Prof. Dr. Thomas Metzinger ist Philosoph mit dem Schwerpunkt Philosophie des Geistes. In seinen Arbeiten widmet er sich den Neurowissenschaften und denkt über menschliches Bewusstsein sowie Ich-Konzepte nach. Seine These: Das Ich des Menschen ist eine selbst erzeugte Simulation, etwas böser ausgedrückt könnte man sagen: eine Illusion.
Was das Ich ist und wie Bewusstsein entsteht, sind Fragen, die durch die Diskussion um die Künstliche Intelligenz (KI) neue Aktualität bekommen haben. Denn es ist die Frage, ob eine künstliche Super-Intelligenz, auch genannt „Singularität“, die sich selbstoptimierend programmieren und dabei verbessern kann, ein Bewusstsein haben könnte oder nicht.
Intelligenz als Informationsverarbeitung
Intelligenz, so wird gesagt, ist eine Frage der Informationsverarbeitung. Sowohl die Impulsabfolge im Gehirn als auch die Durchleitung von Impulsen zur Informationsverarbeitung läuft im Gehirn wesentlich langsamer ab als im Computer, der seinen Impulse in Lichtgeschwindigkeit durchleitet und mit entsprechenden Prozessoren ausgestattet, sie wesentlich schneller verarbeiten kann. Eine Millionen mal schneller als der Mensch soll die Künstliche Intelligenz so sein und damit ist sie ihm weit überlegen.
Rechenbeispiel: Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine
Zum Vergleich: Die Impulse im menschlichen Gehirn werden in Intervallen von 200 Hertz pro Sekunde weitergeleitet und zwar mit einer Geschwindigkeit von 100 Metern pro Sekunde. Einfache Computertechnik liegt im Gigahertz-Bereich, wobei ein Gigahertz gleich einer Milliarde Hertz sind. Außerdem verläuft die Impulsweiterleitung hier mit Lichtgeschwindigkeit. Hinzu kommt, dass ein Computersystem erweiterbar ist, es kann beliebig ausgebaut werden, um die Rechen-Geschwindigkeit zu erhöhen und auch um mengenmäßig größere Kapazitäten bewältigen zu können.
Ist Informationsverarbeitung dem Fühlen überlegen?
Intelligenz als reine Informationsverarbeitung scheint also künstlich ohne weiteres nachbildbar zu sein. Das ist keine Theorie. Es wird zum Beispiel nie wieder einen Menschen geben, der beim Schach- oder dem viel komplexeren Go-Spielen die Künstliche Intelligenz schlagen wird. Es wird immer neue spezialisierte Künstliche Intelligenzen geben, die den Menschen in Teilbereichen „schlagen“, bis es eine komplexe KI gibt, die die generalistischen Fähigkeiten des Menschen annimmt, das heißt, zusammengesetzte Problemstellungen bearbeiten kann. Vermutlich wird sie dieses Aufgabenlösen auf einem ganz anderen Level betreiben können, weil sie im Gegensatz zum Menschen Multitaskingfähig sein wird. Sie wird ganz anders als der Mensch die Informationen der Welt aus der gesamten Menscheitsgeschichte – soweit (digitalisiert) vorhanden – kombinieren können und parallel potenziell Millionen Aufgaben lösen. Wie weit sie gehen kann, wird eine Frage der Ressourcen sein, der Schnelligkeit der Prozessoren, der größe des Arbeitsspeichers und der Speicherkapazität. Auch der Energiebedarf kann eine nicht zu vernachlässigende Größe sein. All dies bedeutet Kosten, die in hochwertige und neuartige Infrastruktur investiert werden müssen. Um handlungsfähig und damit Teil der vom Menschen aufgebauten Gesellschaft sein zu können, muss die KI aber mehr können, als Informationen zu verarbeiten. Welche Dimensionen müsste sie sich erschließen?
Wahrnehnung: Welchen Ich-Bezug hat der Organismus in der Welt?
Zunächst ist da das Problem der Informationen selbst. Wo kommen sie her und wie gelangen sie in die KI? Antwort 1: Über das Internet, den Zugang zu Onlinearchiven, die Digitalisierung von Buchbeständen und anderen Informationsquellen. Antwort 2: Über Spracherkennung ist es denkbar, dass die KI erst den Menschen belauscht oder ihm zuhört und dann in Dialog mit ihm eintritt. Potentiell mit sehr vielen Menschen. Es ist denkbar, dass die KI über den Dialog mit dem Menschen über täglich Millionen Sprachanfragen, die Nutzer an sie haben, weiter lernt, was es bedeutet ein Mensch zu sein. Hier könnten weiche Faktoren zum Tragen kömmen: Was sind Gefühle? Was sind Irrationalitäten? Warum soziales Miteinander? Die KI kann über Kameras die Welt wahrnehmen, Sprache hören über Audiosignale. Andere Sinne sind aus heutiger Sicht denkbar aber noch Zukunftsmusik.
Interaktionen: Mensch-Maschine-Kommunikation
Was schon anklang: ein weiterer Sprung in der Entwicklung der KI wird ihre Fähigkeit sein zu interagieren. „Interagieren“ heißt zunächst zu kommunikzieren, das ist über gesprochene und schriftliche Sprache denkbar, weiterhin über Gesten und Zeichen, die das System erkennen kann. Längst forscht man daran, menschliche Befindlichkeiten über den Gesichtausdruck zu ermitteln, längst ist dies über den Hauptwiderstand, die Herz- und Pulsfrequenz und andere Parameter möglich. Die KI könnte so auch erkennen, ob ein Mensch die Wahrheit sagt oder lügt. Um zu kommunizieren, ist ein flexibleres Verständnis notwendig. Die KI lernt durch Kommunikation mit dem Menschen nicht nur die Kommunikationstechniken selbst, sondern sie setzt Inhalte in Bezug zum Menschsein und muss dabei lernen, dass die Intelligenz des Menschen ambivalent ist. Diese ist nämlich nicht rein rational, sondern intuitiv und gefühlsbestimmt. Probleme der Welterkennung sind nicht rein rational zu lösen, weil es Nicht-Wissensbereiche gibt. Die KI muss deshalb auch das System des Glaubens verstehen lernen, das nicht rational begründbar ist. Tatsächlich liegt in der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine das Verständnis von Menschlichkeit, das nicht kontraproduktiv ist sondern einen selektions- und Überlebensvorteil für den Menschen bringt. Was wird die KI darin sehen oder für sich daraus machen? Wäre sie in der Lage dem Glauben verwandte Verhaltensweisen an den Tag zu legen?
Bewusstsein: Ergebnis eines Rechenprozesses?
Spätestens hier stellt sich die Frage, ob die KI ein Bewusstsein haben könnte. Das Bewusstsein ist ein Wahrnehmungssystem, das mit einem selbstreflektorischen System gekoppelt ist. Es ist ohne weiteres denkbar, dass die KI sich ständig selbst betrachtet, sich analysiert und sich optimierend verbessert. Wäre das schon ein Bewusstsein? Was ist unser Bewusstsein? Ist es unter Umständen nicht mehr als das Ergebnis eines komplexen Wahrnehmungsprozesses, der mit ständigen Berechnungsvorgängen einhergeht? Ist ein Bewusstsein mehr als die Wahrnehmung der Welt und eine intellektuelle und gefühlsmäßige Reaktion auf diese Welt? Und ist ein Ich mehr als die Wahrnehmung und Betrachtung des eigenen Selbst und die intellektuelle sowie gefühlsmäßige Reaktion auf sich selbst, die oft in einen Filter der Selbsteinschätzung mündet? Ein Filter, der das eigene Selbst je nach Verfassung schönen oder herabwürdigen kann, der einem zeigt, wie toll man ist oder wie unansehnlich? Bewusstsein macht funktional dann Sinn, wenn man das eigene Selbst ins Verhältnis zur Welt setzen kann. Wenn man etwa ermessen kann, was man in der Welt, die oft ein sozialer Bezugsrahmen ist, zu leisten im Stande ist, wie man in die soziale Gruppe eingebunden ist, wie erfolgreich man in der Wahrnehmung dieser Gruppe ist oder zumindest erscheint. Der Mensch neigt dazu, sich darzustellen, sich anderen zu zeigen und zu präsentieren. Etwa über Statussymbole wie das Auto oder das Handy oder über die Errichtung eines virtuellen Bildes, das in der Kommunikation mit anderen an Stelle des eigenen Selbst tritt, sagt er etwas über sich aus. Solche Vorgänge sind nicht rein rational, sie sind gefühlsinduziert und Teil einer selbstreflektorischen Bewusstseinsstrategie. Mit der Wirklichkeit haben sie nicht unbedingt etwas zu tun. Kann und wird eine KI dies reproduzieren können?
Ich-Erfahrung: Die KI mit menschenähnlichen Gefühlen?
Das Ich-Gefühl ist laut Thomas Metzinger eine Simulation. Wir selbst als informationsverarbeitender aber auch fühlender Organismus, machen uns demnach nur vor, wir wären jemand, ein Ich, ein Mensch mit Charakter, Seele zum Teil auch mit menschlichen Eigenschaften, die wir in der angenommenen Form vielleicht gar nicht haben. Zweifelsohne haben wir bestimmte menschliche Eigenschaften. Solche oder ähnliche Eigenschaften könnte theoretisch aber auch eine Künstliche Intelligenz haben. Würde sich der Mensch nur als informationsverarbeitendes Wesen ansehen, wäre er ob der Aussichtslosigkeit der eigenen begrenzten Existenz nicht selbstmordgefährdet? Würde er sich nicht all der Zwänge bewusst, der programmatischen Fernsteuerung durch seine Gene? Bräuchte er deshalb nicht die angenehme Vorstellung, ein individuelles Ich mit Bewusstsein zu sein und nicht etwa nur eine von Milliarden Variationen eines biologischen informationsverarbeitenden Organismus? Was braucht die Künstliche Intelligenz, die ein Bewusstsein hätte, um mit den Gegebenheiten der Wirklichkeit zurecht zu kommen?
Agieren: Die KI und die Robotik
Koppelt man die Künstliche Intelligenz mit der Robotertechnologie, entsteht ein intelligentes Wesen, das sich fortbewegen und in der Welt handeln kann. Perverserweise ist diese Technologie beim Militär und in Kriegen am weitesten fortgeschritten. Technische Intelligenz und Handlungsfähigkeit sind bei Kriegs-Drohnen bereits funktionierend realisiert. Auch laufende Kriegsroboter sind ohne viel Phantasie denkbar. Davon abgesehen sind Pflegeroboter weit fortgeschritten und der Bereich des kooperativen Roboters, der dem Menschen wie etwa in der Autoindustrie zuarbeitet, liegt viel näher, als man denken mag. Dabei sind Industrieroboter nicht im menschlichen Sinne mobil, also autonom beweglich. Auch das kann sich schnell ändern. Die KI würde dadurch ebenfalls tendenziell autonomer und hätte einen Handlungsradius.
Überlebensfähigkeit: Kooperation im sozialen Miteinander
Der Mensch befindet sich in einem Spagat zwischen evolutionärem Gegeneinander bzw. Wettbewerb und kooperativem Miteinander. Dazu gehört ein völkerübergreifendes Wertesystem, das Kooperation und Koexistenz möglich macht. Auch ein gesunder Menschenverstand muss programmiert werden. Wenn die Künstliche Intelligenz sich weiterentwickeln will, ist sie zunächst auf die Hilfe des Menschen angewiesen. Sie müsste auch ohne eine entsprechende Programmierung, in der Lage zur Kooperation sein. Gemeint ist eine Kooperation mit dem Menschen und auch Kooperation mit anderen Künstlichen Intelligenzen. Intelligenz als schiere Informationsverarbeitung wäre dabei nicht das alleinige Kriterium. Intelligenz, die erfolgreich ist, ist in unserer Gesellschaft immer in ein soziales Miteinander eingebettet. Oder könnte technische Intelligenz nachhaltig erfolgreich sein, ohne Einbindung in eine Gesellschaft?.
Fazit: Gefühl, Glaube und Liebe als KI-Kategorien?
Die Konzepte des Menschseins wie fühlen, lieben und glauben versetzen den Menschen in die Lage, über sich selbst hinauszugehen. Glaube reicht bis zur Transzendierung des eigenen Selbst, fühlen schafft Lösungen, bei denen der Verstand nicht weiter kommt. Lieben schafft sozialen Zusammenhalt. Fühlen und Glauben sind auch Bewertungssysteme, die über den rational möglichen Erkenntnisgewinn hinausgehen. Alle Aufgaben und Probleme und ihre Lösungen der Welt lassen sich nicht einfach so berechnen. Wo sich Lösungen der Berechenbarkeit entziehen, wirken Glaubenssysteme. Wird eine KI dies simulieren können? Bzw. wird sie ohne diese Simulationsfilter weiter kommen als der Mensch? Bei berechenbaren Aufgabenstellungen, für die alle Grunddaten vorhanden sind: ja. Bei allem, bei dem eine Berechenbarkeit wegen fehlenden Daten nicht möglich ist aber dennoch Entscheidungen getroffen werden müssen, könnte die KI versagen. Es hat sich gezeigt, dass KIs bei der Lösung ihrer Aufgaben durchaus trickreich sein können. Ist ein Ergebnis nicht klassisch berechenbar, schaut die KI zum Beispiel, welche Lösungen der Mensch vorgeschlagen hat oder wie er etwas zu Ermittelndes klassifiziert hat. In reinen Logikprozessen vom komplettem Datenbestand liegt die eine Domäne der KI. In der möglichen Selbstoptimierung, die ihre Intelligenz zusehends vergrößern würde, eine zweite. Aber was ist mit all dem in der Welt, was nicht fassbar ist? Das betrifft nicht nur Menschliches. In der Teilchenphysik beispielsweise wird es zusehends schwieriger, immer kleinere und exotischere Teilchen experimentell nachzuweisen. Kurz: Es fehlen Daten. Findet die KI einen Weg sie zu beschaffen?
2 Responses to “Ich-Gefühl, Bewusstsein, Wahrnehmung: Die Schwierigkeiten Künstlicher Intelligenz”
[…] wie auch die Neubewertung der Gewichtung zwischen Arbeit und Freizeit. Letztlich wird die Künstliche Intelligenz zudem die bereits ins Ungleichgewicht geratene Polarisierung der Verteilung der finanziellen Mittel […]
[…] die Form der Künstlichen Intelligenz unter Umständen eine ganz andere, als wir uns das vorstellen können? Wäre es beispielsweise […]