An der Popmusik ist es am klarsten zu beobachten: Austauschbarkeit und Beliebigkeit haben Raum gegriffen. Eine originelle künstlerische Position ist Mangelware. Das Problem der nicht eindeutigen, originellen Position ist weit verbreitet auch in der Kunst. Eine Zeiterscheinung?
Die Popmusik ist das kommerzielle Haifischbecken als Abgrenzungspunkt für die Kunst. Popmusiker nennen sich „Künstler“. Ihrem Selbstbild gemäß müssen sie sich dafür halten. Oftmals hört man sie sich als „Unterhaltungskünstler“ bezeichnen, die als eine Abklatsch-Light-Version echter künstlerischer Musik aber tatsächlich alles andere als Kunst produzieren.
Austauschbarkeit und mangelnde Originalität
In der Popmusik hat flächendeckend um sich gegriffen, dass es Sounds gibt und deren Soundarchitekten, die für eine kaum überschaubare Zahl an Acts arbeiten. Dann klingt der eine Act wie der andere. Das Unverwechselbare der jeweiligen Musik ist nicht mehr als eine Soundvariation, die sich etwa in der Instrumentierung oder der Vokalleistung unterscheidet – echte Originalität als Gesamtkonzept fehlt. Diese Musik ist professionell gemacht, und man darf den musikalischen MacherInnen nicht ihre Ambition absprechen. Doch führt die Orientierung weiter Kreise in der Popmusik am „Sound des Tages“ zu einer Beliebgkeit. Es fehlt die Individualität. Man könnte diese Entwicklung „Stil-Konzentration“ nennen. Ob Popmusik, Politik oder Kunst – es gab schon mal originellere Zeiten.
Die eigene Position als inhaltliches Bekenntnis
Was ist das Gegenteil von Beliebigkeit? Eine eigene Position zu finden. In der Bildenden Kunst ist das nicht einfacher als anderswo, aber es mag schwieriger zu erkennen sein. Zumal eine eigene Position in der Kunstwelt auch inhaltliche Relevanz mit einschließt. Was geschieht, wenn die eigentliche visuelle Revolution bereits ein Jahrhundert zurückliegt? Was geschieht, wenn das Wesentliche, das neu zu denken war, bereits von anderen lange vorher geleistet worden ist, wenn sich alles, was danach kam, lediglich in Selbstbezügen verheddert hat? Wie eine politische Partei, die, anstatt Politik zu machen, sich nur noch mit sich selbst beschäftigt. Relevante Kunst hat etwas zu sagen, sie sagt etwas über die Welt aus, die echte Welt, und nicht als Gefangene eines Binnen-Regelwerks über die Kunstwelt.
Echtes Leben und Kunst-Leben
Man kann annehmen: Die Kunst alter Ausprägung war eine Reaktion auf ein echtes Leben. Ein Leben, dass sich nicht nur auf die Welt der Kunst bezog, sondern auf die Welt ansich. Kunst als Lebensausdruck. Nicht: Kunst als reflexiver Ausdruck einer Sekundärwelt oder Scheinwelt. Die Anforderung des Menschen heutiger Zeit ist sein Umgang mit virtuellen Welten, mit Scheinwelten, mit Fake-Welten und kulturell bereits mehrfach Verdautem. Nahrung muss frisch und die Welt, auf die man sich als Künstler bezieht, echt sein.
Wie originell war Jean-Michel Basquiat?
Sind Jean-Michel Basquiat (1960-1988) oder Julian Schnabel Künstler mit eigener Position? Basquiat eroberte die Kunstwelt im Sturm, seine Kunst speiste sich aus der Ungeschliffenheit, Wildheit und der Originalität der Streetart. „Streetart“, das klingt nach „Street Credibility“, also nach tatsächlichem, nach echtem Leben. Angelehnt war dieses Leben, das nach Armut, Drogen und Unstetigkeit riecht, an das artifizielle Pop-Art-Leben des Grafik-Designers und Künstlers Andy Warhol, der für kurze Zeit mit Basquiat paktierte. In der Kunstwelt geht es um dieses Image des Echten, die Kunstwelt giert nach Authentizität, weil ein Künstler in freier Wildbahn mit eigenem echten Leben und echter Kunst, die sich auf die Welt und nicht nur auf den Kunstbetrieb bezieht, Mangelware ist.
Wie besonders war Joseph Beuys?
War Joseph Beuys ein Künstler mit eigener Position? In der Kunstwelt ist der ein Künstler, den die Kunstwelt als solchen akzeptiert, weil sie als richtende Instanz den Bezugsrahmen für sein Wirken setzt. Joseph Beuys hatte auf Grundlage seines Energiesymbols „Fett“ eine ganze Symbolwelt geschaffen. Diese Symbolwelt basiert wohl auf Ereignissen aus seinem realen Leben, auf seinem Absturz als Flieger im 2. Weltkrieg und seine Errettung durch die dortigen Einwohner, die ihn mit Fett einrieben. Das traumatische Ereignis aus der realen Welt, ist zu einem künstlerischen Leitmotiv seines Werkes geworden. Diese Realitätsbasierung hat zu hochgradiger Originalität geführt. Beuys hat eine eindeutige Position eingenommen, er war nicht austauschbar, nicht verwechselbar. Wer etwas zu sagen hat, nimmt einen Standpunkt ein, der nicht beliebig ist sondern spezifisch. In der Kunst ist dies ein Kriterium.
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