So etwas hätte in den 1950er-Jahren in Amerika gesagt werden können: dass man als Frau eines starken Mannes bedürfe und ohne ihn nicht auskommen könne, wie auch die ganze Gesellschaft echte, maskuline Männer brauche. Das klingt unverholen nach einer Gegenposition zum Begriff der „toxischen Männlichkeit“, mit der man sich als (selbstbewusste) Frau herumzuschlagen hat.
Harry Styles im Rüschenkleid
Andererseits ist da Herry Styles, in der Mainstream-Popmusik der Mann der Stunde. Er hat jüngst von sich Reden gemacht, indem er auf dem Cover der Vogue im Kleid zu sehen war. Auch ansonsten verwischt er auf der Bühne outfitmässig die Geschlechterrollen wie viele vor ihm, etwa Mick Jagger, David Bowie oder Roxy Music. Aber das kennt man längst von ihm: Mal trägt Styles deutlich feminine Mode, mal Accessoires wie etwa eine dicke Perlenkette. Auch verbal nivelliert er die Dominaz der alten heterosexuellen Geschlechterrollen und scheint damit das gefundene Fressen für hasserfüllte Medienfiguren der rechten Szene zu sein.
Candace Owens im Hosenanzug
Candace Owens sah durch das Vogue-Cover und die entsprechende Fotostrecke ihr Land als Ganzes gefährdet und fügte wie in rechten Kreisen geläufig, der anderen Auffassung von Rollenbildern gleich noch Marxismus und Gewalt hinzu und vermengte dies zu einem politischen Schlagwort-Brei. So schrieb sie auf Twitter:
- „There is no society that can survive without strong men. The East knows this. In the west, the steady feminization of our men at the same time that Marxism is being taught to our children is not a coincidence. It is an outright attack. Bring back manly men.“
- Frei übersetzt etwa: „Es gibt keine Gesellschaft, die ohne starke Männer überleben kann. Der Osten weiß das. Im Westen ist die stetige Feminisierung unserer Männer und die gleichzeitige marxistische Erziehung unserer Kinder kein Zufall. Es ist ein absoluter Angriff. Bringt männliche Männer zurück.“
Man mag diese Stellungnahme, wie in der Medienwirklichkeit nicht nur der USA weit verbreitet, als eine Mischung aus Aufmerksamkeitssucht und einer von der Komplexität der heutigen Wirklichkeit überforderten Protagonistin ansehen.
Culture-War und Info-War
So findet sich Harry Styles, der Sänger wunderschöner Popsongs, mitten im hässlichen amerikanischen Kulturkrieg wieder, in dem es keine Zwischentöne mehr gibt, sondern oft nur noch ein wirklichkeitsfremdes Schwarz/Weiß-Denken. Auffällig ist dabei das Zusammenwirken eines Trumpismus, der schlagwortartig alles mit jedem vermischt, und eine holzschnittartige Provokation, bei der das, was nicht der eigenen Auffassung entspricht, sofort das Ende der Männlichkeit (weil femininisiert), das Ende der Politik (weil marxistisiert) und – wenn man nicht gut aufpasst – vielleicht sogar das Ende der USA sein könnte.
Outfit als Ende der Welt
All das tatsächlich nur, weil die Modezeitschrift Vogue mit Harry Styles auf dem Cover sinnbildlich dafür eintritt, dass jeder outfitmäßig so leben können soll, wie er will. Dummerweise ist die Vogue-Ausgabe mit dieser Botschaft sogar bereits ausverkauft. Und Harry Styles ist im Moment so etwas wie die Rettung der Popmusik. Das mag mit den Dissonanzen der einfach gestrickten Hass-Apologeten, die privat vermutlich nur Militärmärsche hören, etwas versöhnen. :-)