Man stelle sich vor, im deutschen Schlager würden ernst vorgetragen Selbstmord, Tod und die Unausweichlichkeit eines grandiosen Scheiterns thematisiert werden, von einem Mann, dem jede Trivialität abgeht, der stoisch mit unbewegtem Gesicht karg und ernst seine klassischen Songs vorträgt. Nichts in seinem Ausdruck würde Verdrängung oder Realitätsflucht ermöglichen. Es wäre, als würde man dem Schatten des Leben ins Gesicht blicken. So ähnlich kann man sich die Begegnung mit Townes Van Zandt vorstellen, dem amerikanischen Singer/Songwriter.
Der Country-Musiker und veritable Songwriter Townes Van Zandt hatte durch seine Insich-Gewandtheit und Andersartigkeit dem Genre „Country“ ab den 1960er-Jahren lyrisch neue Aspekte hinzugefühgt, die seine Vermarktbarkeit erschwerten und ihn zum ewigen Geheimtipp mit – wie man so sagt – Kultstatus hatten werden lassen. Einiges, das er tat, lief im Gegenteil einem erfolgreichen Musikerleben zuwider. So machte er Musik, die wahrhaftig und ursprünglich wirkte und musikalisch sowohl Traditionalisten ansprach wie textlich an den dunkleren Seiten des Lebens Interessierte – ein kaum auflösbares Spannungsverhältnis.
Eine Drogen-Karriere
Schon im Alter von 52 Jahren starb Townes Van Zandt (1944-1997) nach einem selbstzerstörerischen Leben durch Drogen und vor allem mit der Droge Alkohol. Legendär waren sein Klebstoff-Schnüffeln in jungen Jahren, durch das er Zähne verlor, sowie ein freiwilliger Fenstersturz, der ihm einen zeitweisen Aufenthalt in einem Irrenhaus einbrachte. Dabei geht man in die Geschichte der Populärkultur idealerweise nachhaltig gerade dann ein, wenn ein musikalisches Werk mit einem obsessiven Leben verbunden ist, das aussichtlos erschien und schnell geendet hat.
Blues, Country und Folk
Townes Van Zandt gilt als Wegbereiter des „Alternative Country“, der als ein original-musikalischer Teil der „Americana“-Kultur das angestaubte Genre zwischen den 1980er- und 1990er-Jahren modernisierte und mit anderen Musikstilen kombinierte. Van Zandt selbst bewegte sich in einem Bereich zwischen Country, dessen Inhalte der Kargheit des Landlebens und der menschlichen Schicksale er aufgriff, sowie Folk und Blues. War Blues eine Musikrichtung, die ab dem Übergang von 19. und 20. Jahrhundert der Lebenswirklichkeit der Afroamerikaner eine Stimme gab, entstand Country als Musik vor allem der britischen Zuwanderer. Der Blues sollte die Keimzelle für alle populären Musikformen werden, während Country-Musik als Volksmusik der Weißen sich davon abgrenzte. Folk-Musik (oder kurz: „Folk“) bezog sich wiederum auf die Einfachheit traditioneller Volksmusik. All diese Einflüsse, Country, Blues und Folk, sind Musikformen mit Bezug zur Tradition und mit einer starken Verwurzelung bis hin zu den Anfängen der amerikanischen Kultur. Townes Van Zandt verband dies mit Texten, die einerseits die Schönheit der Landschaften schilderten und andererseits das Leben darin als Abgrund zeigten.
Der Künstler als Fremdkörper
Manch ein Musiker kultiviert seine Besonderheit und Andersartigkeit und integriert sie wie ein stilistisches Merkmal in sein Leben. Townes Van Zandt war sich offenbar seiner Fremdkörperschaft bewusst, drückte aber in seinem Werk etwas sehr Ursprüngliches, geradezu Normales aus. Im konservativen Musikgenre „Country“ (=„Country-Musik“) brachte er teils klassische Texte, die vom einfachen Leben einfacher Menschen kündeten, andererseits erschienen seine Texte mitunter morbide und depressiv. Es war, als wollte er mit Worten ein großes Gemälde der Aussichtlosigkeit malen. Schon in einem seiner ersten publizierten Songs „Waitin´ Around to Die“ auf seinem Debut-Album „For the Sake of the Song“ (1968) schreibt er: „I got me a friend at last/He don’t drink or steal or cheat or lie/His name’s Codine/He’s the nicest thing I’ve seen/Yeah, together we’re gonna wait around and die“. Übersetzt etwa: „Endlich habe ich einen Freund gefunden/Er trinkt nicht oder stiehlt oder betrügt oder lügt/Sein Name ist Codein/Er ist das Schönste, was ich je gesehen habe/Ja, zusammen werden wir warten und sterben“.
Townes Van Zandts Drogenkonsum
Der Musiker Townes Van Zandt wird oft als Eremit beschrieben. Die Konstanten in seinem Leben waren aber nicht nur die Musik und die Drogen sondern auch die Liebe. Trotz seiner chaotischen Lebensumstände war er dreimal verheiratet und hatte drei Kinder. Warum Townes Van Zandt ein rigider Multitox war, kann man nur ahnen. Wer ein Leben lang wie er Drogen nimmt, könnte verschiedene Gründe dafür haben:
- Schmerz der Wahrnehmung: Von der Welt durch Betäubung entrückt zu sein. Man will seine Wahrnehmung dämpfen, weil man zu sensibel und empfindungsmäßig zu feinjustiert reagiert, um die Welt ungefiltert ertragen zu können. Es mag Menschen geben, die über starke Wahrnehmungsfilter verfügen, und solche, denen ein Filtersystem und damit ein effektiver Verdrängungsmechanismus fehlt. Diese Menschen sind dem Chaos und den Widersprüchen der Welt schmerzhaft ausgeliefert – und oft neigen sie dazu, sich durch Drogen permanent herunterzuregln.
- Mittel zur Normalität: Ein zweiter Grund ist dem ersten verwandt: Um handlungsfähig zu bleiben, um mitreden und sozial mitagieren und interagieren zu können, fängt man an, enthemmende Drogen zu nehmen, wie Alkohol oder Dauerkiffen. Man könnte sich den Musiker und Dichter Townes Van Zandt als einen zerrissenen Menschen vorstellen. Einerseits dem Mythos des amerikanischen Hobos verpflichtet, der mittellos und nicht seßhaft duch das Land zieht. Das ist eine Huldigung jener Menschen, die sich naturverbunden ihrer Wurzeln bewusst sind, zugleich eine Fürsprache eines autarken jedoch leidvollen Lebens. Van Zandt huldigt sozialromantisch dem mittellosen Leben und seiner Wahrhaftigkeit. Andererseits drückt er in seinen Texten eine tiefe Trauer aus und malt wunderschöne Wortbilder, die seine Musik begleiten. Wer Drogen dauerhaft konsumiert, um selbst konsumierbar und sozial verträglich zu bleiben, tut dies im Grunde, um normal sein zu können. Und wenn man Townes Van Zandt bei seinen Auftritten sieht, dann wirkt er oft recht normal, auch wenn es Liveauftritte mit Abstürzen gab.
- Gemilderte Angst: Etwas Grundlegendes im Leben von Townes Van Zandt, und das mag ein möglicher weiterer Grund für seine Selbstzerstörung sein, scheint jedoch eine tief liegende Angst zu sein, die er nicht überwinden konnte. Man mag es als manische Depression sehen oder als Lebensangst, die in vielem, das er wahrnahm, einen unüberwindbaren Abgrund erkannte.
Enfachheit und Kontinuität
Diese Haltung hat seine Musik angetrieben und ihn zugleich von der Welt und dem Business separiert. Townes Van Zandt, der Künstler, hat phasenweise von der Welt abgewandt gelebt oder ist ohne festen Wohnsitz durch Amerika getourt. Das einfache Leben, das er in seinen Texten kultivierte, hat er selbst geführt. Verehrt wurde und wird er deshalb, weil er kompromislos und authentisch war. In der Getriebenheit seines Lebens gab es eine Kontinuität der Ehrlichkeit. Was er als Mensch kaum ertragen konnte, drücken seine Texte aus. Viele, die das Leben schmerzt, fanden darin ihren Trost.