Dass die oberflächlichen 1980er- und 1990er-Jahre einen Kult um die Supermodels hervorbrachten, die der aus Duisburg stammende Fotograf Peter Lindbergh eher ungeschminkt und damit ungewöhnlich ins Rampenlicht gerückt hatte, verwundert nicht.
Lindbergh hatte 1990 ein damalig ungewöhnliches Cover für die Modezeitschrift „Vogue“ geschossen, auf dem Cindy Crawford, Christy Turlington, Linda Evangelista und Tatjana Patitz zu sehen waren. Sie wurden in der Folge hoch bezahlte Supermodels und als solche weltberühmt. In den Medien waren sie fortan gleichberechtigt mit Showgrößen und Musikstars zu sehen.
Supermodels: Eine Neue Spezies
Hoch bezahlte Models hatte es schon seit den 1960er-Jahren gegeben, neu war ihre Medienreichweite, die damit zusammenhing, dass Models, ihr Aussehen, wie sie sich gaben, schminkten und kleideten, ein immer prominenteres Medienthema geworden waren. Das hatte sich in einem schleichenden Prozess über die Jahrzehnte vollzogen. Die Medien brauchten Stiloberflächen, die durch ihre Visualität wirkten. Die angesagten Magazine brachten Fotostrecken, deren Inhalt nur das Aussehen der Models war, was vorher den Modezeitschriften vorbehalten gewesen war. Fotograf Lindbergh hatte durch seine Art zu fotografieren, die Models von den Laufstegen scheinbar in die Lebenswirklichkeit der echten Welt geholt – und Modefotografen und ihre Ästhetik drangen nun in den Alltag aller Magazinleser und Fernsehzuschauer ein.
Naomi Campbell in „In the closet“
Die erst 17jährige Christy Turlington etwa war bereits 1986 im Erfolgsvideo „Notorious“ der Popgruppe „Duran Duran“ zu sehen. 1990 sorgte das Video zu George Michaels „Freedom“ für ein gewaltiges Medienecho. Und 1992 veröffentlichte Michael Jackson ein Langvideo mit etwas über sechs Minuten Laufzeit zum Song „In the Closet“ (übersetzt etwa: „Im Geheimen“). Da passt es auch, dass ein weiterer der Superstars unter den Fotografen, Herb Ritts, beim Video Regie führte und Michael Jackson eher ungewöhnlch monochrom und ungewohnt mit zurück gegelten Haaren in Szene setzte. Hier mit von der Partie war Supermodel Naomi Campbell. Die ursprünglich im Song von Prinzessin Stéphanie von Monaco gesprochenen Text-Teile wurden von Campbell für das Musikvideo neu vertont.
Die Lyrics von „In the closet“
Im langen sich wiederholenden Text singt ein Michael Jackson, der längst seine Privatsphäre verloren hatte: „Just promise me/Whatever we say/Or whatever we do/To each other/For now we’ll make a vow/To just/Keep it in the closet.“ Frei übersetzt heisst das etwa: „Versprich mir, dass/Was immer wir/Zueinander sagen/Oder miteinander tun/Wir uns schwören/Es geheim zu halten.“ Michael Jackson war längst zum überlebensgroßen Star geworden, bei dem die Wirklichkeit seines Lebens und die illusionistische Medienwirklichkeit grotesk und beängstigend ineinander übergingen. Jackson kämpfte um sein Privatleben und war in der Folgezeit mit immer heftigeren Vorwürfen in den Medien konfrontiert. Das über Jahre von ihm sorgsam aufgebaute Positiv-Image verkehrte sich ins Gegenteil und er thematisierte dies immer wieder in seinen Texten und kämpfte damit dagegen an.
Ausdrucks-Synthese im Musikvideo
Michael Jackson schuf auf verschiedenen Ebenen, die miteinander in den Musikvideos eine Einheit eingingen, einen musikalisch-rhythmischen Ausdruck:
- Durch seinen emotionalen Gesang,
- die akzentuierende Dramatik seines Tanzes und seiner Körperbewegungen und
- die rhythmusbetonte eingängige Melodik.
Der jeweilige Regisseur sollte eine eindrucksvolle visuelle Klammer dafür schaffen, dass sich diese Elemente ergänzen konnten. In „In the closet“ ist das Herb Ritts durch eine Reduktion der Mittel gut gelungen. Michael Jackson wirkt nicht overdressed, vielmehr eher puristisch gekleidet, diesmal nicht als Fantasiefigur sondern zwar immer noch eindrucksvoll aber wie auf dem Boden der Tatsachen. Auch das Zurücknehmen der Farbe hin zum Sepia-Ton verstärkt diesen Eindruck des für Michael Jackson wenig bombastischen Visuellen. Die Spannung zwischen Model und Sänger wird gut eingefangen, auch wenn Naomi Campbell das übliche leere und leidenschaftslose Modelgesicht zeigt, was aber dem gut konditionierten durchschnittlichen Mediensüchtigen nicht weiter auffällt. „In the closet“ mit seiner reduzierten visuellen Sprache ist eines der schönsten Videos, die Michael Jackson gedreht hat – und selten sah er besser aus.