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Ein Mann, der zeitlebens so verstockt und verkrampft geguckt hatte, dass jeder, der ihn sah, der Ansicht gewesen war, er würde nicht lange einer Geisteskrankheit entkommen können, hielt sich länger als gedacht und drehte erst mit Siebzehneinhalb durch. Er war sofort so dermaßen abgedreht und durchgeknallt, dass er nichts Normales mehr wahrnehmen und nichts, was verständlich gewesen wäre, von sich geben konnte. Zwischen seinem 12. und 15. Lebensjahr hatte er vor Ausbruch seiner mentalen Krankheit ein Blog lanciert, in dem er kleine Texte und Zeichnungen veröffentlichte. Das Blog hatte praktisch keinerlei Besucher gehabt. Wie die Webseitenanalysesoftware auswies, war er der einzige Besucher, weil Texte und Zeichnungen schon damals völlig unverständlich gewesen waren. Es enthielt kryptische Wortschöpfungen und erdachte Wort- und Sprachbilder, die nicht in Bezug zur irgendeiner Realität standen, die nachvollziehbar gewesen wäre, sondern Ausgeburten eines frühzeitig in Mitleidenschaft geratenen Geistes waren. Der Junge war deswegen schon damals, lange vor seiner inneren Reise ins Nirgendwo, bemitleidet und belächelt worden. Als im Irrenhaus, in dem er einige Jahre verbringen sollte, in einem besonders heißen Sommer, ein Brand ausgebrochen war, kam er darin um. Seine sterblichen Überreste wurden in einem Massengrab ohne Namensangabe begesetzt.

Ganz unmittelbar vor seinem Tod hatte er mit einer Insassin des Irrenhauses ein Kind gezeugt. Es war ein Junge, der taubstumm geboren wurde. Über seine geistigen Fähigkeiten war man sich nicht im klaren. Der Junge wirkte alsbald verstockt und unzugänglich, verweigerte jedes kommunikative Verhalten und schien einfachste Zusammenhänge des täglichen Lebens nicht zu verstehen. Sicher konnte man sich bezüglich dieser Einschätzung jedoch deshalb nicht sein, weil der Junge stumm war und auch jeden Versuch, ihm die Gebärdensprache beizubringen, sabotierte. Auch seine Mutter ignorierte er vollständig, ihr Verhältnis zueinander wirkte von außen betrachtet wie das zweier gänzlich Fremder. Der Junge hatte immer schon als eigenwillig gegolten, doch als er sich in einer Verweigerungshaltung gegen die täglichen Abläufe im Irrenhaus dreimal in Folge in seinem Zimmer mit Benzin übergoßen hatte und beim Näherkommen der Pfleger ein Feuerzeug in der Hand gehalten hatte, während sein Daumen auf dem Anzünderrädchen lag – und offenbar bereit ihn zu betätigen – entledigte man sich seiner, bevor er und die Irrenanstalt und damit alle Ärzte und Insassen in Flammen aufgehen konnten. Niemand wollte die Verantwortung für ihn übernehmen. So entledigte man sich seiner mittels eines bürokratischen Tricks und stellte zu spät fest, dass nicht nur er das Irrenhaus verlassen hatte, sondern mit ihm gleichzeitig der Laptop des Chefarztes verschwunden war.

Der Junge soll das Gerät dazu genutzt haben, sich das Blog seines Vaters zu erschließen. Dann verloren sich seine Spuren und man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Dem Vernehmen nach, konnte er in dem Blog lesen wie in einem Tagebuch. Er hatte jedes Wort, das sein Vater dort geschrieben hatte, augenblicklich verstanden. Zuletzt hatte er dem Blog einen eigenen Artikel hinzugefügt, in dem er darüber schrieb, dass sein Vater kein Verrückter, sondern ein Informationsüberfluteter gewesen wäre, ein ohne jegliche Filterung Wahrnehmender, auf dessen Inneres die Bedeutungen wie hagelnde Lava einprasselte. So rasend schnell war der Durchsatz dieses giftigen Informationsstroms, dass es jede Ordnung im Vater des Sohnes auf ewig hinwegspülte. Nichts anderes blieb ihm so übrig, als die ihm wichtigen Inhalte, die er wie ein schnell rotierendes nach ihm ausholend-schneidendes Rasierklingenriesenrad wahrnahm, in eine Symbolkurzsprache zu verschlüsseln, die dem Tempo der ansonsten jede Informationsindividualität glattschleifenden Datenflut gerecht wurde. Sein stummer Sohn, dem wie sich herausgestellt hatte Worte ein Heiligtum waren und Sätze Kathedralen der Bedeutungen, konnte in den Blogbeiträgen des Vaters lesen, wie in einem Inhaltsverzeichnis der Welt, wie in einem komprimierten Orientierungssystem. Das Blog war in der kurzen Zeit, in der er es las, für ihn ein breites flaches Schiff in einem reißenden Wortstrom, die Satzzeichen waren die Gischt und die Symboliken funkelnde Edelsteine. Sein Schiff der verschleierten Bedeutungen steuerte unbeirrbar und unversenkbar einen vollständig geraden Kurs. Der Junge, so wird gesagt, hatte damals kurz nach der Bloglektüre gelernt zu sprechen und soll später einem herkömmlichen Beruf im Zentrum größtmöglich vorstellbarer Normalität nachgegangen sein.