Wenn Donald Trump spricht, sieht man seinem Gesicht an, dass er lügt und dementsprechend seine Wähler nicht ernst nimmt, zum Beispiel dann, wenn er von der gestohlenen Wahl spricht (obwohl er die Wahl 2020 gegen Joe Biden verloren hat). Warum fühlen sich seine Fans aber gerade von ihm ernstgenommen, wie kaum von einem anderen Politiker?
Und warum erscheinen die Trump-Rallys eigentlich wie verbale Ein-Mann-Gladiatoren-Kämpfe oder erinnern an eine verstörend-grausame Version einer Stand-Up-Comedy, als dass sie eine ernsthafte Auseinandersetzung mit politischen Inhalten wären? Immerhin geht es ja bei vielen Wählern um ihr eigenes Leben, das besser werden soll.
Häuserkampf in Amerika
Wie auf Endoplast schon dargelegt, produziert ein hartes Wirtschafts- und Polit-System wie in den USA Verlierer en masse. So haben zwischen 2006 und 2014 rund um die letzte Finanzkrise (die 2008 Fahrt aufnahm) etwa 10 Millionen Amerikaner ihre Häuser verloren,
- ob per Zwangsversteigerung mit der Perspektive der Obdachlosigkeit,
- indem sie mit hohem Verlust aus den Finanzierungsplänen aussteigen oder
- ihre Immobilie notgedrungen unter Wert verkaufen mussten.
Das hat deutlich sichtbare Spuren in der amerikanschen Befindlichkeit hinterlassen.
Das Wut-System
Der finanzielle und mentale Schaden, der dadurch entstanden ist, ist kaum zu ermessen und bietet eine Erklärung dafür, dass Donald Trumps Rhetorik vielerorts auf offene Ohren stößt. Denn wer gelitten hat, hat Wut auf das System und freut sich über eine sadistische Rede. Die herabwürdigende Perversions-Rhetorik eines Donald Trump von der Bühne herunter zu vernehmen, befreit ungemein – nicht nur die ehemaligen Immobilien-Besitzer, sondern alle, die unter die Räder des Systems gekommen sind. Dazu gehören Bürger, die Angst vor der Zukunft haben oder als verunsicherte Männer angesichts der emanzipatorischen Geschlechterkonkurrenz ihren Status nicht mehr verstehen. Auch etwa die Auswirkungen der Inflation von der Politik nicht wahrgenommen zu sehen, macht wütend. Nicht zu reden von all jenen, die generell die zu schnelle Taktgebung der modernen Welt nicht mehr nachvollziehen können: „Virtuelle Realität“, „Bitcoin“, „Quanten-Computer“, „Künstliche Intelligenz“, „Reisen zum Mars“ – aber was ist mit den täglichen Bedürfnissen vieler verunsicherter Amerikaner, die mit solch einer Welt, in der sich Arbeit zunehmend virtualisiert und die männliche Muskelmasse wegen Untätigkeit schrumpelt, fremdeln?
Das Ende der Haustiere
Im Gegensatz dazu sehr verständlich ist dem gegenüber aber die aus einfachsten Sätzen bestehende Gebetsmühlen-Rhetorik eines Donald Trump, die wie ein ungelenkter Stream of (Un)Consciousness all die Emotionen und Rache-Phantasien enthält, die das Publikum selbst nicht auszudrücken vermag. Wie ein guter Vater holt Trump die johlenden Geschundenen in seinen Veranstaltungen dann scheinbar an seine Seite und verspricht: „I am your Retribution“/„Ich bin eure Vergeltung“. Damit aber auch die Nicht-Geschundenen angesprochen werden, nutzt er verstörende und dunkle Sprach-Bilder des Niedergangs, des Verzagens, schildert er, wie sehr Amerika ja eigentlich ein Opfer geworden ist, das von allen ausgenutzt werde. Wenn er davon spricht, dass Millionen geisteskrank-kriminelle und haustiervertilgende Vergewaltiger über die Grenze von Mexiko strömen, überhöht er morbide Sprachgebilde, die auch rationale Menschen verunsichern sollen.
Faszination der Untergangs-Phantasien
Dabei sind solche abseitigen Szenarien doppelbödig: Einerseits sind sie absolut ernst vorgetragen, ohne Augenzwinkern und Relativierung, damit sie ängstigen, andererseits sind solche haltlosen Absolutismen für seine Zuhörer ein Spaßfaktor: man fürchtet sich nicht nur wie auf der Achterbahn oder im Gruselkabinett, man lacht auch darüber, dass einer solche krassen Worte findet, die orientierungsstiftend Gut und Böse ohne Zwischentöne voneinander trennen. Für MAGA-(„Make America Great Again“)-Fans haben diese Zerrbilder der Wirklichkeit einen hohen Unterhaltungswert, der auf dem Vorgetragenen basiert aber vor allem auf dem Vortragenden, der sich als scheinbar mutiger Stellvertreter der Masse traut, alles zu sagen.
Zwischen Leid und Amüsement
Wenn die Lebenswirklichkeit zu belastend wird oder auch nur – etwa wegen Zukunftsangst – als belastend empfunden wird, ist die Flucht in das Seichte, in Unterhaltung und Entertainment zwangsläufig. Denn Unterhaltung erleichtert das Verdrängen, erleichtert den Urlaub vom Bewusstsein und schützt davor, der harten Realität immer direkt ins Auge blicken zu müssen. Und wenn doch, dann am besten gefiltert durch einen politischen „Vollstrecker“ wie Donald Trump. „Demokratie“, „moralische Werte“, „Nachdenklichkeit“ oder „Besonnenheit“? Das will man sich angesichts der suggerierten Untergangsphantasien und überbordenden Verschwörungsmythen nicht mehr leisten. Wer leidet oder leiden will, goutiert harte Bandagen in der politischen Wundversorgung.
Überforderung und Unterforderung
Dabei ist die Informationsaufnahme des Menschen mitunter als ein Wechselspiel zwischen Unterforderung und Überforderung anzusehen, also zwischen Wahrgenommenen, das man ganz leicht und intuitiv versteht, und zwischen Wahrnehmungen, die schwer verständlich sind, wie die Komplexität in der echten Politik. Eine krisenhafte Wirklichkeit oder eine als solche apostrophierte ist auf die Dauer eine Überforderung. Ein auf die Bühne tanzender Donald Trump, ein auf der Bühne wippender Roger Stone oder ein hin und her springender Elon Musk stehen für die Leichtigkeit des Seins, für die absolute Unterforderung, bei der auf erstes Erschrecken angesichts des nahen Untergangs die Einfach-Lösung in Form politischer Tanzbären folgt. Botschaft: „Alles wird gut. Wir machen Amerika wieder groß“ – obwohl andere Mächte wie China und Indien immer relevanter werden und die Tage von Amerika als Ordnungsmacht längst gezählt scheinen.
Worthülsen mit Platzpatronen
Auffällig ist, dass es nie wirklich um ernsthafte politische Inhalte geht, es geht um den Anschein von Inhalten, um entleerte Worthülsen, die Wut und Hass kanalisieren und personenkultgetrieben mal wie im Fürsten-Roman Donald Trump als märchenhaft verklärten Retter positionieren oder ein andermal als einen ewig dynamischen Superhelden mit Superkräften. Dass er tatsächlich aber ein unstabiler, ungebildeter älterer Herr um die 80 mit Gewichtsproblemen ist, der sich vor dem Wehrdienst gedrückt hat, sich etwas ungelenk schminkt und einen lustigen Haarschnitt hat, dass er nicht mit Geld umgehen kann und ein verurteilter Sexualstraftäter ist, wären Ansätze für ein realistisches Bild, das für viele seiner Wähler aber wieder in eine schlimme Überforderung münden würde.
Gewinner und Verlierer
Trump hüpft in die Lücke, die für die Belange bestimmter Wählergruppen scheinbar blinde und taube Politiker hinterlassen haben. Amerika hat sich immer als das Land der Gewinner stilisiert, doch wenn die Bevölkerung – von den 813 Milliardären und den 23 Millionen Millionären einmal abgesehen – praktisch nur noch aus Verlierern besteht bzw. sich als Verlierer Wahrnehmenden, sind dem Populismus Tür und Tor geöffnet. Im Deutschland vor etwa 100 Jahren ist angesichts einer ähnlichen Gemengelage der Nationalsozialismus erstarkt. Ein Führerkult war damals entstanden, in dem Adolf Hitler intuitiv die Angst in der Bevölkerung spüren und verbal in Hass transformieren konnte, der alles legitimiert hat.
Wut als Droge
Man kann es auch so sehen: Wenn sich in der amerikanischen Gesellschaft zu viel Angst, Wut und Hass angestaut haben, die durch Echokammern im Web und aus Megaphon-Mündern von Politikern wie Donald Trump verstärkt werden, dann braucht man ein Trivial-Ventil in Form eines Heilsbringers, dessen zweite Haupteigenschaft neben der Selbstüberhöhung ist, dass er sich als Opfer stilisiert. So entsteht ein unterhaltsames Drama-Spannungsfeld zwischen Sadismus und Masochismus, zwischen eigener Erhöhung und Erniedrigung des Anderen. Dass davon abgesehen gerade Trump eigentlich der allerletzte Amerikaner wäre, der als Vorbild dienen könnte, zeigt, wie ausgeprägt der Wunsch seines geschundenen Publikums nach Bewusstlosigkeit und Unterforderung sein muss.