„Der kommt aus Dachau, der wird eh bald verbrannt“. Es folgt ein dröhnendes Lachen. Ich sitz im Bus und kann’s nicht fassen. Aber ja, der Busfahrer hat es tatsächlich genauso gesagt. Und zwar mit einer ungewöhnlich guten Laune, wenn man bedenkt, dass er einen vollgepropften Bus nach Bier und Schweiß stinkender Festival-Besucher anhalten muss, nur weil der Dachauer Wagen vor ihm auf dem Feldweg spontan das Camping-Geschirr neu sortiert.
Normalerweise wäre meine gute Laune bei so einem Kommentar ins Bodenlose gefallen. Stattdessen folge ich mental meinem Busnachbarn und hake es unter „mangelnde Auseinandersetzung mit dem Thema“ ab. Im Taubertal herrscht nämlich ein Zauber der Gelassenheit, dem ich mich nicht entziehen kann.
18.000 Besucher feierten an diesem Wochenende zum 16. Mal in der pittoresken Umgebung entlang der Tauber. Zelte, die man vermutlich nur in Embryonalstellung als Schlafstatt nutzen kann, und stattliche Partyburgen mit 50.000 Watt stehen einträglich nebeneinander. Auch das Line-Up ist mehr als gemischt: Musik-Urgestein Iggy & the Stooges ist ebenso dabei wie die angesagten Acts Bullet for my Valentine oder Pendulum. Die Thirty-Somethings, die sich unter das eher in den 80ern geborene Publikum mischen, sind dankbar für den vertrauten 90er Sound der Fantastischen Vier und Blumentopf. So sind alle irgendwie zufrieden und es herrscht eine generationenübergreifende Wohlfühl-Athmo, wie sie wohl nur noch auf wenigen Independent-Festivals zu erleben ist.
Im Festival-Gateway Rothenburg ob der Tauber scheint man sich über die Jahre auch gut auf die wilde Horde eingerichtet zu haben. Der Shuttle-Bus fährt zwar planmäßig außerplanmäßig, dafür aber strategische Ziele an: Zuerst das Freibad, dann erst den Bahnhof. Auf diese Art kommen die durchzechten Partygäste frisch geföhnt in der historischen Altstadt an, und versauen den Japanern nicht die Fotos. In Fernost hat das hübsche Städtchen nämlich seit jeher einen festen Platz in der 3tägigen Europa-Tour.
Sogar von der an diesem Wochenende grassierenden Schlechtwetterfront blieb das Taubertal weitestgehend verschont. „Ein Mix aus Sonne und Wolken“ verspricht der Wettergott leichtfertig im Autoradio und genau diese sorgt für ein wenig Flüchtlings-Camp-Stimmung.
Erst am frühen Sonntagabend, als die meisten Besucher schon Ihre Zelte abgebrochen haben, plästert es auch auf das Taubertal herab. Fortan gehen der Boden auf dem Stoppelfeld und Turnschuhträger aus dem südlichen Bundesgebiet eine dauerhafte Bindung ein, die nur durch beherztes Tanzgehabe in einer der riesigen Pfützen auf dem Konzertgelände gelöst werden kann. Das Kollektiv nimmt es gelassen, und in der Not schützen sich sogar Bayern-Fans mit Regen-Capes, die der St. Pauli-Merchandising-Stand wie warme Semmeln für 1,50 verkauft.
Im Zwielicht wirkt die Weite der Zeltstadt mit den leuchtturmartigen Dixi-Klos zeitweise fast apokalyptisch. Glücklicherweise holen mich die Cowboy-Hüte in der Toiletten-Schlange vor mir wieder in die Realität zurück – oder zumindest so etwas ähnliches. Das mir angebotene Franziskaner und eine Sprachmischung aus Mainfränkisch und Bayrisch ist eigentlich nicht meine Realität. Aber man tunt sich ein… auf zauberhafte Art und Weise.