Der YouTuber Rezo hat ein besonderes Video gemacht. In „Zerstörung der CDU“ übt er vielfältige Kritik an der Regierungspolitik und belegt dies beispielhaft anhand einiger Handlungsfelder der CDU-Politik: Erderwärmung und CO2-Ausstoß, Drohnenkriege und Kriegsverbrechen, die von deutschem Boden aus koordiniert und hier geduldet werden, Atomwaffen oder Drogenpolitik. Das Video ist eine interessante Mischung aus leidenschaftlichem Vortrag, Polemik und fundierter Belegführung.
Die CDU wollte ein Antwort-Video veröffentlichen, weil das Rezo-Video viral gegangen ist. Gedreht wurde es auch aber nicht veröffentlicht. Der Grund? Die CDU hat es sich noch einmal überlegt. Vermutlich ist sie so knapp vor der Europawahl strategisch gesehen auch gut beraten, es nicht zu veröffentlichen, weil sie damit noch mehr Öl ins Feuer gegossen hätte. Gewinnen hätte sie damit nichts können, weil das Rezo-Video in seiner Art zu überzeugend ist. Hier ist die Begründung von Philipp Amthor zu sehen, das CDU-Antwort-Video nicht zu veröffentlichen:
CDU reagiert auf Rezo-Video bezüglich Erderwärmung
Anstatt dessen hat die CDU ausführlich ihrerseits auf ihrer Webseite mit vielen Belegen auf Rezos Vorwürfe geantwortet. Daran kann man zunächst sehen, was der Unterschied zwischen Realpolitik und idealistischer Weltsicht ist. Was Rezo grundsätzlich von einen idealistischen Standpunkt aus kritisiert hat, trifft bei den Antworten der CDU auf die Einschränkungen, die Politik mit sich bringt. Was bei Rezo einfach und sofort einleuchtend klingt, ist in der Realität der Politik nicht immer umzusetzen, komplizierter und trifft auf Widerstände oder Kompromisse, die man eingeht. Ein Beispiel dafür sind die Einlassungen der CDU zur Klimapolitik. Sie räumt ein, dass sie ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreicht hat. Sie führt etwa auf Rezos Argument, dass man in England schneller die Klimaziele erreiche, an, dass dies dort durch den erhöhten Einsatz von Kernenergie ausgeglichen würde. Deutschland, das aus der Kernkraft aussteige, könne dies nicht, entsprechend müssten die Kohlekraftwerke länger am Netz bleiben. Das mag allgemein betrachtet nachvollziehbar sein. Die CDU schreibt aber konkret auch: „Wir befassen uns darüber hinaus intensiv mit der Frage, wie sich Deutschland der französischen Initiative der Klimaneutralität bis 2050 anschließen kann.“ Das wäre ein Zeitraum, lange nachdem die Klimakatastrophe bereits ernste Auswirkungen haben würde.
CDU reagiert auf Rezo-Video bezüglich Kriegsverbrechen
Rezo geht an einer Stelle seines Videos auf Kriegsverbrechen des amerikanischen Militärs ein und stellt in Bezug auf unsere Bundesregierung einige Fragen, die sich auf die Moral der heutigen Politik beziehen. Im Falle eines geleakten Videos von 2007, in dem zu sehen war, dass amerikanische Soldaten unter anderem Journalisten und Kinder beschießen, außerdem danach jene Helfer, die den Verletzten zu Hilfe kommen wollen, fällt der Versuch einer Rechtfertigung, warum dies kein Kriegsverbrechen sei, unglaubwürdig aus. Die CDU schreibt: „Es wäre dann ein Kriegsverbrechen, wenn die Soldaten wissentlich auf unbewaffnete Journalisten geschossen hätten.“ Fakt ist: Die Soldaten haben wissentlich auf unbewaffnete Menschen geschossen. Das, was die zwei getöteten Reuters-Journalisten in der Hand gehabt hatten, hätte vieles sein können: ein Brett, ein langes Werkzeug oder eben ein Kamerastativ, das es ja tatsächlich auch war. Auf gut Glück auf jemanden zu schießen, der möglicherweise etwas in der Hand hält, was entfernt möglicherweise an eine Waffe erinnert, ist nicht nur grob fahrlässig sondern menschenverachtend. Dann auf die Menschen zu schießen, die den Verletzten zur Hilfe eilen und die nichts in der Hand halten, was an eine Waffe erinnert, ist völkerrechtswidrig. Der Vorgang war eindeutig ein Kriegsverbrechen. Jegliche Bedenken wurden beiseite gelassen.
CDU zu Kriegsverbrechen: „Keine Heimlichkeit“
Die CDU schreibt weiter: „Der Vorfall wurde schnell auf Antrag von Reuters untersucht und das Videomaterial zu dem Vorgang wurde Reuters überlassen. Es gab in diesem Fall nie einen Versuch, irgendeinen Aspekt dieses Einsatzes zu verheimlichen.“ Diese Behauptung ist eine Unwahrheit. Tatsächlich hat das amerikanische Militär den Vorfall des Beschusses Unbewaffneter, der sich am 12. Juli 2007 abgespielt hatte, geheim gehalten und eine erfundene Geschichte verbreitet, nach der die Journalisten zwischen die Fronten geraten und im Kugelhagel gestorben seien. Erst als 2010, also drei Jahre später, das Geheimvideo geleakt wurde, wie die Nachrichtenagentur Reuters hier berichtet, hat sich das etwas geändert. Das Video wurde also jahrelang unter Verschluss gehalten und ist nur deshalb an die Öffentlichkeit gelangt, weil es von einem Militärangehörigen illegal Wikileaks zugespielt wurde. Als in den Leak involviert wurde Chelsea Manning (vorher Bradley Manning, nach Geschlechtsumwandlung Chelsea Manning) danach als mutmaßlicher Informant inhaftiert und am 30. Juli 2013 von einem Militärtribunal schuldig gesprochen. Die Strafe: 35 Jahre Gefängnis. Präsident Barack Obama hat sie 2017 begnadigt. Die Soldaten, die 12 Menschen erschossen hatten, wurden nicht bestraft. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte vom US-Militär zur Klärung der Ereignisse weitere Informationen verlangt. Es sollte erklären, warum die Kameras der Erschossenen beschlagnahmt worden waren, die Aufnahmen aller Kameras des Kampfhubschraubers sollten zugänglich gemacht werden, ebenso die Funksprüche zwischen Bodentruppen und Hubschrauber sowie die Berichte aller Beteiligten des US-Militärs mit einer Aufstellung der konfiszierten Waffen. Das Militär verweigerte all dies, das der tatsächlichen Aufklärung gedient hätte. Warum die CDU behauptet, es hätte „nie irgendeinen Versuch“ gegeben, die Vorgänge zu verheimlichen, bleibt fragwürdig. Rezo hatte den Vorgang als eines von mehreren Beispielen dafür herangezogen, wie Deutschland indirekt in globale Kriege verstrickt ist. Dabei hat er besonderes Augenmerk auch auf die Overkill-Technik gelegt, bei der man mit High-Tech-Geschossen auf Unbeteiligte schießt. Die Bundesregierung nimmt dies in Kauf. An der Art der beschriebenen Rechtfertigung sieht man, dass von der CDU nicht sauber argumentiert wird. Nebenbei gesagt sind jene Einblendungen in Rezos Video aus den Bundespressekonferenzen, in denen dem Pressesprecher unbequeme Fragen zu Militäreinsätzen gestellt werden, am eindrucksvollsten, weil sie zeigen, wie sprachlos die Politik in kritischen Angelegenheiten sein kann.
Die überalterte Gesellschaft
Rezos Video enthält viele solcher Beispiele, es ist übergeordnet aber auch ein Appell an die Politiker, die Jugend und ihre Interessen wahrzunehmen und ernstzunehmen. Im nachfolgenden Video offenbart sich das ganze Drama eines Bundestages mit seinen zu alten Abgeordneten, einer zu kleinen jungen Wählerschaft und einer überalterten Gesellschaft, in der der Großteil der Wähler ebenfalls alt ist. In einer Gesellschaft, in der die über 60jährigen eine Hauptzielgruppe der Politik sind, läuft etwas falsch. Jugendliche scheinen als Wählergruppe für die CDU nur ein Nebenaspekt zu sein.
Politik der Unwahrheit?
Ein Politiker, der immer die Wahrheit sagen würde, würde sich nicht lange halten. Deshalb ist die Kunst, erfolgreich Politik zu machen, auch verbunden mit der Fähigkeit, abzuwägen was wie gesagt werden kann. Das gilt nicht nur für Öffentlichkeit und Wähler sondern genauso für den politischen Freund und den politischen Gegner. Das mag man bedrückend finden aber es ist Realität – auch im Politikgeschehen Deutschlands. Das hat zu einer politischen Kommunikation geführt, in der kurzfristige Taktik und langfristige Strategie oft wichtiger sind als Wahrheitsliebe. Die Entscheidung der CDU, jetzt kein Reaktionsvideo auf Rezos YouTube-Video „Die Zerstörung der CDU“ zu veröffentlichen, ist Teil einer Strategie, dem Video nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu bringen.
Verkopftheit oder Leidenschaft?
Rezos Ansatz und seine Sprache sind leidenschaftlich. Man merkt, dass er ein betroffener Bürger und Wähler ist, der diese Betroffenheit artikuliert und dennoch zeigen will, dass es nicht nur um Gefühle sondern um die Fakten geht, die diese Gefühle auslösen. Er kommuniziert nicht strategisch sondern offen und menschlich nachvollziehbar. Das ist ein Ansatz, den die Politik längst verlernt hat. Politik ist eine verkopfte Übung in strategischem Denken geworden, die dabei ihre Menschlichkeit zu oft vergisst. Auch das kann man aus Rezos Video lernen.
Zugriffszahlen und der Erfolg von Rezos CDU-Video
23.05.2019:
- fast 4,7 Millionen Aufrufe
- über 500.000 Daumen nach oben
- über 92.000 Kommentare
24.05.2019:
- 6.992.577 Aufrufe
- 706.419 Daumen nach oben
- 122.156 Kommentare
25.05.2019:
- 10.174.023 Aufrufe
- 948.909 Daumen nach oben
- 161.936 Kommentare
29.05.2019
- 13.249.353 Aufrufe
- 1,1 Millionen Daumen nach oben
- 190.653 Kommentare
28.06.2019
- 15.391.841 Aufrufe
- 1,2 Millionen Daumen nach oben
- 217.340 Kommentare
Online gegangen ist das Video am 18.05.2019. Wohl kein deutsches Politik-Video auf YouTube war so schnell so erfolgreich. Auch das spricht für sich.
4 Responses to “Die CDU, Rezo und die Europawahl: Offenheit oder Strategie?”
[…] Einen weiteren Endoplast-Artikel gibt es hier: Klick […]
[…] stellt sich die Frage, warum das Rezo-Video so sehr ein Stich ins Wespennest der CDU war. Darauf gibt es eine einfache Antwort: Bei politischen […]
[…] hat sie online mit Veröffentlichung einer PDF-Datei auf ihrer Webseite reagiert, die auf die Argumente eingeht. Davon abgesehen kann man aber zu dem Schluss kommen, dass gerade die CDU der älteren Jahrgänge […]
[…] in der CDU versteht er, wie das Web und Social Media funktionieren. Im Konflikt um das Rezo-Video „Die Zerstörung der CDU“ war er derjenige, der schnell ein Reaction-Video drehte, das aber nicht veröffentlicht wurde. Die […]