Wie ein Wirbelwind kam Neal Adams über die amerikanische Comicbook-Szene, wütete ein Jahrzehnt lang, wurde reich und berühmt und behielt sein Leben lang seinen guten Namen. Er setzte sich für ehrenwerte politische Ziele ein. So unterstützte er Dina Babbitt, die als Jüdin im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ihr Leben nur retten konnte, indem sie ab 1944 für den berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele Portraits von Romas anfertigte, die er als Illustrationen in einem Buch verwenden wollte, das über seine Menschenversuche veröffentlicht werden sollte. Neal Adams unterstützte Dina Babbitt in ihrem Gesuch an das polnische Lagermuseum Auschwitz die dort vorhandenen Bilder an sie zurück zu geben.
Comiczeichner-Förderer Neal Adams
Auch zahlreiche Comiczeichner-Newcomer wie Frank Miller wurden von Neal Adams gefördert und an Verlage vermittelt. Neal Adams setzte sich erfolgreich für die Rechte der von den Verlagen übervorteilten Zeichnern und Autoren ein oder bemühte sich, eine Gewerkschaft für Comicschaffende zu gründen. Er schuf eine neue Zeichenstilistik, neue Layouts, neue Inhalte. Neal Adams war ein Überflieger, ein Hans Dampf in allen Gassen. Als Zeichner war er eine Liga für sich, seine Cover steigerten die Auflagen der Hefte, manche „Batman“-Darstellungen wurden ikonisch und setzen bis heute Standards für die Darstellung der Figur.
Jack Kirby und Neal Adams
Von Zeichner-Legende Jack Kirby (1917-1994) übernahm Neal Adams dramatische Darstellungsweisen, verfeinerte sie, detaillierte sie realistischer und setzte eine neue Art zeichnerisch umgesetzter Kameraführung ein, die seine Comics prägten. Dazu gehörte etwa seine Vorliebe für die Froschperspektive, aus der er Figuren und gerne Gesichter zeigte. Neal Adams war aber generell bekannt für wahnwitzige Kamerafahrten aus unterschiedlichsten Extremperspektiven. Typisch für Adams war eine subjektive Kameraführung, bei der die gedachte Kamera hinter dem Helden herfuhr oder herflog, sodass etwa „Batman“ im Flug oder Sprung oft von hinten zu sehen war und der Leser sich als sein Weggefährte empfinden konnte. Man könnte sagen: Mit Neal Adams war man „Batman“ näher als je. Würde man Neal Adams als Regisseur betrachten, so war er, was seine Kameraführung anbelangt, der größte Innovator bei den amerikanischen Comicheften/Comicbooks dieser Zeit – nur zu vergleichen mit Altmeister Will Eisner bei seinem Comic-Klassiker „Spirit“.
Marvel, DC und die Comic-Moderne
Jack Kirby war seinerseits ein zeichnerischer Innovator unter anderem in Sachen dynamischer Darstellungsweisen. Inhaltlich hat Marvel in den 1960er-Jahren eine eigene neue Art von Realismus in die Charakterisierung seiner Figuren hineingebracht. Dies waren Superhelden mit Superproblemen. Die vier Mitglieder der „Fantastic 4“ hatten in fast jeder Ausgabe nicht nur Bösewichte auszuschalten, sondern auch gruppendynamische Probleme zu bewältigen. Minderwertigkeits- und depressive Gefühle spielten dort bei Underdog Ben Grimm (= „The Thing“) eine große Rolle. Nicht dass es Probleme nicht auch schon bei „Superman“ oder „Batman“ bei DC gegeben hätte aber vor allem die Figurenzeichnung eines „Superman“ war erzählerisch viel weniger aus dem Leben gegriffen. Probleme waren weniger präsent und hatten weniger Relevanz. Curt Swans „Superman“ wirkte in seiner physischen Breite auch eher wie ein Mann in seiner 40er-Jahren, aus heutiger Sicht etwas altväterlich und konservativ, wenig dynamisch, fast hölzern. Als Jack Kirby 1970 zu DC wechseln sollte, hatte DC nicht Besseres zu tun als vor allem seine kirbytypischen, vereinfachten „Superman“-Gesichter von anderen Zeichnern realistischer neu zeichnen und austauschen zu lassen. Dies tat neben Murphy Anderson übrigens auch Neal Adams.
Realistische Darstellung der Überdramatisierung
Von Jack Kirby übernahm Neal Adams auch den überdramatisierten Effekt perspektivischer Verkürzung, sodass Hände oder Fäuste seiner Superhelden dem Leser regelrecht entgegenflogen. Ebenfalls hat Jack Kirby meisterhaft mit Licht und Schatten – sprich: mit dem Einsatz von Schwarzflächen – und mit dynamisierten Linien gearbeitet. Doch wo Kirby visuell vereinfachte und auf Abstraktion aus war, arbeitete Adams detailliert mit viel dünneren Linien und anatomisch realistisch, wie er überhaupt als der Realist der 1970er-Jahre gelten kann. Dies griffen jüngere Zeichner auf und führten den darstellerischen Realismus zu neuer Blüte. Neal Adams hatte Einfluss auf Zeichner wie Bill Sienkiewicz oder Jim Lee, die ihrerseits stilbildende Vorbilder wurden.
Realismus und Abstraktion: Zwei verschiedene Arbeitsweisen
Bereits beim „Ben-Casey“-Tageszeitungsstrip, den Neal Adams 1962-1966 zeichnete, war der Realismus seiner Figuren beeindruckend. Dieser basierte darauf, dass Neal Adams meist Fotovorlagen verwendete. Er fotografierte etwa sich selbst oder andere Personen und konnte so anatomisch genau arbeiten. Ähnliches tat übrigens Vorbild Alex Raymond bei seinen Tageszeitungsstrips „Flash Gordon“ oder „Rip Kirby“.
Jack Kirby, der bis dahin als der einflussreichste Zeichner der amerikanischen Comichefte galt, tat genau das Gegenteil. Weder zeichnete er realistisch oder anatomisch korrekt, noch war überhaupt vieles, das er zeichnete, der realen Welt entlehnt. Fantastische Bösewichte und Monster bevölkerten seine Comic-Welten, ebenso wie Fantasie-Maschinen und sowieso Helden in selbst designten Kostümen. Einzig seine Gebäude- und Stadtansichten wirkten realistischer, wie auch Alltags-Kleidung oder Autos. Da Jack Kirby aber meist ohne Vorlage zeichnete, war er schneller als die meisten anderen, mit zunehmendem Alter weniger mehr vereinfachend. Man kann Jack Kirby stilistisch und arbeitstechnisch sogar als das genaue Gegenteil von Neal Adams ansehen – allerdings was den Einsatz visueller Techniken anbelangt, übte Jack Kirby nicht nur Einfluss auf Neal Adams aus sondern direkt oder über die Jahrzehnte indirekt auf zahlreiche andere Superhelden-Zeichner wie etwa Walter Simonson oder Frank Miller (der aber auch von Neal Adams geprägt war).
Neal Adams und seine filmische Herangehensweise
Zu bedenken ist, dass Neal Adams, der als sehr junger Zeichner zunächst bei diversen Strips ausgeholfen hatte, seinen ersten großen Augenblick beim Strip „Ben Casey“ hatte. Der wurde so auch zum Lern- und Übungsfeld für Neal Adams. Der Strip wurde parallel zur gleichnamigen Fernsehserie publiziert, was drei Voraussetzungen für Neal Adams schuf:
- Abbildungsgenauigkeit: Der Zeichner musste darauf achten, dass es eine Ähnlichkeit zu den Figuren der Fernsehserie gab. Das heißt, speziell seine Realismusfähigkeit war hier schon besonders gefordert.
- Foto-Vorlagen: Zugleich hatte Neal Adams in Form der Fernsehsendung oder den entsprechenden Setaufnahmen Foto-Vorlagen für seinen Comic, was eine Erleichterung darstellte.
- Filmsprache: Zum dritten wird ein Zeichner, dessen Ausgangspunkt eine Fernsehsendung ist und der so ständig mit bestimmten Kameraeinstellungen konfrontiert ist, von vornherein filmischer arbeiten.
Jack Kirby übrigens, arbeitete nicht explizit filmisch wie etwa Will Eisner. Man kann Jack Kirby aber zugutehalten, dass er auf verschiedenen Ebenen aus dem Medium Comic für sich etwas höchst Individuelles gemacht hatte, das sich nicht bei anderen Medien bediente, weder beim Realfilm, noch beim Zeichentrickfilm. Dass Jack Kirby aber filmische Visualisierungsformen durchaus beherrschte, kann man an seinen Storyboard-Zeichnungen für die „Fantastic-4“-Zeichentrickfilme sehen.
Generationswechsel bei den Superhelden-Comic-Zeichnern
Neal Adams löste als Protagonist realistischer Darstellungsweisen in den 1970er-Jahren den Stil von Jack Kirby ab. Der Tod von Neal Adams kann auch symbolisch verstanden werden. Die wesentlichen Protagonisten jener Comicschaffenden, die von Pulps, Phantastik und speziell auch von den ersten Superheldencomics beeinflusst waren, sind nun verschwunden. Mit dem Tod von Jack Kirby 1994 und dem Tod von Richard Corben (1940-2020) waren zwei für die gesamte Comickultur in den USA prägende Zeichner Geschichte. Beide hatten auf ihre Weise dem idealisierten Übermenschenideal gefrönt. Jack Kirby mit einer breiten Palette an Superhelden und Göttern, die er mit entwickelt hatte: Fantastic Four, X-Men, Avengers, Hulk, Iron-Man, Thor oder Eternals, um nur ein paar Beispiele zu nennen. (Richard Corben war vor allem in seiner „Den“-Saga berühmt geworden.)
Welche Comics von Neal Adams bleiben in Erinnerung?
Bei Neal Adams wird man sich an folgende Werke bei DC-Comics erinnern:
- „Batman“-Comics
- „Superman“-Cover
- Cover-Zeichnungen für diverse Comicheft-Serien
- „Green Lantern“/„Green Arrow“ (1970-74).
Interessant und fast witzig ist, dass man als zeichnerischen und gestalterischen Höhepunkt von Neal Adams bei den Superhelden-Comics aber zwei frühe Marvel-Engagements ansehen kann.
- „X-Men“: 9 Hefte, Nr. 56-63, 65 (1969–70)
- „Avengers“, 4 Hefte, Nr. 93–96 (1971-72)
Beide Serien wurden kongenial von Tom Palmer getuscht, der mit seinen sehr feinen Pinsel-Strichen der Finesse der Bleistiftzeichnungen von Neal Adams mehr als gerecht wurde. Tuschzeichner Dick Giordano interpretierte Neal Adams’ Strichführung bei den „Batman“-Geschichten etwas anders. Bei den „Green Lantern“-/„Green Arrow“-Comics gab es neben Dick Giordano Frank Giacoia und Dan Adkins als Tuschzeichner, sodass manche Tuschumsetzung nicht dem Standard von Neal Adams entsprach. Auch Bernie Wrightson interpretierte zwei der Geschichten gekonnt mit seinen langen Pinselschraffuren. Generell kann man die elegante Strichführung von Neal Adams aber eher nachvollziehen, wenn man die Bleistift- oder Schwarz-Weiß-Zeichnungen sieht, weil die Farbgebung der Hefte die Wirkung der Striche überlagert.
Die neue Physiognomie der Superhelden
Neal Adams war nicht nur bei der Strichführung und dem dynamischen Layout innovativ, auch die Darstellungen der Physiognomie seiner Helden war neu. Bei Jack Kirby (und auch bei Richard Corben) wirkten die Helden eher breit, gedrungen oder übermuskulös. Das war der damaligen Zeit geschuldet. Auch die alten „Superman“- oder „Batman“-Figuren von Marvel-Konkurrent DC hatten tendenziell eine solche Physis, die Frank Miller später in „Dark Knight“ oder „Sin City“ reaktivieren und überbetonen sollte. Neal Adams setzte dem in den 1970er-Jahren ein anderes Körper-Ideal entgegen. Auch hier waren die Helden athletisch aber realistischer, magerer und filigraner, nicht wie Bodybuilder sondern eher wie trainierte Sportler. In späteren Jahren rückte Neal Adams von dieser Darstellungsweise ab und ließ seine Helden zunehmend breiter wie aufgepumpte Bodybuilder aussehen.
Neal Adams und die Comicheft-Kultur
Ab den 1980er-Jahren hat sich Neal Adams jahrzehntelang vor allem der Werbung und den Storyboards für Film und Fernsehen zugewandt.
Vorher hatte er, was damals ein Novum war, Ende 1960er-Jahre und in den 1970er-Jahren parallel für die Konkurrenten Marvel und DC gezeichnet. Nach „Deadman“ sollte er „Batman“ neu ausrichten und danach auch „Superman“, den allerdings vor allem durch seine berühmten Cover oder sein Comic-Sonderprojekt „Superman vs. Muhammad Ali“ (1978). „New Wave“ und comicgeschichtlich relevant war aber vor allem seine „Green Lantern“-/„Green Arrow“-Heftserie zusammen mit Texter Dennis O’Neil, die aktuelle Themen wie „Drogensucht“, „Jugendsekten“, „Rassenhass“ oder „Armut“ aufgriffen und die Superhelden damit auf den Boden der Tatsachen holten.
Drei Schaffens-Phasen von Comicbook-Zeichner Neal Adams
Die Arbeit von Neal Adams als Comic-Schöpfer im Bereich der Superhelden-Comics kann man im wesentlichen in drei Phasen einteilen:
- Phase 1 (1970er-Jahre): Arbeiten für Marvel und DC Ende der 1960er-Jahre und vor allem in den 1970er-Jahren
- Phase 2 (1984-1994): Publizierung von Heftserien im eigenen „Continuity Publishing“-Verlag (=„Continuity Comics“). Dies waren vor allem:
„Frankenstein“: „Echo of Futurepast“, 5 Hefte (1984-85)
„Ms Mystic”: 2 Hefte (1986-88)
„Revengers featuring Megalith”: 5 Hefte (1986-88)
„Captain Power and the Soldiers of the Future”: 2 Hefte (1988-89)
„Valeria the She-Bat”: 2 Hefte (1993) - Phase 3 (ab 2000): Projektweise diverse Einzelprojekte und Miniserien für Marvel und DC:
X-Men: Giant-Size Nr. 3 (2005), Einzelprojekt
New Avengers, Ausgabe 2, Nr.16.1 (2011), Einzelprojekt
Batman Odyssey: Nr. 1-13 (2010-12), 2 Miniserien
First X-Men: Nr. 1-5 (2012-13), Miniserie
Batman/Harley Quinn: Ausgabe 3, Annual Nr.1 (2016), Einzelprojekt
Superman/Harley Quinn: Nr. 5 (2016), Einzelprojekt
Superman: The Coming of the Supermen, Nr.1-6 (2016), Miniserie
Deadman: Nr.1-6 (2017–2018), Miniserie
Fantastic Four: Antithesis Nr.1-4 (2020), Miniserie
Batman vs Ra’s al Ghul: Nr.1-6 (2019-2021), Miniserie
Innovatives Erzählmedium „Comicheft“
Es gibt in der Geschichte der Zeichnung kulturübergreifend kaum ein so dynamisches Feld wie das der Comicbooks. Man kann Superheldencomics wie „Superman“ oder „Batman“ in der Tradition von Märchen oder noch mehr von Sagen sehen. Auch die Gottfiguren diverser Religionen haben einen großen Einfluss auf die Superheldencomics. Sowohl die Protagonisten von Heldensagen (wie etwa Siegfried) als auch etwa griechische oder nordische Götterfiguren waren regelrechte Superhelden, jedenfalls ausgestattet mit Möglichkeiten, die weit über das Menschenmögliche hinausgehen. Dies findet seine Entsprechung bei Wesen von anderen Planeten in der Science-Fiction-Pulp-Literatur oder dem Fantasy-Genre.
Popkultur und Superhelden
Vieles, was die Popkultur auch heute noch durchdringt, entstammt der Grundidee des Übermenschlichen. Ob es das Horror-Genre mit Monstern, Hexen oder Vampiren ist, das Fantasy-Genre mit Zauberern und Trollen oder selbst das Kriegs-bzw. Soldaten-Comics-Genre, das in den USA ein wichtiger Bestandteil der Populärkultur ist. Denn auch dort wie in den Western-Comics wachsen normale Menschen über sich hinaus und ermöglichen manchmal auch das eigentlich Menschenunmögliche.
Realismus und Eskapismus in den Comics
Das entfaltete in den Superhelden-Comicbooks gerade für eine junge männliche Leserschaft einen identifikatorischen Reiz. Jack Kirby war einer jener visuellen Erzähler, die ihre Helden in einem eigenen nicht-realistischen, dem Alltag entrückten, Kosmos handeln ließen. Neal Adams konfrontierte anfänglich sowohl inhaltlich als auch zeichnerisch seine Heldenfiguren mit ihren menschlichen Eigenschaften und mit den Problemen der Alltagswelt.
Neal Adams und sein Anspruch
Superhelden-Comics transportierten lange Zeit Allmacht-Phantasien eines jungen männlichen Publikums. Doch aus Kindern wurden Erwachsene, die nichtsdestotrotz ihren Kindheits-Comichelden verhaftet waren. Sie konnten die Comicgeschichten und deren Zeichnungen nun anders – erwachsener – rezipieren. Neal Adams war eine Symbolfigur für das (relative) Erwachsenwerden der amerikanischen Comics.