, wohin das führen wird, ob er irgendwann abfällt oder so.
Ich hatte geschrieben, dass der Anfasser bei zu langem Kochen heiß wird. Das stimmt aber nicht. Zwischen Griff/Wassereinfüller und Ausgießer sitzt ja eine kleine metallene Kugel, deren Position darüber entscheidet, ob man Wasser einfüllen oder ausgießen kann. Wenn diese Kugel die falsche Position hat, entweicht der Wasserdampf durch das dicke Rohr, den Griff, und der wird dann heiß. Wenn man vorher drauf achtet, dass die Kugel nicht vorne bleibt, sondern wieder nach hinten kullert, wird der Griff niemals heiß, selbst beim unbeabsichtigt langen Kochen nicht. Wenn man das weiß, ist das alles kein Problem.
Noch ein kleines Manko: Der Ausgießer ist nach unten gebogen, deshalb ist es unvermeidlich, dass beim Wassererhitzen ein Paar Tropfen kondensiertes Wasser vorne herauslaufen.
Trotz allemdem finde ich Hot Bertaa aber immer noch eine gute Wahl. Augenschmaus und die besondere Ergonomie wiegen alles andere auf.
[…] gestaltet von Philippe Starck und produziert von einer italienischen Nobelmarke, ist hinüber. Ich hatte hier darüber geschrieben und war begeistert von dem Ding, auch wenn es einige funktionale Einschränkungen […]
[…] kommt aus Skandinavien. Ähnlich wie Philippe Starcks Wasserkessel „Hot Bertaa“, über den ich hier und hier geschrieben hatte, arbeitet diese Teekanne visuell mit der Schräge. Der Corpus ist eine […]
Ich habe so ein Teil zu verkaufen – wie neu!
Was willst Du denn dafür haben?
Im anderen Artikel zu „Hot Bertaa“ auf Endoplast ist ein wichtiger Kommentar eingetroffen, in dem es darum geht, dass der Kessel durch Abschrauben des Griffes gewartet und theoretisch (sofern man die Ersatzteile noch bekommt) auch repariert werden kann. Bitte hier nachlesen.