So wie die menschliche Interaktion mit der Wirklichkeit Erkenntnisse über die Welt generiert, so fördert sie ebenfalls Erkenntnisse über das Menschsein zu Tage, und der Abgleich zwischen Welt und Ich zeitigt Aufschlussreiches über das Wechselspiel zwischen dem Sein des Individuums in dieser Welt.
Das Ich und seine Welterfahrung
Diese Selbsterkenntnisse bringen zweierlei: einerseits die Definition und Stabilisierung des Ich auf der psychischen Ebene, andererseits bilden Erkenntnisse im Bereich der Selbstreflexion auch eine Gefahr für das denkenden Individuum, das sich dadurch selbst in Frage stellen könnte. Letzteres meint ein Leben, das sich seiner fremdbestimmten Funktionsstrukturen bewusst geworden ist.
Erkenntnis in der Matrix
Die Erkenntnis könnte lauten: „Ich bin nicht ich und frei sondern ich bin programmiert und unfrei. Meine Freiheit wird nie absolut sein, sondern vollzieht sich im Rahmen eines vorgegebenen Selbstkonzeptes.“ Ähnlich wie ein Computer, der zwar seine Möglichkeiten durch immer neue Anwendungsprogramme erweitern kann aber letztlich mit immer dem gleichen Betriebssystem mit einer bestimmten Gedächtnisleistung und Schnelligkeit auf einer bestimmten Hardware läuft, die eine grundsätzliche Begrenzung definieren. So ist auch der Umfang von Handlungsfähigkeit und Erkenntnisleistung vorgegeben und damit eingeschränkt.
Bedeutung und Sinnerfahrung
Menschsein ist aber komplizierter als die Funktionsweise eines Computers. Der Mensch strebt in seinen Lebensäußerungen nach Bedeutung oder ersetzt diese mögliche Bedeutung durch die Lust am Haben und Besitzen, meist durch Anhäufung von Materiellem. Viel zu besitzen wird mit der eigenen Bedeutung gleichgesetzt. Reich zu sein, heisst aber nicht, Bedeutung in seinem Leben generiert zu haben. Es fällt auf, dass reiche Menschen in der Kunstszene zu Mäzenen werden oder aber Kunst sammeln, die mitunter zu großen Sammlungen anschwillt. Warum tun sie dies? Es mag die Lust daran sein, etwas zu erwerben, das einmalig ist oder auch einmalig teuer ist, weil es nur einmal auf der Welt vorhanden ist. Es gibt nämlich nicht viel, das ein Unikat ist und zugleich hochgradig bedeutsam. Als Gegenstand kann nur ein Kunstwerk diese Eigenschaften auf sich vereinigen.
Kunst als Weltaussage
Ein Kunstwerk ist etwas dem menschlichen Leben Entrücktes, etwas, das nicht natürlicherweise und lebendig in der Welt vorkommt wie etwa ein Lebewesen sondern erst erschaffen werden muss. Die Entstehung von Kunst erinnert fast an den Akt einer Geburt. Ein Kunstwerk ist zeitgebunden, das heisst es sagt etwas über die Zeit aus, in der es entsteht. Es fängt die sonst schwer greifbare Atmosphäre der wahrgenommenen Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt ein, es reagiert auf Innenwelten wie auch zugleich auf die Außenwelt. Einen individuelleren und unter Umständen mit Bedeutung aufgeladeneren Gegenstand als ein Kunstwerk gibt es nicht.
Bedeutsamkeit und Bedeutungslosigkeit
Das Kunstwerk sagt also etwas über das menschliche Leben und das menschliche Sein aus, es beinhaltet per se eine Bedeutung, genauer gesagt: Kunst kreiert Bedeutung, indem sie die Welt abbildet, ausdrückt und interpretiert. Wer Kunst schafft, zeigt, was für ihn in einem Spannungsfeld zwischen Weltabbildung und Selbstabbildung, zwischen Außenwelt und Innenwelt bedeutsam ist. Er priorisiert eine bestimmte Weltsicht und visualisiert sie. Für den einen oder anderen Kunstliebhaber mag es nahe liegen, sein monetär reiches aber sinnentleertes Leben durch den Erwerb von Kunst scheinbar mit Bedeutsamkeit aufzuladen, denn der immaterielle Wert von Kunst ist in seinen besten Momenten Sinnstiftung durch die Vermittlung eines Gefühls von Welterfahrung. So zieht das Bedeutsame das Bedeutungslose an. Wie mag die Bilanz des Zusammentreffens beider Welten aussehen?