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Kunsttagebuch: Angstbewältigende Contra-Phobie als künstlerischer Antrieb

Was treibt den Künstler als Mensch an? Herausforderungen der Unausweichlichkeit von Liebe und Tod? Oder sind nicht auch das Spüren und Erleben von Lebenskraft und Angst entscheidende Faktoren? Denn daraus könnte eigenes Vermögen oder Unvermögen resultieren und ein Gefühl von Macht oder Ohnmacht, das der Angst nachfolgt. Normalerweise will man Kraft und Stärke verkörpern und dem anderen Aspekt der Angst ausweichen.

Deshalb sind „Konfrontation“ und „Vermeidung“ im Denken und Fühlen normalerweise zwei voneinander getrennte Welten. Aber wer seinen Ängsten begegnen will, kann sich einem Angst-Subjekt oder -Objekt stellen, an oder mit dem er seine Ängste oder Phobien durchleben kann. Unter Umständen immer wieder auf‘s Neue – und damit ritualisiert.

Künstler, die sich ihren Ängsten stellen

„Ritualisiert“, das ist ein Stichwort, das ebenso in der Kunst eine Rolle spielt. Kunst schafft, wer sein Unterbewussten ergründet und wirken lässt und sich so meditativ in den Gegenstand der Betrachtung versenkt. So kann man in der künstlerischen Tätigkeit seinen Ängsten begegnen. Es gibt bekannte Beispiele dafür:

Konfrontative Contra-Phobie in der Kunst

Man muss aber gar nicht so weit zurück gehen. Zahlreiche Künstler, deren Wirken bis ins 20. Jahrhundert reichte, haben ihre Ängste und ihre Besessenheit ästhetisiert.

Kunst als Wahrheitsfindung

Vieles, was den Künstler bewegt, lässt sich nicht mit Worten ausdrücken oder zumindest nicht adäquat genug, um ein Gefühl bei ihm zu konservieren oder beim Betrachter zu erzeugen. Über einen Kriegsversehrten zu reden, zu lesen oder ihn zu zeigen, sind unterschiedliche Aktivierungsvorgänge. Sieht man etwa ein durch Kugeln zerstörtes Gesicht auf einer Fotografie, kann das mehr Betroffenheit auslösen als ein verbaler Bericht. Kunst, die weniger konkret ist, und die Gefühle selbst abbilden will, kann den Betrachter auf einer weiteren Ebene aktivieren. Ein konfrontatives Bild reizt zur Auseinandersetzung, weil ein Bild, das sich solchermaßen der Wahrheit annähert, Betroffenheit erzeugt. Die Verschleierung oder das Umschiffen der Wahrheit durch schönendes Ästhetisieren hemmt die Auseinandersetzung und damit inneres, persönliches Wachstum. Wer also in der Kunst seiner Wahrheit nahe kommen will, muss sich seinen Ängsten stellen.

Was ist eine Phobie?

Der Inbegriff der Angstbewältigung ist die sogenannte „Contra-Phobie“ (oder: Kontraphobie). Dabei ist eine Phobie eine Angststörung, die sich auf ein bestimmtes Objekt oder Subjekt bezieht, zum Beispiel auf eine Angst vor Spinnen oder Mäusen aber auch auf eine Angst vor einer Gewalt-Situation, weil man etwa selbst ein Gewaltopfer war und dadurch ein Trauma erlitten hat.

Was ist eine Contra-Phobie?

Im Gegensatz dazu ist die Contra-Phobie eine Methode der Angstbewältigung oder Angstvermeidung. Ihr Ansatz ist eine Art „Flucht nach vorne“, indem man sich bewusst dem Angstauslöser aussetzt bzw. sich mit ihm konfrontiert. Die vormals passive Beeinträchtigung wird in aktives Verhalten umgewandelt. Der Contra-Phobiker ist ein die Gefahr und das Wagnis Aufsuchender. Dabei kommt es unter Umständen zu einem libidinösen Empfinden Angesichts des Gegenstands der Phobie. Contraphobisches Verhalten als aktiver Prozess der Auseinandersetzung ist positiv besetzt, man kann aber im Verlauf dieses Bewältigungsprozesses zum angstsüchtigen Contra-Phobiker werden, der den Prozess aus Angstkonfrontation, Durchleiden der Angst und Angstüberwindung immer wieder initiieren muss.

Abscheu oder Anziehung? Die libidinöse Contra-Phobie

Starke Gefühle wie Angst, Aggression oder Trauer können triebhaft besetzt werden. Der Reiz einer wiederkehrenden Begegnung mit den eigenen Gefühlen kann ein lustvolles Begehren auslösen. So kann die Angst selbst gleichzeitig abschreckend und libidinös empfunden werden. Unter diesem Blickwinkel lässt sich Kunst betrachten, die an Grenzen und darüber hinaus geht, die Ängste visualisiert und den Künstler sich mit dem auseinandersetzen lässt, was ihn beeinträchtigt, weil es ihm grundlegend Angst macht. Kunst, die Ängste darstellt und damit diese Ängste verarbeitet, kann man ggf. als contraphobisch ansehen, wobei die libidinöse Prägung zwischen Angst und Lust den Künstler noch weiter in seinen ästhetischen Kosmos führt und eine ästhetische Leidenschaft evoziert.

Erleichterungsgefühl nach der Angstbewältigung

In Angstsituationen wird das Hormon Adrenalin ausgeschüttet, das Energie für schnelle Reaktionen wie Flucht oder Angriff bereitstellt. Auch Noradrenalin kommt zum Einsatz, das ein Hormon und zugleich ein Neurotransmitter ist. Es wirkt unter anderem auf das Zentralnervensystem. Die Angst-Situation wird zunächst als hochgradig stressig empfunden. Körperliche Symptome sind ein höherer Blutdruck, eine beschleunigte Atmung, ein schnellerer Herzschlag und eine erhöhte Aufmerksamkeitsleistung, weil die Wahrnehmung in einer bedrohlichen Situation schneller funktionieren muss. Nach Beendigung der Angstsituation wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet, das beruhigend und ausgleichend wirkt. Diese starke Reiz-/Reaktions-Kopplung aus Erregung und Ruhe kann als beglückender Mechanismus den Menschen prägen und eine Sucht nach dem ultimativen Thriller entstehen lassen – mit anschließender körpereigener Runterreglung durch das Dopamin. Dieser Mechanismus mag der Grund dafür sein, dass man sich dauerhaft seinen Ängsten stellt, indem man in seiner Kunst zunehmend weiter geht. Künstler die als besonders leidenschaftlich oder sogar besessen gelten, sind vor diesem Hintergrund zu sehen.

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