Alles richtig zu machen, ist ganz einfach. Man muss sich nur an die Regeln halten. Regeln zu befolgen, ist opportunistisch, langweilig und führt zu nichts anderem als dazu, das, was man will und wünscht, auf einer graden Linie zu erreichen. Für manche ist das viel, für andere gar nichts. Der Königsweg der Veränderung ist es jedenfalls, Fehler zu begehen und deshalb einen krummen Weg zu beschreiten.
Fehler im Leben betten die Macht des Zufalls ein. Das kann nach vorne bringen oder ins Auge gehen. Einen Fehler zu machen ist das, was man eigentlich nie tun sollte. Ein gravierender Fehler ist ein Tabubruch, ein Bekenntnis zum Versagen, das heißt zur eigenen Schwäche und damit zu sich selbst als Mängelwesen. Nicht nur, weil irren menschlich ist, sind Fehler entscheidend, sondern vor allem, weil der Fehler das Gegenteil einer das Gewohnte verstärkenden Belohnung ist.
Lehren aus dem Misserfolg
Denn wenn der Mensch alles richtig macht und wie man so sagt „erfolgreich“ ist, wird er bestätigt und damit motiviert, den Weg weiterzugehen, den er eingeschlagen hat. Jedoch ist eine Belohnung lediglich die Festigung und Zementierung des Bestehenden, die Negierung des Neuen. Wodurch ist Steve Jobs mit seinen Unternehmen Apple und Pixar so erfolgreich geworden? Weil er erfolgreich war und immer erfolgreich gewesen ist? Falsch: Er war früh erfolgreich, um dann zu scheitern. Aus diesem Scheitern, das darin bestand, dass seine eigenen Vorstandskollegen ihn aus dem Apple-Vorstand geschmissen hatten, zog er Lehren, die ihn erst dann bleibend erfolgreich gemacht haben.
Verkannte Künstler
Aber warum bei Kunst an einen Unternehmenslenker denken? (Auch wenn Jobs bei der Entwicklung seiner Produkte tatsächlich an technische Kunstwerke dachte und die Bessenheit eines Ästheten an den Tag legte.) Viel näher liegt der Künstler, der oft wenig bestätigt und wenig anerkannt wird, bei dem – wenn überhaupt – oft genug seine Relevanz erst nach seinem Tode erkannt wird. Vincent van Gogh ist der vielleicht augenfälligste Fall eines seinerzeit verkannten Künstlers, gilt er doch heute dem Kunstmarkt fast als Inbegriff der modernen Kunst. Paul Gauguin ist ein weiterer Künstler, dem erst nach seinem Tod Anerkennung zuteil wurde und der dann als Wegbereiter einer neuen Auffassung von Kunst galt. Egon Schiele saß 24 Tage im Gefängnis wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“, obwohl er dank seines Mentors Gustav Klimt durchaus künstlerische Erfolge feiern konnte. Sein kurzes Künstlerleben war wechselseitig gesäumt von Widerspruch und Förderung.
Damien Hirst, der Über-/Unter-Künstler
Wohl kaum ein zeitgenössischer Künstler hat wie der Engländer Damien Hirst so viel richtig und so viel falsch gemacht. Der angeblich mit einer Milliarde Dollar reichste Künstler der Welt, hat mit seinem diamantenbesetzten Totenschädel mit dem Werktitel „For the Love of God“ in 2007 ein Kunstwerk geschaffen – und das auch noch pünktlich zur nachfolgenden Weltwirtschaftskrise – das symbolisch für eine Epoche steht. Verkauft wurde es übrigens für 50 Millionen Pfund = 75 Millionen Euro. Aber Hirst ist vor allem auch durch seine kommerziellen Ambitionen und sein Verkaufsgeschick bekannt geworden. Die Preise für seine Werke sind später abgestürzt und er war schließlich ein von der Kunstkritik Vielgeschmähter. Ob das seine Kunst besser gemacht hat? Die Meinungen gehen da auseinander. Jedenfalls hat er die Chance bekommen zu lernen.
Was ist Erfolg in der Kunst?
Nicht jeder, der Fehler macht, muss also zwangsläufig aus ihnen lernen. Manch einer macht Fehler und stürzt ab. Wer beim Bergsteigen Fehler macht, kann sterben, wer in der Kunst eine falsche Entscheidung trifft oder einen falschen Weg geht, kann entweder an der Negativerfahrung scheitern oder aus dem Scheitern etwas mitnehmen, das zu etwas Neuem führt. Das „Sesam-öffne-Dich“ der Kunst ist nie die Bestätigung sondern der zeitweilige Misserfolg. Erfolg? Misserfolg? Wer will sagen, ob das die richtigen Kategorien sind? Vincent van Gogh hatte keinen Erfolg zu Lebzeiten und einen großen Einfluss auf die Kunstwelt vor allem nach seinem Tod. Einen kommerziellen Erfolg konnten seine Bilder später sowieso verzeichnen. Ein zeitgenössischer Künstler wie Jonathan Meese ist weltbekannt, aber wird man ihn in Jahrzehnten noch kennen? Und sollte er relevant bleiben: Wird er zukünftig lediglich kunsthistorisch betrachtet oder hat er nachfolgenden Generationen noch etwas zu sagen? Erfolg oder Misserfolg in der Kunst meinen die ästhetisch-inhaltliche Relevanz. Wer sich neu erschaffen will, vielleicht sogar mehrmals im Leben, sollte die Kanonisierung meiden und den Misserfolg anstreben. Das kann ein Zwischenschritt sein oder zum Programm werden.
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6 Responses to “Kunsttagebuch: Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“”
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