Das Selbstbild des Menschen ist geprägt von Vernunft, bewussten Entscheidungen und Verstandesleistungen. Im Idealfall kann man für jede Handlung, die man getätigt hat, eine plausible Begründung liefern. Allerdings erscheinen diese Begründungen oft wie Mutmaßungen, wie fragwürdige Behauptungen, die eher dem Wunsch zu wissen, warum man etwas getan haben will, entsprechen, als den tatsächlichen Gegebenheiten.
Was wir tun, ist meist unbewusst herbeigeführt und wird als bewusste Entscheidung im Nachhinein gerechtfertigt. Es scheint schwierig zu sagen: „Ich habe etwas getan aber weiß nicht warum.“ Im Unbewussten sind Anteile des Irrationalen, des Gefühlten und Intuitiven vorhanden – und auch des Denkens. Dabei muss man jedoch zwischen dem bewussten und unbewussten Denken unterscheiden.
Bewusstes und unbewusstes Denken
In jedem Fall würde sich das unbewusste Denken und Fühlen der bewussten Kontrolle entziehen. Eine nachträgliche Begründung für eine Handlung wäre dann also eher eine Selbstinterpretation oder Selbstauslegung. Ob eine Begründung allerdings tatsächlich wiedergibt, warum man etwas getan hat, bleibt fragwürdig.
Klarheit als Orientierung
Wie überhaupt fragwürdig erscheint, ob Klarheit und Eindeutigkeit tatsächliche lebensrelevante Kategorien sind. Man könnte das menschliche Leben als einen oft unbewussten Mechanismus auffassen, der im Nachhinein mit Bedeutung aufgefüllt wird. Dieses so verstandene menschliche Leben erschiene als viel weniger klar und eindeutig, als das wir es wahrnehmen. So wäre die Klarheit, die wir in ihm sehen, eine Orientierungsstrategie, und Unklarheit und Uneindeutigkeit würden das Risiko der Orientierungslosigkeit, der Verlorenheit und des potenziellen Absturzes beinhalten.
Kunst als strategische Verlorenheit
Einen Teil der Kunst, jene, die neue Sehgewohnheiten provoziert, die hinterfragt und konfrontativ mit ihrem Betrachter umgeht, kann man als eine Strategie solch einer Orientierungslosigkeit verstehen. Indem sie den Rezipienten ineinen Zustand temporärer Hilflosigkeit versetzt, in dem nichts mehr so ist, wie es gewohnt ist, nichts mehr klar und eindeutig ist, zwingt sie ihn, umzudenekn, neu zu denken, sich etwas sowohl bewusst wie auch unbewusst zu machen. Beides ist gefordert, um mit der neuen Wahrnehmung zurechtzukommen: Verstand und Intuition, Bewusstheit wie auch Unbewusstheit.
Die Kunst des bewussten Einordnens
Es ist die Kunst, die all das, was undefiniert, unklar und uneindeutig ist, thematisiert bzw. in eine Form bringen kann. Kunst ist also ein Mittel, all das Unfassbare, die Mehrdeutigkeiten und Doppeldeutigkeiten, die Widersprüche und Unverständlichkeiten der Lebenswirklichkeit zu thematisieren und darzustellen. Heraus kommt ein wahrnehmbares Sublimat, das einem hoffentlich den Boden unter den Füßen wegziehen kann, zumindest für einen Augenblick. Danach beginnt die Interpretation, die Erforschung des Relevanzbegehrens des Kunstwerkes, eine inhaltliche Verortung, die im Akt der Einordnung als Orientierungsmöglichkeit wieder eine bewusste Rechtfertigung des Gesehenen sein kann.