Wie kann man sich dem Zeichner und visuellen Geschichtenerzähler Moebius in einer Ausstellung seines Werkes nähern? Die Ausstellungsmacher des Max Ernst Museums in Brühl sind den Weg über die Gemeinsamkeiten der Motive und Themen von Moebius’ Arbeiten gegangen und haben ihre Ausstellung, die noch bis zum 29.03.2020 zu sehen ist, danach strukturiert. Was sind die Besonderheiten an Moebius und welche anderen Ansatzpunkte eines Ausstellungskonzeptes könnte es noch geben?
In der „Moebius“-Comickunst-Ausstellung in Brühl bei Köln sind Originale als schwarz-weiße Tuschzeichnungen, Gouachen/Aquarelle, Buntstiftzeichnungen und ein paar Bleistiftzeichnungen zu sehen. Großformatige Digitaldrucke strukturieren die Ausstellungsräume, ebenso sind Offsetdrucke aus Comicalben oder Druckgrafiken aus publizierten Portfolios zu sehen, manchmal in Postergröße. Die Ausstellung ist in folgende Themen gegliedert:
- Natur und Metamorphose
- Spiritualität und Alchemie
- Der Traum vom Fliegen und Fallen
- Die innere Wüste und ihre Darstellung
- Wanderer zwischen den Welten
- Abstraktionen
- Die Utopie des Wunderbaren
- Der doppelte Mensch
Die Exponate der „Moebius“-Ausstellung
Da Moebius zunehmend digital am Computer gearbeitet hatte, sieht man in der Ausstellung zahlreiche Digitaldrucke seiner Zeichnungen. Einerseits hätte man sich mehr großformatige Original-Zeichnungen gewünscht, andererseits ist das Endprodukt des Comiczeichen-Prozesses nicht die initiierende schwarzweiße Tuschzeichnung sondern die fertig kolorierte und dann gedruckte Ausgabe. Also erst das Druckprodukt zeigt das Endergebnis – ein beträchtlicher Unterschied verglichen mit der kleinauflagigen Druckgrafik der etablierten Kunstwelt. Die Autoren Jörg Funhoff, Wiltrud Ulrike Drechsel und Michael Hoffmann hatten bereits 1975 in ihrem Buchtitel „Massenzeichenware“ zu Recht auf die Produktionsbedingungen des Mediums hingewiesen.
Die Ausstellungs-Räumlichkeiten
Die Moebius-Ausstellungs-Räumlichkeiten in Brühl sind verschachtelt, eng und etwas unübersichtlich, was aber der Ausstellung überwiegend kleinformatiger Arbeiten keinen großen Abbruch tut. Dem Medium „Comic“ hätte eine großformatige Multimedialität gut zu Gesicht gestanden, um dem Multibild-Ablauf einer visuell erzählten Geschichte gerecht zu werden. Jedenfalls sieht man, dass Comickünstler, die zunehmend (auch) digital arbeiten, nicht mehr so einfach auszustellen sind. Die Digitalisierung wird Museen zukünftig vor neue Herausforderungen stellen. Vielleicht wird man zunehmend Projektionen anstatt Originalen sehen.
Medium „Comic“
Ein Massenmedium im Museum – das ist nicht neu, aber es wirft gerade beim Medium „Comic“ Probleme auf. Eine Frage, die sich stellt, lautet: Soll der Besucher den Arbeitsprozess des Comiczeichnens sehen und erleben können? Denn auch Moebius hat von der Bleistiftzeichnung bis zur fertigen Kolorierung nicht alles alleine gemacht. Das fertig gedruckte Comicheft oder Comicalbum ist also kein Kunstobjekt sondern Ergebnis eines integrierten Produktionsprozesses. Das ist für eine Museums-Ausstellung eine nicht zu vernachlässigende Tatsache, die sehr von den Verfassungen Bildender Kunst abweicht – trotz der Existenz künstlerischer Druckgrafik, die Ähnlichkeiten etwa zu Comic-Portfolios aufweisen mag.
Mœbius, Le chasseur déprime, 2007/2008, Seite 29, Tusche auf Papier, digital bearbeitet © 2019 Mœbius Production
Ein Moebius-Kunstdruck
Übrigens bietet das Max Ernst Museum den Moebius-Schwarzweiß-Druck „Arzak L’Arpenteur“ von 2008 im Heliogravüre-Druckverfahren an. Dabei wird ähnlich wie bei einer Radierung von einer Druckplatte gedruckt. Das Ergebnis ist dem Tiefdruck verwandt und kann sogar echte Halbtöne wie in der Fotografie wiedergegeben. Etwa im Offsetdruck wäre das in dieser Qualität nicht möglich.
Wie stellt man einen Comiczeichner aus?
Würde das fertige Album gezeigt, das der Museumsbesucher selbst im Comichandel erwerben könnte, hätte das den Beigeschmack des Herkömmlichen ohne gesteigerten Informationswert. So bleiben einem Museum die schwarz-weißen Originalzeichnungen, die aber das gedruckte Endergebnis nur unzureichend repräsentieren. Koloriert hat Moebius selbst aber oft auch nicht. Einige der Portfolios wurden digital von anderen Zeichnern koloriert (seine „Leutnant-Blueberry“- oder „Incal“-Alben sowieso). Die Brühler Ausstellung ist zusätzlich mit Terminals durchsetzt, an denen man Comics wie „Die Hermetische Garage“ durchklicken kann. Dort sind viele Comic-Seiten in ihrer Abfolge im Kleinen zu sehen, und es macht das Dilemma klar: Ein Comiczeichner produziert viele Seiten bzw. zeichnet ständig. Dabei entsteht viel Material. Man kann sich als Ausstellungsmacher die einzelne Seite oder ein einzelnes Panel herausgreifen aber es ist dennoch im Gesamtzusammenhang der Geschichte, des Heftes oder des Albums zu sehen. Und damit ist das einzelne Exponat zunächst nicht das Entscheidende, sondern seine Verbindung zu den weiteren Zeichnungen. In einer Ausstellung ist das schwierig zu vermitteln – erst in ihrer Gesamtschau offenbart sich die Moebius-Zeichenwelt gerade dem, der Moebius vorher nicht gut kannte, als faszinierende alternative Wirklichkeit.
Moebius, der einflussreiche Zeichner
Moebius gilt neben seiner Kreativität, seinem Improvisationstalent und seiner Vorstellungsgabe als begnadeter Stilist und technisch brillanter Zeichner, der sowohl im locker-improvisierten als auch im akkurat-exakten Zeichenstil eigentlich alles darstellen konnte. Insbesondere seine räumlich-perspektivischen Darstellungen sind verblüffend, weil sie selbst höchst surreale Szenerien realistisch erscheinen lassen. Er hat in den 1970er-Jahren einen neuen Zeichenstil entwickelt, der in seinem Detailreichtum an Kupfer- und Stahlstiche vergangener Zeiten angelehnt war. Den kann man aber auch als Fortführung der Stilistik von Underground-Zeichner Robert Crumb sehen. Die mitunter sehr aufwendige Ausführung seiner Zeichnungen wurde stilbildend:
- Zeichner Hermann Huppen änderten unter Moebius’ Einfluss seinen Stil vom schwungvollen Pinselstrich zur feineren und detaillierteren Ausarbeitung.
- Jean-Claude Mézières adaptierten teils die Moebius-Strichführung.
- Milo Manara zeichnet wie Moebius und hat die typischen Schraffuren für sich adaptiert.
- Enki Bilal war zunächst zeichnerisch ein Epigone von Moebius und emanzipierte sich schnell von dessen Stil.
- Frank Miller, der Innovator der Superhelden-Comics in Amerika, lehnte sich etwa in seiner Comic-Serie „Ronin“ aber auch immer mal wieder darüber hinaus an den Moebius-Zeichenstil an.
- Katsuya Terada hat den Moebiusstil sehr direkt übernommen.
- Simon Bisley profitierte ohne direkte Einflussnahme wie andere Zeichner im angloamerikanischen Raum von der lockeren grafischen Auffassung von Moebius, die auf höchstem Niveau mit Zeichen-Techniken spielt.
Bei „Metal Hurlant“/„Schwermetall“/„Heavy Metal“ war der Franzose Moebius neben dem Philippino Alex Nino und dem Amerikaner Richard Corben der große Innovator, der dem Comickenner eine nie gesehene neue visuelle Welt bot. Übrigens probierten die sehr eigenständigen Könner Nino und Corben bei ihren Schwarzweiß-Zeichnungen stellenweise ebenfalls Varianten der Moebius-Schraffurtechnik aus, ohne ihren Stil grundsätzlich zu ändern.
Ausstellungsansatz „Einflüsse“
Der visuell stilbildende Zeichner Moebius: Für eine Ausstellung könnte diese Darstellung der verflechtenden Einflüsse des Zeichners Moebius darstellt werden. „Wie wurde er beeinflusst und wie hat er beeinflusst?“ könnte die konzeptionelle Frage lauten, die eine solche Ausstellung beantworten würde. Dies ist deshalb lohnend, weil Moebius vielfältige Projekte in unterschiedlichen Kulturkreisen realisiert. So hat er in Europa, Amerika und Japan gelebt und über das Medium „Comic“ auch das Medium „Film“ beeinflusst.
Ausstellungsansatz „Zeichner-Spaltung“
Der doppelte Moebius: Eine bereits vielfältig beschworene Konzeption für eine Ausstellung könnte auch die in der Comicwelt einmalige Persönlichkeitsspaltung des Zeichners sein:
- Als Jean Giraud (mit dem Kürzel „Gir“) zeichnete er klassisch-realistisch, als Moebius innovativ-phantastisch.
- Der eine, ganz ein Traditionalist, der andere ein Experimentator.
- Der eine ein Kalkulator, der eine visuelle Sprache fortführte, die man kannte, der andere ein Improvisator, der sowohl visuell als auch narrativ alles über den Haufen warf, was man in den Comics bisher kannte und so zum Innovator wurde.
Diesen Ansatz des zeichnerischen Zwiespalts hat die Ausstellung des Max Ernst Museums vermieden, weil sie sich mit dem Schwerpunkt Surrealismus auch nur auf die surrealen Aspekte von Moebius beschränken wollte. Zwar ist das Thema „Der doppelte Mensch“ in Brühl vertreten, aber von Jean Giraud ist nur das gemalte Cover eines einzigen „Blueberry“-Albums zu sehen, viel mehr kriegt man von der realistischen Seite des Zeichners nicht mit – obwohl die Aufspaltung der zwei Zeichenwelten selbst genauso surreal ist wie die gezeichneten Szenarien. Die Überschneidungen und Übergänge zwischen beiden Welten wurden noch zu wenig gewürdigt und rezipiert, was ein interessanter Ansatzpunkt ist. So taucht „Blueberry“ mitunter als Figur auch in der Moebiuswelt auf. Andererseits nähert sich eine bestimmte Phase im „Blueberry“-Epos (zwischen dem sechsten Zyklus „Die Verschwörung“ aus Mitte der 1970er-Jahre und dem siebten Zyklus „Tsi-Nah-Pah“ Anfang der 1980er-Jahre) stilistisch der Strichführung von Moebius an. Schon sehr früh hat Giraud beispielsweise ein Poster für das damalige deutsche Comicmagazin „Zack“ im ganz typischen Moebius-Stil gezeichnet. Tatsächlich haben sich die Zeichentechniken der beiden Zeichner-Persönlichkeiten im Laufe der Zeit stellenweise angenähert. Der typische Jean-Giraud-Pinselstrich kann übrigens auch in phantastischen Moebius-Geschichten auftauchen.
Ausstellungsansatz „Stilistik“
Manieristisch oder „Ligne claire“? Ist Moebius ein detailverliebter Manierist oder ein abstrahierender Reduktionist? Surreale Szenerien hat Moebius in beiden Stilen gezeichnet – sowohl im klaren, einfachen Stil der „Ligne claire“, die aus der franko-belgischen Zeichenschule eines Hergé (dem Autor/Zeichner von Tim & Struppi) stammt.
Ein Ansatzpunkt, der in der Comicfachwelt ebenfalls zu wenig gegenübergestellt wurde, ist der Unterschied zwischen Strich-überladenen und manieristischen Zeichnungen und reduktionistischen, die mit wenigen Strichen und ohne die berühmte Moebius-Schraffurtechnik auskommen. Moebius hat nicht nur qualitativ zeichnerisch ein hohes Niveau erreicht und gehalten, sondern stach auch durch die schiere Menge an Zeichnungen, Comics, Illustrationen oder Karikaturen quantitativ hervor. Er hat eine Produktivität an den Tag gelegt, die man im europäischen Raum kaum findet, deshalb gibt es in seinem Werk noch lange viel zu entdecken. Wie man hört, sichtet die Familie auf absehbare Zeit analoge und vor allem digitale Werke aus dem Nachlass, die noch unveröffentlicht vorhanden sein sollen. Auch dies wäre ein interessanter Ansatz für eine Ausstellung: den noch unbekannten Moebius zu zeigen und bezüglich seiner konträren Zeichenstilistik zu kategorisieren.
Ausstellungsansatz Farbe und Schwarzweiß
Ein weiterer Aspekt im Schaffen von Moebius ist der Umstand, dass er gerade zu Anfang viel in Schwarzweiß veröffentlicht hat. Die „Arzach“-Geschichten gehören zwar auch zum Frühwerk und waren farbig ausgeführt aber etwa die „Hermetische Garage“ oder andere Kurzgeschichten-Comics wurden oft genug schwarzweiß abgedruckt, wodurch man die Linienführung besonders würdigen konnte, da sie nicht in Konkurrenz zu den Farben stand. Der schwarzweiße und der farbige Moebius, gerade der, der auch gemalt hat, wäre ein weiterer Aspekt, den eine Ausstellung erschließen könnte.
Ausstellungsansatz „Comic-Personal“
Moebius’ prägnanter Figuren-Kosmos: Eine populäre Dimension wäre der Umstand, dass im Gesamtwerk von Jean Giraud/Moebius einprägsame Figuren geschaffen wurden. Moebius war nicht nur der versponnene Surrealist, der seltsame Welten schuf, er machte sie über einprägsame Figuren auch zugänglich und erfahrbar. So schuf er ein Entree für im Surrealismus nicht geschulte Augen.
- Auf der kommerziellen Seite sind das etwa die Figur des „Leutnant Blueberry“ und dessen Personenkosmos oder
- „John Difool“ beim „Incal“,
- auf der anderen Seite „Arzach“ und
- „Major Grubert“.
Neben den Personen als Konstante gibt es darüber hinaus wiederkehrende Orte. In der Kargheit der Wüste vollziehen sich die vielfältigsten Geschichten. Die Wüste wird nicht nur zum Ort der jeder Handlung, zugleich ist sie eine Symbolwelt der Möglichkeiten. Andererseits ist die „Hermetische Garage“ als nicht-realer sondern surrealer Ort eine begriffliche Klammer für ein Sammelsurium von geschehnissen, die mitunter wie Ausschnitte aus verfremdeten Erzähl-Klischees wirken. Moebius hat mit diesem Namen für eine nur scheinbar abgeschlossene Welt ein Refugium für seine überbordende Phantasie geschaffen und vermittelt damit dem Leser die Illusion einer Welt, die der zu kennen glaubt. Die Grundhaltung der handelnden Figuren ist so oft auch eine relative Unaufgeregtheit angesichts aufregender Ereignisse.
Ausstellungsansatz „Selbstportrait“
Der autobiografische Moebius: Der Zeichner selbst taucht meist als karikierte Figur in seinen Comics oder Zeichnungen immer wieder auf – auch diese Selbstreflexivität könnte in einer Ausstellung zum Thema werden. Für Moebius war es offenbar eine Freude, sich über sich selbst lustig zu machen bzw. sich selbst näher zu kommen, indem er sich in seinen Geschichten spielerisch in die unterschiedlichsten Situationen versetzte. Wie Moebius in seinem Werk mit sich selbst umging, ist als selbstreferenzielles Augenzwinkern einmalig.
Ausstellungsansatz „Alters-Phasen“
Moebius als Zeichner in seiner Jugend und im Alter: Ein letzter Umstand, der bemerkenswert erscheint, ist, dass Moebius einer der wenigen Zeichner war, der auch im Alter und sogar trotz seiner langen Erkrankung offenbar qualitativ nicht nachgelassen hat. Während viele andere Comiczeichner sich zum Teil schnell ausgelaugt haben und mit zunehmendem Alter nur noch das Altbekannte abspulten, hat Jean Giraud bis immer noch eine verblüffende Qualität und Ausdrucksstärke gezeigt – nicht nur technisch sondern auch motivisch-kreativ. Er hat nicht nachgelassen, sein Unbewusstes zu erkunden und seine Formensprache zu erweitern. Der Umstand der offenbar nicht versiegenden Kreativität ist in die Ausstellung des Max-Ernst-Museums in Brühl gut zu sehen.
Ausstellungsansatz „Ausdruck“
Realistische Erwachsenen-Welten und positiv-naive Kinder-Welten: Moebius war ernst und spielerisch zugleich. Er hat Figuren geschaffen, die witzig-infantil oder realistisch-ernst waren. Beide Polaritäten hatten einen Einfluss auf seine visuellen Phantasiewelten. Für eine Ausstellung könnte zwischen Comics und Filmen einerseits für Erwachsene und andererseits für junge Leser und Zuschauer ein Kontrast gebildet werden, der die erzählerisch-zeichnerische Spannweite von Moebius zeigt.
Beitrag 1 zur Ausstellung: Zeichner Moebius als Meister des surrealen Traums: Ausstellung zur Comic-Zeichenkunst im Max Ernst Museum
Beitrag 3 zur Ausstellung: Der Symbol-Kosmos von Comiczeichner Moebius: Ausstellung zur Comic-Zeichenkunst im Max Ernst Museum