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Tagebuch: „Wet-Ass Pussy“-Porno-Musik und die Emanzipation

Die Welt steht Kopf. Nicht nur wegen Rückschritts-Politikern wie Amerikas Präsident Donald Trump oder Jair Bolsonaro, dem Staatspräsident von Brasilien, die demokatisch gewählt die Demokratie abschaffen wollen. Sondern auch, weil ehemals klare Positionen wie links und rechts oder richtig oder falsch sich verschieben. Am Song „Wet Ass-Pussy“ beispielsweise scheiden sich die Geister und kulturverkrampfen sich die politischen Ansichten.

Generell gilt bei der Betrachtung kulturpolitischer Phänomene: Je extremer die Positionen werden, desto unübersichtlicher wird der Status Quo. Zumal zum Beispiel Rechtsextreme, auch solche in deutschen Parlamenten, sich in der Tradition von Widerstandskämpfern darstellen, die gegen den nationalsozialistischen Terror-Staat unter Adolf Hitler gekämpft haben. Seltsam aber wahr. Aber gehen wir weg von der Politik hin zur unterhaltenden Pop-Musik.

Porno-Rap-Musik als Geschäftsmodell

Ein Beispiel für die neue Unübersichtlichkeit ist der Song von US-Rapperin Cardi B. und Rap-Partnerin Megan Thee Stallion, Titel: „Wet-Ass Pussy“ (kurz und zensurfreundlich: „WAP“). Gemeint ist tatsächlich eine – frei übersetzt – „verdammt feuchte Muschi“ oder anders gesagt „eine arschnasse Pussy“. Der Song brach in der ersten Zeit nach Veröffentlichung alle Musik-Streaming-Rekorde, weil er ein Tabu niederriss. Welches? Dass Frauen in den USA genauso derb über sexuelle Vorlieben rappen wie Männer. Das war für die einen sexy, für die anderen emanzipiert.

Rap als Steinzeit-Lala

Da wird es mit der Einschätzung schwierig und die Welt der eindeutigen Bewertungen steht Kopf. Ohne etwas über die kulturellen Rahmenbedingungen zu wissen, könnte man zunächst achselzuckend über das niedrige weil zu explizite Niveau herziehen. Allerdings kennt man diese quasi-autistische Niveaulosigkeit seit Jahrzehnten von männlichen Rappern hier wie dort. Das sexuell motivierte Abwerten von Frauen und das selbstverliebte Herausstellen der vermeintlich männlichen Vorherschaft ist dort an der Tagesordnung.

Republikaner machen Front gegen WAP

Dann aber kann man sich fragen, ob man denn genauso empfinden will wie republikanisch-evangelikale Teufelskräfte in den USA, die das Lied natürlich verdammen. Also kann man in Opposition dazu die Selbstermächtigung der beiden Rapperinnen als emanzipatorischen Akt feiern. Zumal Cardi B. sich gegen Donald Trump und für Joe Biden ausgesprochen hatte.

Porno-Style als Selbstermächtigung

Wäre da nicht die simple Pornostilistik von Text und Videobild. Dem steht entgegen, dass Frauen dem männlichen Chauvinismus und all dem superbilligen Rapper-Gemächt-Gehabe etwas entgegensetzen sollten. Mit den gleichen Mitteln? Genauso dumm und niveaulos? Man könnte sagen: Was die Männer unbehelligt dürfen, sollten Frauen auch tun können. Denn das wäre ja die eigentliche Gleichberechtigung. Im Guten wie im Schlechten. Allerdings: es bleibt eine grenzwertige Abwägung.

Katja Krasavice mit Billig-Pop

Aber warum in die Ferne schweifen? In Deutschland machte Katja Krasavice erst auf YouTube mit freizügigen Videos von sich reden und dann als Musikerin ähnliches vor wie ihre Kolleginnen von überm großen Teich. Ihr aktuelles Video „Ich seh“ ist ähnlich Hochglanz-stilisiert und lebt vom Porno-Style. Es will auch ernsthafte Akzente setzen, die aber gehen unter im Trash.

Shirin David? Emanzipiert?

Vorgemacht hat das Shirin David, etwa in ihrem Video zu „ICE“ aber auch in anderen Musik-Videos. Performt wird in allen genannten Fällen von Frauen, die schönheitsoperiert sind, dass es nicht nur ihnen wehtut. Auch das ein Akt der visuellen Selbstermächtigung? Oder Klischee-Erfüllung männlicher Bedürfnisse? Gar weiblicher Narzissmus? Shirin David stlisierte sich jedenfalls in einem Text auf Instagram als Apologetin der Emanzipation. Sie ist eine erfolgreiche Unternehmerin, sie macht hochprofessionell Musik und tut, was sie will. Ist das nicht Emanzipation?

Weibchenschema im Patriarchat

Es ist auf jeden Fall eine Werteverschiebung. Denn diese Musikerinnen ergehen sich im Weibchenschema und hantieren versiert mit Männerphantasien. Scheinbar stark aber dann auch wieder devot erfüllen sie männliche Erwartungshaltungen und übererfüllen Ästhetikansprüche einfachster Wunschbilder für Playboy-Leser. Man könnte zusammenfassen: Vielleicht ist es beides, emanzipatorische Selbstermächtigung im porno-induzierten Billigsektor. Und das in stilistisch beeindruckenden Musik-Videos. Immerhin professioneller als die männlichen Rapper das drauf haben.

Fazit: Dasein in der Trash-Kultur

An diesem Punkt steht die Welt wieder Kopf, weil die Einordnung des Vorgenannten alles sein kann oder nichts oder von jedem etwas. Willkommen im Zeitalter der Beliebigkeit, der Uneinordenbarkeit, der Uneindeutigkeit, der daseinsverhagelnden Komplexität. Obwohl, das wäre wie mit Kanonen auf Spatzen schießen. Es geht ja nur um Pop-Musik ohne Anspruch. Um Hochglanzoptik, um trashige Klischees, um aufgespritze Lippen und neu geformte Hintern, um aufgepumpte Brüste und visuell gutes Musikvideo-Handwerk. Wer Shirin David in der damaligen Wohngemeinschaft mit Melina in all den witzigen YouTube-Videos gesehen hat, erkennt sie heute überhaupt nicht wieder. Ist das jetzt gut oder schlecht?

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