Menschen schätzen das Wahre, das Originale, das Echte. Etwas, das den Nimbus einer Art Kultur-Credibility atmet. Etwas, das seit jeher gefertigt wird und die Aura des Ursprünglichen in sich trägt. Kein Wunder also, dass aus der Perspektive mancher Kuckucksuhren-Käufer zum Beispiel aus den USA der typisch Deutsche in Lederkrachernen stecken muss, Schweinshaxe mit Sauerkraut isst und womöglich in einem Fachwerkhaus wohnt.
Das entspräche einem alt hergebrachten Bild, das Erwartungen erzeugt, die weiterhin erfüllt und gepflegt werden wollen, andererseits von jüngeren Generationen aber auch augenfällig gebrochen werden. So kann der Schock der Moderne aus puristischem Bauhaus, hipper PopArt oder kitschigem Trash auch beim Design der ansonsten eher verschnörkelten Kuckucksuhr mitunter zum Tragen kommen.
Von Gartenzwergen, Platzdeckchen und Sammeltassen
Die Kuckucksuhr stammt aus dem Schwarzwald, der allerdings in Baden-Württemberg und nicht in Bayern liegt. Die Kuckucksuhr gilt vielen in Deutschland als der Inbegriff des Spießertums, des Altmodischen, auf jeden Fall aber des Anachronistischen. Auf Augenhöhe mit Gartenzwergen, umbordelten Platzdeckchen und goldverzierten Sammeltassen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Die Kuckucksuhr beim Patentamt
Der moderne Kultur-Mensch hat sich von seinen Ursprüngen entfernt, er hat keine Street-Credibility mehr, deshalb schätzt er Althergebrachtes wie die Kuckucksuhr. Ihre Ursprungsform gemahnt an Zeiten, in denen sich der Mensch von sich selbst noch nicht entfremdet hatte und ist damit tatsächlich ein Stück heile Welt. Überhaupt gelten Uhren ja auch heute noch als kleine Wunderwerke der Feinmechanik. Tatsächlich kann sich auch in der Kuckucksuhr patentierte Technik verbergen. Zum Beispiel wird der Kuckucksruf traditionell durch mehrere unterschiedlich hohe Orgelpfeiffen erzeugt. Es gibt aber eine patentiete Technologie, die in der Lage ist, mit nur einer Pfeife den Ton zu modulieren.
Tradition und Moderne formen ein Kultursymbol
Unabhängig von allen traditionalistischen Gedanken hat die Kuckucksuhr als internationales fast schon ikonografisches Aushängeschild deutschen Kulturgutes einen denkbar weiten Weg zurückgelegt. Angefangen bei den althergebrachten Kuckucksuhren, die aus Holz geschnitzt wurden, über jene mit bunten Figuren, die sich drehen und bewegen und ein bisschen aus der naiven Kunst zu schöpfen scheinen, bis zu jenen, die grelle Kitsch- und Trash-Werke sind und dem heutigen Empfinden Rechnung tragen. Die Spannbreite der Gestaltungsvarianten ist so groß, dass sie größer kaum sein könnte.
Die Kuckucksuhr zwischen Mechanik und Elektrotechnik
Die Kuckucksuhr modernen Zuschnitts kann immer noch aus Holz bestehen oder aus Kunststoff, mechanisch betrieben sein oder elektromechanisch. Was früher eine Funktion hatte, wie Kettenzüge und Pendel, dient heute mitunter nur der Zierde, weil längst ein Quarzuhrwerk im Innern schlägt. Der klangmodulierte Orgelpfeifenton wird mitunter digital erzeugt. Die Spannbreite ist hier wie auch in allen anderen Segmenten des Uhrenmarktes äußerst weit: Technisch, ästhetisch, kunst-handwerklich und kulturell.
Der Zeitmesser, der ein halbes Jahrtausend alt ist
Dass dies so ist, liegt sicher daran, dass die Kuckucksuhr schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel hat und dabei ein paar Jahrhunderte Erfolge verbuchen kann. Zum ersten Mal erwähnt wurde die Kuckucksuhr im 17. Jahrhundert n. Chr. in der westbayerischen Stadt Augsburg. Im Schwarzwald ist sie ein Jahrhundert darauf anzutreffen und ab da so eng mit der Region verbunden wie z.B. Solingen mit der Messerproduktion. Ort und Kulturgut werden gleichgesetzt.
Die Motivik der Schwarzwald-Kuckucksuhren
Die Kuckucksuhr trägt ihren Namen deshalb, weil in der Regel zu jeder vollen Stunde ein Vogel mechanisch angetrieben aus einer Klappe schnellt und seinen Ruf vernehmen lässt. Die typische Form ist die eines Häuschens, genauer gesagt, die eines Bahnwärterhäuschens, das in dieser Form als Urgestalt 1850 im Rahmen eines Uhren-Design-Wettbewerbs entstanden ist. Der Schöpfer der sogenannten Bahnhäusleuhr war der Architekt Friedrich Eisenlohr. Wie so oft wandelte sich ihre damals recht einfache Formensprache im Laufe der Zeit ins Ornamentale. Und sicher boten diese ornamentalen Schwingungen der damaligen Schnitzkunst größere Herausforderungen als Eisenlohr’s einfache Geraden. Das Design war seit jeher leitmotivisch gestaltet und trug damit der Region Schwarzwald Rechnung: Tannenzapfen aus Eisen als Zug-Gewichte, ein geschnitzter Kuckuck bzw. andere Vogelarten oder Jagdtiere kombiniert mit floralen Elementen – meist Blattwerk.
Erneuerung und Metamorphose im Wandel der Jahrhunderte
Der Kuckuck und seine eigentümlichen Brutpflegemarotten – er legt seine Eier ins Gelege anderer Vogelarten und hat damit seine Nachwuchsbetreuung outgesourcet – hat seine Entsprechung in 5 Jahrhunderten Kuckucksuhrenproduktion, deren beste Stücke immer noch in geschnitzter Handarbeit entstehen, deren produktionstechnische Nachfahren aber längst in gestreiften oder knallroten Corpussen den Geist der Kuckucksuhr in die Postmoderne getragen haben.
Kuckucksuhr-Schnitzer Christophe Herr erklärt im Video sehr anschaulich, wie eine handgeschnitzte Uhr entsteht und was ihre Besonderheiten sind.
30 Responses to “Was kuckuckst du? Die Metamorphose der Kuckucksuhr und ihre schwere Bürde zwischen Kulturerbe und Exportschlager”
[…] Was kuckuckst du? Die Metamorphose der Kuckucksuhr und ihre schwere Bürde zwischen Kulturerbe und Exportschlager … endoplast […]
es bleiben aber immer noch Fragen offen – oder hab ich nicht verstanden (?)
1. warum wurde ausgerechnet ein Kuckuck als Rufer ausgesucht? Wildschweingebrüll wäre doch auch nicht schlecht gewesen,
oder die Lerche und die Nachtigall wäre noch eine Herausforderung (siehe Romeo und Julia, man könnte bei zwei Rufern noch Vormittag von Nachmittag trennen. Wäre für die englischsprachige Weltbevölkerung vielleicht ein zusätzlicher Kaufanreiz)
2. Warum zu jeder Stunde? der Hahn (der urspünglich im Gespräch war)kräht doch auch nur vornehmlich morgens – oder nicht?
3. Wurde in Wahrheit vielleicht nur aus phonetischen Gründen das Tier gewechselt. Hahnuhr spricht sich schlecht…
4. Ist die K-Uhr außer der großen Standuhr die einzige, die die Stunde schlägt? Und welche von den beiden inspirierte Hemingway zu seinem gleichnamigen Roman?
Fragen über Fragen. Wer weiß die Antworten?
Gute Fragen. Warum der kuckuck? Ich denke mal, dass er im Schwarzwald verbreitet war und zudem hat er einen sehr schönen, regelmäßigen und prägnanten Ruf. Als Wecker würde sich eine Elster eignen. ;-)
Der Hahn kräht wesentlich öfter, verlässlich regelmäßig aber mehr morgens, stimmt. Ich denke mal, dass man früher genug zu tun hatte, um nicht immer in unmittelbarer Nähe der Uhr zu sein. So konnte man aus anderen Räumen oder von draußen auch schon rein akustisch hören, was die Uhr gewchlagen hat und wie spät es ist.
Stimmt auch, „Kuckuck“ ist ein sehr akzentuiertes Wort, sehr rhythmisch…
Nein, es gibt vile Uhren, die stündlich schlagen, meine Mutter hatte eine kleine Pendelwanduhr, bei der das so war, meine Großeltern eine niedriege aber dafür breite Standuhr, die auch stündlich geschlagen hat.
Ich lese gerade: Der Ruf des Kuckucks gilt als Vorzeichen für Heiratswillige und er verkündet den Frühling. Lies‘ mal im letzten Absatz hier: http://www.peter-hug.ch/lexikon/Kuckuck
Der kuckuck ist ein symbolträchtiges Tier. http://jg.seite.net/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/Peter_Eckardt/Symbole&localparams=3&db=Symbole&cmd=list&range=180,30&cmd=all&Id=376 Er gilt auch als „Zukunftskünder“ bzw. die Zahl der Kuckucksrufe galt als die Zahl der noch bevorstehenden Lebensjahre. Offenbar ist der Kuckuck schon ein Tier gewesen, in das man viel hineingedeutet hat. Ich persönlich glaube aber, dass sein ganz besonderer Ruf den Ausschlag gegeben hat.
Vielen Dank für die erhellenden Antworten!
Na ja, ein Experte bin ich auch nicht, zum Kuckuck. ;-))
Guckt aus der modernen Pyramiden-Uhr eine Mumie heraus?
Und wenn ja, welche Geräusche macht eine Mumie zur vollen Stunde?
Überhaupt: Wenn andere Tiere aus der Uhr heraus kommen, rufen die trotzdem „Kuckuck“?
Nein, das ist keine Mumie, obwohl man in der kleinen Darstellung daran denken könnte und würde ja auch irgendwie passen. ;-) Ich hab mal nachgeguckt, hier kannst du dir das extrem stark vergrößert ansehen, dahinter ist eine kleine Bildergalerie, wenn du auf das Bild klickst: http://www.schwarzwaldpalast.de/ Meiner Ansicht nach, ist das ein stilisierter Kuckuck, oder?
Eine Mumie müsste vermutlich ein Schleifgeräusch machen. ;D
Wenn andere Tiere andere Geräusche machen würden, wäre es aber keine kuckucksuhr mehr…
wenn es andere Tiere sind, ist es doch auch schon keine „richtige“ Kuckucks-Uhr mehr…
Wie weit wird der Begriff gefasst?
Der Link funktioniert leider nicht…
Hm, warum der Link auf die entsprechende Uhr nicht funktioniert, weiß ich nicht. Ich habe ihn jetzt durch den allgemeinen Link für die Homepage der Seite getauscht. Da musst du dann auf „Moderne Uhen“ gehen.
Wie weit man den Kuckucksuhrenbegriff fasst und ob es da andere Tierstimmen gibt, weiß ich nicht. Das würde für mich aber auch nur Sinn bei Trashuhren machen…
Hab’s mir angeguckt. Ein Albino-Kuckuck, naja.
Ich würde es mir nicht aufhängen (oder ist es eine Standuhr?).
Wer hat heuzutage überhaupt noch eine Wanduhr? Ich könnte mir vorstellen, dass es in Ermangelung anderen Wandschmucks – der vielleicht für „Normalverdiener“ unerschhwinglich war – viele Wanduhren gab. Heute sieht man sie ehre in Büros, wo jeder pünktlich Feierabend machen will.
Zuhause kann sich jeder Bilder – seien es auch nur Poster – oder schöne Spiegel als Wandschmuck leisten, da ist die Wanduhr und somit auch die Kuckucksuhr in der Versenkung des Exportartikels verschwunden.
Und übrigens: Mumien wurden nicht geschleift ;-))))
die waren eigentlich eher ruhig…
Ich denke, die Pyramide ist eher eine Standuhr.
(Übrigens: WordPress, die Blogsoftware hier, scheint diese Links mit mehreren Doppelpunkten nicht zu akzeptieren; denn ansonsten funktioniert der vorherige Link, den ich wieder rausgenommen habe.)
Auf der Webseite steht, dass es eine Tischuhr ist.
@Maria jansen: ;D Es sei denn sie werden von Grabräubern heimgesucht.
Das Schleifgeräusch entsteht eher, wenn sie sich in Horrorfilmen langsam auf dich zubewegen, weil die Bandagen am flüssigen Gang hindern. ;-)
Ist ja auch wurscht ob Wand- oder Tischuhr. Im Vordergrund steht wohl der Dekoaspekt, denn von Zeitmessern sind wir ja überall umgeben: auf dem Computer, dem Handy, am Arm usw.
Den Unterschied macht wohl auch der akustische Aspekt: Man braucht nicht hinsehen, man hört die Uhrzeit.
Ich muß sagen, dass ich die alten Kuckucksuhren schöner finde als die neuen. Ich würde sie mir zwar nicht an die Wand hängen aber die sind wie ein Relikt aus einer anderen Zeit und somit zeitlos (haha, eine zeitlose Uhr…) wie die großen Standuhren.
Moderne Varianten müssen nicht immer besser sein. Ein Kuckuck aus einer Pyramide oder einem bunten Kasten ist doch eher sinnentleert.
In dem Video am Ende des Artikels, in dem gezeigt wird, wie solche Uhren entstehen, sind sehr große Kuckucksuhren zu sehen. Die finde ich richtig gut. Ich mag auch eher das Alte.
Zum Thema „Sinnentleerung“: Es ist ja die Frage, ob so eine geschnitzte Uhr aus einem eigenen Kulturverständnis kommt, also quasi aus der Tradition weiterentwickelt wird, oder ob das einfach für den Markt so gemacht wird, weil die Erwartungshaltungen da sind.
Was ich mir wünschen würde, wären geschnitzte Uhen ohne Männchenschnickschnack, die aber einer modernen Formensprache Rechnung tragen.
Dann enwirf (entwerf?) doch mal eine!
ich hab noch ein besonderes Schmankerl gefunden:
http://www.youtube.com/watch?v=RKdMiJNPQ8g
Total gute Idee. Ich hab schon eine im Kopf. Ich mache das mal bei Gelegenheit und poste es hier.
Super Fundstück! Witzig… ;-)
Damit beantwortet sich auch eine deiner Fragen.
Hast du eigentlich eine Kuckucksuhr zuhause oder hatten deine Eltern…?
Nö. Aber da besteht auch keine lokale Verbundenheit zu Kuckucksuhren.
Kann sein meine Tante hatte eine in der Gastwirtschaft hängen. Ich meine mich an ein Foto zu erinnern. Wenn ich es finde, häng ich es an
Gerne… würde mich interessieren.
[…] Personal, Christbaumschmuck und Spieldosen – und eben Nussknacker, die neben Gartenzwergen und Kuckucksuhren ein Klassiker der Volkskultur und kunsthandwerklichen Darbietung geworden […]