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Comic-Zeichenkunst: Realistische Phantastik – was den europäischen Comiczeichner Moebius mit dem amerikanischen Superhelden-Zeichner Jack Kirby verbindet

LäuferinSollte man Äpfel mit Birnen vergleichen? Etwa den wichtigsten europäischen Comiczeichner der letzten 50 Jahre, Moebius (1938-2012), mit dem wichtigsten amerikanischen, nämlich Jack Kirby (1917-1994)? Verbietet sich ein Vergleich von Erwachsenen-Comics mit Trivial-Comics für jüngere Zielgruppen? Und überhaupt: europäische Comics und amerikanische Comics ticken denkbar unterschiedlich. Lohnt da die Betrachtung all der Unterschiede? Aber: Äpfel und Birnen wachsen beide an Bäumen, sind beide Obst, etwa gleich groß und haben eine ähnliche Färbung. Was läge also näher als ein Vergleich der beiden?

Ein grundlegender Unterschied zwischen der Arbeitsweise der beiden Zeichner ist, dass Moebius seine Comics vom Bleistift-Entwurf bis zur Tusche selbst gezeichnet und oft auch coloriert hat, während Jack Kirby Vorzeichnungen anfertigte, die durch andere Zeichner getuscht wurden – dies als Teil des amerikanischen Produktivitäts-Modells des Hochgeschwindigkeits-Zeichnens. Schon gar nicht hat sich Jack Kirby um die Farbgebung gekümmert.

Konzept-Zeichner versus Strich-Akrobat

Man könnte Jack Kirby deshalb als eine Art Konzept-Zeichner ansehen, dem es vor allem auf den Entwurf und die Kreation ankam, also auf den kreativen Akt – nicht auf die Ausführung der Zeichnung in Tusche. Während demgegenüber Moebius sein Werk ganzheitlich betrachtet und bis in die Feinheiten ausgearbeitet hat. Dessen Zeichnungen wären ohne seine spezifische Art der Dimensionalitäts-Formung des Dargestellten durch seine zahlreichen filigranen Striche kaum denkbar gewesen. Daran ändert sich auch nichts, wenn Moebius in unterschiedlichen Stilen zeichnete und manchmal seine Vielstrichigkeit einer rigiden Einfachheit opferte, indem er nur mit Konturen zeichnete und diese nicht weiter schraffierte. Moebius konnte beides: vereinfachen und strichverliebt sein. Aber berühmt geworden war er für seine unverwechselbaren Schraffuren und Strichimprovisationen.

Europa und USA als Kulturräume

Dann sind da die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe: Europa und Amerika – das sind zwei Kontinente, zwei Systeme, zwei Kulturräume. Das eine Land, Amerika, realisiert einen darwinistischen Extrem-Kapitalismus, der alles, auch die Kultur, der Kommerzialität unterordnet aber dennoch immer mal wieder kulturelle Lebensäußerungen hervorbringt, die dieser Kommerzialität zuwiderlaufen. Der andere Kulturraum, Europa, realisierte eine soziale Marktwirtschaft, die ein solidarischeres Prinzip verwirklicht und deshalb einiges hervorbrachte, das sich allzu platter Kommerzialität verweigerte. Anders ausgedrückt: Europa hat in der Breite mehr Spielräume für Kunst und Kultur gelassen. Daraus ist vor allem im frankobelgischen, im spanischen oder englischen Raum viel entstanden, das in der Folge Comics immer schneller erwachsen werden ließ und zur Comic-Revolution in Frankreich geführt hatte.

Erwachsene und infantile Comics

Gerade populäre Kulturformen wie der Film oder das Comic nahmen unterschiedliche Wege auf den beiden Kontinenten. Am eindrücklichsten ist, dass Europa, das Schauplatz bzw. Ausgangspunkt zweier verheerender Weltkriege war, nach dem 2. Weltkrieg einen Weg einschlug, der zwischen den 1960er und 1970er-Jahren zu einem Trend echter Erwachsenen-Comics führte, die zum Teil ihre Leser durch das Verlassen klassischer Erzählweisen herausforderten. Währenddessen kultivierte das Nachkriegs-Amerika mit Heldenfiguren wie „Superman“ oder „Captain America“ einen Eskapismus, ließ sich später aber vom europäischen Virus des Erwachsenen-Comics anstecken. Wobei es auch vorher US-Comiczeichner/-Autoren wie Will Eisner oder Burne Hogarth gegeben hatte, die ambitioniert waren und infantile Darstellungsweisen hinter sich lassen wollten. So war Will Eisners „Spirit“ bereits ab 1940 von Anbeginn an eine erwachsene Version eines (vermeintlichen) Superhelden, bezog sich aber dennoch auf den Rahmen einer infantileren Populärkultur. Auch klassische amerikanische Zeitungscomics wie „Prince Valiant“/„Prinz Eisenherz“ oder Burne Hogarths „Tarzan“ hatten illustrativ und erzählerisch längst einen seriös-erwachsenen Standpunkt eingenommen.

Moebius und Richard Corben

Der wichtigste und dann populärste Vertreter dieser anspruchsvollen Richtung in den Comics wurde der Franzose Jean Giraud unter seinem Pseudonym „Moebius“. Seinen Counterpart, was zeichnerisches Vermögen und visuelle Strahlkraft anbelangt, fand Moebius im Amerikaner Richard Corben. Der kam dort aus der Underground-Comix-Szene und interpretierte seine Version der Erwachsenen-Comics weniger erwachsen als Moebius mit Versatzstücken aus Sex, Gewalt und Horror, wo Moebius sein Genre „Science Fiction“ hier und da mit einem Schuss Phantastik anreicherte. Diese beiden Zeichner als Stellvertreter neuer Tendenzen ihrer jeweiligen Comic-Szene ab den 1970er-Jahren und in den 1980er-Jahren symbolisierten die Unterschiede zwischen den beiden Comic-Kulturen besonders augenfällig.

Postmoderne und surreale Comics

Das Künstlerische an Moebius war nicht nur sein Zeichenstil, denn Richard Corben war diesbezüglich ebenfalls ein innovativer Meister seines Fachs. Vielmehr schuf Moebius mit „Major Grubert und der Hermetischen Garage“ in loser Folge ein versatzstückhaft collagiertes, nicht linear erzähltes Meisterstück des Postmodernen, das sich aus der Mottenkiste althergebrachter Erzählweisen der Comickultur bediente. Viel erwachsener, könnte man sagen, geht es nicht. Die triviale Unterhaltungsform „Comic“ war damit bei der Kunst angekommen. Aber Moebius konnte nicht nur „postmodern“ erzählen, er schuf mit „Arzak“ als visueller Sensation in Comic-Kurzgeschichten (und später einem Album) sowie Kurzfilmen auch surreale Werke, die an anderer Stelle eine weitere Trennlinie zur Kunstwelt einrissen. Außerdem realisierte Moebius eher klassisch erzählte Comic-Serien wie die „Sternenwanderer“ oder „John Difool – Der Incal“ oder unter seinem bürgerlichen Namen „Jean Giraud“ die realistisch gezeichnete Westernserie „Leutnant Blueberry“. Obwohl man hier einschränkend hinzufügen muss, dass kaum etwas, das Moebius gezeichnet hat, inhaltlich sehr klassisch war. Höchst ungewöhnliche, visuell durchdeklinierte Welten, Helden und Vorkommnisse waren Teil seiner Bild-Erzählungen.

Die nachvollziehbare Phantasiewelt

Jean Giraud wurde unter seinem Pseudonym „Moebius“ international bekannt und zum Aushängeschild europäischer Comickunst. Der große Unterschied zu vergleichbaren amerikanischen Zeichnern ist, dass seine Inhalte nicht von Gewalt und klischeehaften Rollenmodellen bestimmt waren. Diese Erzählelemente waren und sind in Amerika gang und gäbe, weil sie im Rahmen von Kommerzialität Verkaufsanreize bieten. Auch Moebius’ Welten sind durchaus grausam und manchmal gewalttätig oder bedrohlich aber entkamen den gängigen Erwartungshaltungen. Sein hervorstechendes Merkmal waren sein zeichnerisches Geschick und seine skurrile Phantasie. Er besaß die zeichnerischen Mittel und ein seltenes Vermögen, die von ihm ausgedachten Welten glaubwürdig darzustellen. Moebius-Phantasie-Welten sind – obwohl sie so weit weg scheinen – konkret und realistisch erlebbar.

Phantasie-Weltmeister: Jean Giraud und Jack Kirby

So liegt es doch nahe, den produktiven Vielzeichner Moebius mit jenem amerikanischen Produktiv-Weltmeister zu vergleichen, der ebenfalls über ungewöhnliche zeichnerische Möglichkeiten verfügte und zugleich der wohl Phantasievollste war: Jack Kirby. Der war ein Superhelden-Zeichner ausgewiesener Kommerzialität, der ausnahmslos klassisch gradlinig erzählte Geschichten in standardisierten Formaten und Umfängen zeichnete, für die jedoch oft phantastische, visuell aufregende Welten imaginierte, in denen Superhelden als Übermenschen und sogar Götter eine wesentliche Rolle einnahmen. Die beiden Zeichner bzw. visueller Erzähler miteinander zu vergleichen, weist ins Herz der Populärkultur Europas und Amerikas – und seiner gravierenden Unterschiede.

Grobe Striche und feine Striche

Auf den ersten Blick mag es weit hergeholt sein einen europäischen Zeichner wie Moebius/Jean Giraud mit einem amerikanischen Superhelden-Zeichner wie Jack Kirby zu vergleichen. Dem einen, Moebius, haftet der Nimbus des Elitären und Künstlerischen an, dem Anderen, Jack Kirby, inhaltliche Trivialität, Oberflächlichkeit und Kommerzialität. Auch zeichnerisch sind die beiden denkbar weit voneinander entfernt. Moebius war bekannt für viele kleine, filigran ziselierte Striche. Er ist berühmt geworden durch seine alten Stichen nachempfundenen Strich-Kaskaden. Jack Kirby steht in seinem mittleren bis später Werk für grobe Striche, für Vereinfachung, Abstraktion und das Weglassen all dessen, was für die Bildaussage nicht nötig war. Anstatt seine Figuren fein auszuarbeiten, konzentrierte sich Jack Kirby auf vielstrichtige Bewegungs- und Dynamik-Linien.

Zwingende Phantasiewelten

Wesentlich ist: beide stehen für eine überbordende Phantasie. Beide haben in ihren phantastischen Comics imaginierte Welten dargestellt und immer weiter ausgearbeitet. Beide haben diese Welten mit Leben erfüllt und sehr konkret werden lassen. Das Verblüffende ist, dass man auf den ersten Blick nicht sagen kann, wem das besser gelungen ist – „verblüffend“ deshalb, weil doch Figuren wie Moebius’ „Arzak“ oder „Major Grubert“ maximal postmodern oder surreal – eben abgehoben vom Herkömmlichen – agieren und meisterlich fein illustriert sind. Was will man mehr? Die Moebius-Phantasie-Welten scheinen viel zwingender und ausgearbeiteter zu sein. Und doch hat Jack Kirby in seinen Mainstream-Comics für eine jüngere Zielgruppe so viel an phantastisch-individuellen Figuren und -Welten visuell zwingend zu Papier gebracht, dass man plötzlich nicht mehr sagen kann, wer von beiden surrealer gezeichnet und visuell spannender erzählt hat. Diese Erkenntnis neutralisiert dann doch die produktionsorientierte Ausrichtung der Arbeitsweise von Jack Kirby, weil er mit weniger Aufwand – zudem im Korsett der Kommerzialität – viel erreicht hat.

Dauer-Zeichner und Viel-Zeichner

Was beide Zeichner außerdem geeint hat: Beide waren irrwitzig produktiv. Beide waren Viel-Zeichner oder Ständig-Zeichner, die auch rein quantitativ ein gigantisches Lebenswerk hinterlassen haben. Beiden wurden Ausstellungen gewidmet, die wie Kunstausstellungen anmuteten. Moebius hat Erwachsenen-Comics gezeichnet und Jack Kirby triviale Action-Comics, in denen es immer ums Kämpfen und Gewinnen ging. Allein der Größenwahnsinn der Superhelden als Übermenschen ist infantil, auch wenn er bei den Marvel-Comics menschlich und mit gebrochenen Charakteren angereichert wurde. Moebius hat eine Lust daran empfunden, mit gewohnten Erzählschemata abzuschließen. Die klassischen Abenteuergeschichten hat er im Mainstream-Westerncomic „Leutnant Blueberry“ kultiviert. Moebius hat realistisch gezeichnet, Jack Kirby schwankte zwischen Vereinfachung und in Anlehnung an Cartoonhafte Darstellungen viel weniger realistisch. Eher war Kirby ein abstrahierender Zeichner, der in seinem Werdegang zunehmend gelernt hatte, dass Weniger Mehr sein kann, um den Ausdruck zu verdichten.

Der Silver Surfer von Jack Kirby und von Moebius

Interessant ist eine kleine comic-historische Besonderheit, bei der sich die Wege des Werks von Moebius und Jack Kirby zufällig kreuzten: Moebius arbeitete in den USA, und wie es sich ergab, sollte er in der Folge zwischen 1988 und 1989 eine Silver-Surfer-Heftserie zeichnen und 1991 Poster mit Superhelden-Motiven für für Marvel-Comics malen. Der ätherische, fast schon transzendente Silver Surfer war ursprünglich eine Kreation von Jack Kirby gewesen, die von der Flower-Power-Bewegung der 1960er-Jahre geprägt war und der amerikanischen Surf-Kultur ihre Referenz erwies. Moebius hatte damit eine Heftserie gezeichnet, die bis heute in Buchform als Graphic Novel vertrieben wird – ein Novum: Der berühmteste europäische Zeichner interpretiert darin einen allmächtigen amerikanischen Superhelden. Jack Kirby hatte die Figur des Silver Surfer in der Heftserie der „Fantastic Four“ eingeführt, danach bekam die Figur eine eigene Heftserie. Darin hatte Zeichner John Buscema den bei Jack Kirby eigentlich fluid-lichtgestaltigen Charakter zunächst muskulös-idealtypischer interpretiert. Angelehnt war diese anatomische Formensprache an das Vorbild von Burne Hogarths „Tarzan“, der wiederum auf alte Renaissance-Idealbilder referenziert hatte. Moebius zeigte in seiner Version einen etwas schmalbrüstigeren Silver Surfer, der zerbrechlicher wirkte als seine amerikanischen Vorgänger. Der Europäer ließ sich aber andererseits auch auf die Comic-Heft-Ästhetik der Amerikaner ein, war bei vielen seiner Zeichnungen für die Miniserie weniger genau und arbeitete dort auch vereinfachend.

John Buscemas Silver Surfer

Für Jack Kirby und seinen dynamischen Zeichenstil war Action alles. Sein Silver Surfer stand nicht immer still auf seinem fliegenden Surfbrett, er wurde vom Zeichner gebogen und verrenkt, weil er den Kräften des Universums ausgeliefert war. Schon John Buscema ließ seine Version des Silver Surfers zwischendurch auch mal stiller agieren, wie auch Moebius die Getragenheit des Charakters vertiefte. Während die Amerikaner den Silver Surfer zunächst funkeln ließen, viel Arbeit mit den Spiegelungen der quecksilberhaften Oberflächen-Beschaffenheit Figur hatten, lehnte sich Moebius eher an die kurzzeitige weniger spiegelnde Version des Silver Surfers an, wie sie eine kurze Zeit lang von John Buscema vorgezeichnet und entworfen und von Sal Buscema getuscht worden war. Denn nachdem John Buscema den zeichnerischen Einfluss Jack Kirbys als Marvels prägendem Hauszeichner nach den ersten Heften abgeschüttelt hatte, zeigte er in den Heften 6 und 7 einen schmaleren Silver Surfer mit weniger reflektierenden Texturen, der so ein bisschen Pate für die Moebius-Version gestanden haben mag. Jack Kirby seinerseits zeichnete das Heft 18 des Silver Surfer und im November 1967 eine Silver Surfer-Geschichte im „Fantastic-Four“-Annual Nr. 5. Es springt im Vergleich sofort ins Auge, dass beide – sowohl der klassisch Anatomie-geschulte John Buscema als auch Moebius als Inbegriff europäischer Phantastik – viel weniger Phantasie in ihre Version der neben Dr. Strange abgehobensten Marvel-Figur einfließen ließen als Jack Kirby das getan hatte. Zumal Kirby als Schöpfer der Silver-Surfer-Figur auch dessen Narrativ als Herold des gottgleichen Wesens „Galactus“ definiert hatte.

Jack Kirbys phantastische Maschinen

Jack Kirbys Spezialität neben seiner Action-Orientierung und visuellen Dramatik, die auch schon „visueller Sensationismus“ genannt worden war, war die Ausstattung seiner Szenarien mit phantastischen Maschinen, Architektur oder Kostümen. Kirby war als Designer unerreicht. Es wird wohl sein Geheimnis bleiben, wie er diese Qualitäten als Vielzeichner kultivieren und beibehalten konnte. Selbst in seiner Spätphase, in der seine Zeichnungen teils weniger motiviert waren als in den 1960er-Jahren bei den „Fantastic Four“, war Jack Kirby im Phantasie-Visuellen immer noch erstaunlich kreativ. Auch wenn viele seiner Arbeiten unter Stereotypen litten, war seine visuelle Phantasie stets das Pfund mit dem er wuchern konnte.

Intellektuell oder klischeehaft?

Dieser Umstand zerstört die Eindeutigkeit in der Beurteilung des Œuvres von Moebius im Vergleich zu Jack Kirbys. Denn Moebius’ Werk wirkt intellektuell durchdrungen (wie allerdings auch esoterisch), während Jack Kirbys Werk vor Pathetik, Klischeehaftigkeit und der Trivialität von Männerritualen zwischen Körperlichkeit, Aggression und Kampf nur so strotzt. Dies sind inhaltliche Einordnungen, die den Grad der Phantasie aber nicht tangieren müssen. Dennoch kommt man nicht darum herum, Jack Kirbys zeichnerisch-erzählerische Fähigkeiten vor allem im Zusammenhang mit Action zu sehen. Kirby war der Meister von Dynamik, Bewegung, Moebius eher der Meister statischer Darstellungen der Ruhe. Mit Dynamik ist bei Jack Kirby auch die Körperlichkeit der Superhelden verbunden. Kirbys Ziel war die Dynamisierung und antomisch atypische Formung von Körpern und deren Gliedmaßen. Seine Figuren sehen im choreografierten Kampf fast wie Tänzer mit einer festgelegten Schrittfolge aus. Eine bis ins Kleinste ausgearbeitete Action- und Kampf-Choreografie wie etwa in der „John-Wick“-Filmreihe ist medienübergreifend vergleichbar mit dem, was Jack Kirby in seinen Comics vorgedacht hat. Noch mehr ist das in den Filmen von Hongkong-Film-Regisseur John Woo (geb. 1946) der Fall. in seinen Kampfsequenzen von Filmen wie „Hard Boiled“ (1992) trieb er die Action bis zum Exzess.

Phantastischer Formenreichtum

Betrachtet man das Illustrationsbuch „Faune de Mars“, in dem Moebius zeichnerisch imaginierte Marsbewohner phantasiereich durchdekliniert und vergleicht sie mit all den Monstern, die Jack Kirby vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren in seinen Horror-Kurzcomics gezeichnet hat, ist hier im Formenreichtum der Figuren eine Parallele zu entdecken, auch wenn Moebius surrealer zeichnet und seine Strichführung delikater ist.

Jack Kirby und die „Fantastic Four“

Ein anderer Vergleich: Als Höhepunkt im Werk von Jack Kirby gelten seine mittleren bis späten Arbeiten für die Heftserie der „Fantastic Four“/„Die fantastischen Vier“. Hier sind Jack Kirbys darstellerisches Vermögen und seine kreative Phantasie schier explodiert. Die Heftserie wimmelte nach ihren Anfängen nur so vor fantastischen Designs, außerirdischen Protagonisten und Darstellungsweisen. Vergleicht man dies mit dem Buch von Mœbius, „40 jours dans le désert B“ (übersetzt: „40 Tage in der Wüste B“) von 1999, dann fallen doch wieder Gemeinsamkeiten in dieser totalen Andersartigkeit auf. Der grobe, dynamisierte Zeichenstrich von Jack Kirby beschreibt eine ganz andere Welt als der filigrane von Moebius. Beide sind in ihren Hauptwerken aber äußerst phantasiereich. Beide vermögen es mit ihren zeichnerischen Mitteln die von ihnen dargestellte Welt real erscheinen zu lassen. Moebius strebt hierfür einen visuellen Filigran-Realismus an, der in den Details der Ausführung auch eine besondere Räumlichkeit vermittelt – und was sehr räumlich wirkt, wirkt zugleich realer. Jack Kirby hingegen arbeitet mit visuellen Tricks, die ebenfalls die dargestellte Welt erfahrbar machen und trotz der Vereinfachungen ebenfalls nachvollziehbar wirken. Denn Kirby ist auf seine Weise ebenfalls ein Meister von Räumlichkeit und Perspektive, ohne dass dies augenfällig zu Tage tritt.

Dimensionalität und Perspektive

Bei Moebius ist die Methode, um Räumlichkeit und Perspektive zu vermitteln, seine Sujets höchst detailliert auszuarbeiten, sodass eine schlüssige Welt vor den Augen des Betrachters entsteht. Jack Kirby geht viel ökonomischer vor: Er arbeitet mit gröberen Strichen und sein Mittel der Wahl sind vor allem kleinere und größere Schattenflächen, die jedoch so genau platziert sind, dass sie dem Gezeigten Dimension verleihen. Dabei hat Jack Kirby sich sein eigenes visuelles Vokabular geschaffen, das Dynamik exzessiv mit Kraft- und Bewegungslinien simuliert und Energie mit einer Punktstruktur wiedergibt, die als „Kirby-Krackles“ oder „Kirby-Dots“ in die Geschichte der Superhelden-Ästhetik eingegangen sind. Letztlich ist für die fulminante Räumlichkeit der Kirby-Darstellungen eine Kombination aus geschickt gesetzten Schatten und der jeweiligen Oberflächenstruktur entscheidend. Jack Kirby verstand es nämlich meisterhaft, unterschiedlichste Oberflächen wie Stein, Metall oder Holz mit einfachen Mitteln zu visualisieren, ebenso Effekte wie Spiegelungen. Seine besondere Fähigkeit lag darin, seine Mittel gezielt so einzusetzen, dass sie etwa Räumlichkeit und Materialität glaubhaft simulierten. Allerdings vermochten die meisten Tuschezeichner es nicht, seine Bleistiftzeichnungen optimal umzusetzen und diese Effekte so herauszuarbeiten, wie sie von Jack Kirby angelegt waren.

Zwei Zeichner, zwei Methoden

Moebius war also in vielen seiner Comics um Ausführlichkeit bemüht, Jack Kirby um Reduktion. Ein detailverliebter Manierist trifft auf einen vereinfachenden Abstrakten. Wo Moebius in seiner zeichnerischen Darstellungsweise konkret und realistisch wurde, ließ Jack Kirby Raum für die Phantasie des Lesers. Das sind zwei Methoden oder zwei Möglichkeiten, fantastische Welten darzustellen. Dass beide dies jeder auf seine Weise geschafft hat, spricht für die hohe Kompetenz der beiden Zeichner, imaginäre Welten in den Köpfen der Betrachter auferstehen zu lassen.

Erwachsenen-Comics und Kommerzialität

Dabei verdient besondere Beachtung, dass Jack Kirby ein kommerzieller Erzähler war, auch wenn er sich mit seinem Zeichenstil nicht nur Freunde machte. So ließ etwa der DC-Superhelden-Comicverlag, die Jack-Kirby-Darstellungen von Supermans Gesicht von anderen Zeichnern überarbeiten. Jean Giraud musste im Vergleich zu seinem großen kommerziellen Publikumserfolg mit „Leutnant Blueberry“ als Moebius in Kauf nehmen, dass er mit seinen sperrigen Erwachsenen-Comics ein kleineres Publikum erreichte. Jenseits der Inhalte, ob sie nun anspruchsvoll waren, stereotyp oder schwer verdaulich, haben beide Zeichner eine visuelle Zeichenwelt hinterlassen, die unverwechselbar ist und im Grad ihrer Eigenständigkeit und Phantasie ihresgleichen sucht. Dabei nähern sich die beiden Comickulturen in ihrer Ausdruckskraft wieder an.

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