Ein Ziel muss man erreichen wollen – oder nicht? Manchmal nicht. Wer viel mit dem Erreichen von Zielen zu tun hat, weiß, dass es zwar einerseits äusserst wichtig ist, an die Erreichbarkeit des Zieles fest glauben zu können, sonst würde die Selbstmotivation nicht wirklich greifen. Andererseits aber weiß ein Zielprofi auch, dass es in der Praxis schon genügen kann, das Ziel annäherungsweise zu erreichen.
In diesem Fall dient das klar definierte Ziel eher als Richtschnur, die einem auf dem Weg Orientierung gibt. Manch einer steckt sich das Ziel etwas höher als eigentlich leistbar, damit er sich in seinen Fähigkeiten dehnen und strecken muss und sich so weiterentwickeln kann. So gesehen wäre das eigentliche Ziel nicht unbedingt, das Ziel hundertprozentig zu erreichen, sondern ihm möglichst nahe zu kommen.
Zielikrisie: Das Ziel ist nicht das Ziel
Von diesem Konzept lässt sich ableiten, dass nicht das Ziel das Ziel ist, sondern den Weg dorthin so zu beschreiten wäre, dass die bestmögliche Annäherung an das Ziel am wahrscheinlichsten erfolgen kann. Von dieser Auffassung mögen sich Redewendungen wie „Der Weg ist das Ziel“ ableiten.
Randomismus: Der Künstler als Zufallsverwalter
Was aber, wenn man vom Konzept der Zielerreichung abwiche, also Ursache (=Zielsetzung) und Wirkung (=Zielerreichnung) klar zu definieren, aufgäbe? Wenn man bewusst zwar pro forma ein ungefähres Ziel setzen würde, es aber gar nicht erreichen wollte? Was hier etwas seltsam klingt, ist in der Kunst gang und gäbe. Der Künstler ist in gewisser Weise ein Verwalter des Zufalls. Er nimmt sich z.B. vor, einen Mann zu zeichnen. Er setzt den Stift an, zeichnet den Kopf – es soll hier zum Beispiel ein Mann mit langen Haaren sein – betrachtet die ersten Ansätze und nimmt den Kopf als mehr weiblich wahr. Augenblicklich verwirft er das Vorhaben, einen Mann zu zeichnen und macht eine Frau daraus. Natürlich ist das nicht verallgemeinerbar, schon gar nicht, wenn der Künstler sehr konkret ein realistisch wirkendes Abbild von etwas Gesehenem oder Verinnerlichtem anstrebt. Wenn er sich vorgenommen hätte, einen bestimmten Mann realistisch abzubilden, würde am Ende wohl keine Frau als Motiv der Zeichnung herauskommen. Dies wird aber schon bei einer allgemeinen relativen Absichtslosigkeit beim Zeichnen und einer großen Offenheit für Inspirationen bzw. Selbstinspirationen der Fall sein können.
Deuterium: Schwindel erregende Unschärfen auf des Messers Schneide
Absichtslosigkeit wäre hier also das Gegenteil von Zielerreichung. Um das genaue Gegenteil der Klarheit bei der Zielerreichung muss es aber auch nicht unbedingt gehen. Es könnte um etwas gehen, was abseits davon liegt: das absichtlich zufällig-ungefähre oder ungefähr-vorläufige Anstreben eines Zieles. Zielerreichung unter der Voraussetzung einer mitschwingenden Unschärfe sozusagen, Zieldiffusion oder oszillierende Quasi-Zielerrreichung. Aber was soll das bedeuten?
Kunstimmobilienmakling: Ausgangspunkt, Ausgangslinie, Ausgangsfläche
Ein ungefähres, relativ unscharfes Ziel ist nicht dasselbe wie ein Ziel als klarer Fixpunkt oder Orientierungspunkt, wie am Anfang geschildert. Es ist auch nicht das absichtsvolle Verlassen des eingeschlagenen Weges. Es ist etwas dazwischen: man behält die Konzeption der Zielerreichung im Hinterkopf. Sie bildet das allgemeine Leitmotiv der Arbeit, ist eher Ausgangslinie oder Ausgangsfläche als Ausgangspunkt der Arbeit. Ist man von dieser Basis losgegangen, wird über diese Überlegung frei improvisiert. Das Mittel der Improvision ist die Einbindung des Zufalls oder noch eher ein sich-auf-den-Zufall-einlassen. So kann das Endergebnis niemals von Vornherein klar sein. Sofern rationale Gedanken eine Rolle spielen, erfolgen sie unbewusst. Vorherrschend sind aber wache Intuition, Selbst- und Fremdinspiration und freies Reagieren auf spontan auftauchende Reize, die neue Impulse bringen und damit alles verändern können.
Konzeptionitis: Selbstüberraschung als Vorläufer der Selbstüberzeugung
Dies beschreibt den ganz normalen Alltag eines Künstlers als für Reize offenen Improvisations-Automatismus. Kunst ist hier permanente Selbstüberraschung. Neben dem Idealmaß zu liegen, das eigentliche Ziel völlig zu verfehlen, schafft Besonderes und damit Überraschendes und ist der Nukleus der Kreativität in der Kunst.
One Response to “Kunsttagebuch: Unschärferelationen in der Kunst als Ungewissheit zwischen planvollem Handeln und Zufallsjonglage”
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