Als Bundeskanzlerin Angela Merkel einst davon sprach, dass das Internet für sie und vielleicht alle anderen in der Regierung „Neuland“ sei, ließ die Häme im Netz nicht lang auf sich warten. Aber eigentlich ist es gut, dass sie den Status Quo damalig so treffend beschrieben hat. Eine Politikerkaste liest Papier von Lobbyisten und wissenschaftlichen Mitarbeitern, sofern sie es liest, und fällt auf solchen Grundlagen Entscheidungen, ohne zu verstehen, was konkret und detailliert im Internet vor sich geht. Das ist fatal, denn die Digitaldemokratie folgt eigenen Regeln.
Ein Politiker managt Informationen. Viele Politiker hetzen umher und haben ihre Leute dafür, sich mit den Details der politischen Themen zu befassen. Das kann man der Politik einerseits nicht vorwerfen. Würde sich jeder Politiker in jede Thematik vertiefen, bräuchte er 48-Stunden-Tage.
Generationenverändernd: Der digitale Wandel
Aber der digitale Wandel im weitesten Sinne ist nicht ein Allerweltsthema, also nur eines von vielen Themen. Er ist auf absehbare Zeit eine der ganz wesentlichen gesellschaftsverändernden Herausforderungen, die die gesamte Bevölkerung und ihre Zukunft betreffen. Also kann man erwarten, dass Politiker sich mit den Sozialen Medien, mit den Funktionsweisen des Web und mit den Tätigkeitsfeldern von Konzernen im Internet dezidiert auseinandersetzen. Wenn der einzelne Politiker das nicht tut, kann er nicht kompetent entscheiden.
Falsche Behauptungen der Urheberrechtsreform-Befürworter
Es gibt viele Behauptungen der Befürwoter der Urheberrechts-Richtlinien, die zu wenig differenziert und deshalb zum Teil falsch sind. So wird behauptet, YouTube baue sein Geschäftsmodell auf Urheberrechtsverstößen auf. Das ist zum Teil richtig, zum Teil aber auch nicht. Richtig ist, dass viele Nutzer Musik, Filmteile oder ganze Filme hochladen, deren Urheberrechte sie nicht besitzen. Wenn der Urheber dies beanstandet, muss YouTube die entsprechenden Dateien vom Netz nehmen. Passiert dies öfter, wird der entsprechende Kanal ganz gesperrt. Dass dies zweifelsohne gut funktioniert, sieht man an Musik etwa von Jimi Hendrix oder den Beatles, die stets schnell verschwindet, weil sich die Rechteinhaber darum kümmern. Hochgeladene Musik wird schon jetzt über einen Uploadfilter dem Rechteinhaber zugeordnet. Bei einer Monetarisierung erhält er also die Tantiemen. Richtig ist andererseits, dass YouTube immer mehr ein Kulturraum mit eigenen Beiträgen geworden ist. Nur deshalb hat YouTube dem linearen Fernsehen Konkurrenz machen können, nur deshalb ist das Soziale Medium so beliebt. Diese Kanäle schaffen eigene Inhalte und sind deren Urheber. Zudem wird YouTube direkt oder indirekt rechtlich einwandfrei von den Musikern und Musikverlagen genutzt. Für viele große Musiker ist YouTube so eine wichtige Einnahmequelle geworden, weil YouTube den Musikern oder auch den Influencern hohe Zugriffszahlen bezahlt. Eine nicht geringe Zahl lebt sogar davon.
Warum die Reform des EU-Urheberrechts?
Die jetzt anstehende Abstimmung zur Urheberrechtsreform, repräsentiert durch den viel diskutierten Artikel 13 aber auch durch die Artikel 11 und 12, die inzwischen in Artikel 15, 16 und 17 umbenannt wurden, sind Teil der neuen europäischen Urheberrechtsrichtlinie. Warum gibt es sie und was soll damit erreicht werden? Im folgenden eine Einschätzung getrennt nach den drei Artikeln:
Worum geht es in Artikel 11 (bzw. neu: 15) des EU-Urheberrechts?
Artikel 11 wird auch „Linksteuer“ oder „Googlesteuer“ genannt. Dabei geht es vor allem um die Vorschautexte, die in der Googlesuchmaschine oder in Sozialen Medien wie Facebook, Instagram, WhatsApp und Twitter zu sehen sind. Die Anzeige der Vorschau-Bildern von Webseiten scheint wegen der Bildrechte schon längst nicht legal zu sein. Nun kommt hinzu, dass diese Vorschau mit Anreißertexten, die meist der Textanfang auf der verlinkten Webseite sind, auch urheberrechtlich geschützt sein sollen, wenn sie länger als „sehr kurz“ sind. Das Thema von Artikel 11 sind also Snipets und Onlinetextschnipsel als Vorschautexte. Das erinnert an das Leistungsschutrecht, wie es in Deutschland und auch in Spanien eingeführt wurde. Letztlich hat aber das Leistungsschutzrecht den Presseverlegern, die auch Nutznießer von Artikel 11 sein sollen, nichts gebracht. In Spanien hat Google nach Einführung des Leistungsschutzrechtes kurzerhand seinen Dienst „Google News“ geschlossen, mit dem Ergebnis, dass die Onlineverleger erhebliche Einbußen bei den Zugriffszahlen hatten, weil sie in der Suchmaschine nicht mehr gelistet wurden. Also haben sie sich mit Google geeinigt, dass Google nichts bezahlen muss. Ziel von Artikel 11 soll es also sein, Google und den Sozialen Medien, die Vorschauen einsetzen, dazu zu bringen, den verlinkten Webseiten etwas für die Nutzung dieser Kurztexte und Bilder zu zahlen. So soll eine Umverteilung der Gewinne stattfinden. Experten meinen, dass dies nicht stattfinden wird, weil Google und die Sozialen Medien als Traffic-Bringer am längeren Hebel sitzt. Man sieht sowohl an der Ausgestaltung dieses Artikels wie unkreativ und inkompetent in Bezug auf die Mechanismen im Internet die Macher dieser Vorlage sind. Es zeigt die fatale Hilflosigkeit von Politikern, die zu faul, zu lobbyzerfressen oder menschlich zu unbeweglich sind, sich in die Materie einzuarbeiten. Sie müssten Web-Kompetenz erwerben, um Instrumente zu schaffen, die wirklich umverteilen.
Worum geht es in Artikel 12 (bzw. neu: 16) des EU-Urheberrechts?
Thema von Artikel 12 ist die Aufteilung des Geldes, das an Verwertungsgesellschaften geht. Die „Verwertungsgesellschaft Wort“ sammelt von Verlagen Pauschalen ein, die bis zu einem höchstrichterlöichen Urteil paritätisch an Autoren als Urheber und Verlage als Vertriebsplattformen ausgeschüttet wurden. Seit dem jüngsten Urteil erhalten nur noch die Autoren diese Ausschüttung, nicht mehr die Verlage. Verwertungsgesellschaften wie die „VG Wort“ oder „VG Bild“ oder die Gema erheben Gebühren und Pauschalen und lassen die Ersteller dieser Werke daran profitieren. Zum Beispiel zahlen auch Speichermedienhersteller oder Kopiererhersteller solche Pauschalen, weil etwa Bücher oder Musikstücke für den privaten Gebrauch kopiert werden dürfen. Da dies im Einzelfall nicht nachzuhalten ist, gibt es diese Pauschalen. Nutznießer von Artikel 12 sind wiederum die Verleger. Es geht hier darum, neu zu regeln, wie das pauschal eingenommene Geld verteilt werden soll. Diesmal soll es wieder zwischen Verlagen und Urhebern aufgeteilt werden.
Worum geht es in Artikel 13 (bzw. neu: 17) des EU-Urheberrechts?
Das Thema von Artikel 13 ist das Hochladen von Inhalten, deren Urheber man nicht ist. Angeblich war der Hintergrund dieses Artikels YouTube und sein Problem mit illegal hochgeladenen Musikstücken. Tatsächlich ist dies aber bezüglich der Art der Upload-Medien nicht spezifiziert. Es geht hier also offenbar um alles, was auf große Plattformen hochgeladen werden kann: Audiodateien und Audiobooks, Bilder, Animationen und Filme, Texte und eBooks. Plattformen wie YouTube oder Facebook aber auch große Diskussionsforen oder vielleicht auch Messenger wie der Facebook-Messenger, WhatsApp oder andere sollen dazu verpflichtet werden, technisch sicherzustellen, dass keine geschützten Inhalte hochgeladen werden dürfen. Bereits jetzt gibt es mit dem „Content-ID-System“ einen solchen Uploadfilter für Musikdateien bei YouTube. Außerdem hat YouTube bereits eine Vereinbarung mit der Gema als Musikverwertungsgesellschaft geschlossen. Die Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren eines Uploadfilters ist es, dass alle Rechteinhaber in der Datenbank des Uploadfilters Metadaten ihrer geschützten Werke hinterlegen, damit dieser erkennen kann, welchem Rechtsinhaber sie zuzuordnen sind, wenn sie hochgeladen werden. Da die Musikbranche gut und relativ flächendeckend digitalisiert ist und es bereits Datenbanken gab, die das Gros aller Musikstücke enthielten, ist hier der Uploadfilter prinzipiell schnell funktional geworden. Wobei er andererseits eine Fehlerquote hat, die zu Ungerechtigkeiten führt. Man kann davon ausgehen, dass dies auch bei solch zentralistischen Branchen wie dem Filmbusiness funktionieren kann. Uploadfilter für die Zeichnungen, Fotos und Texte der Welt aber werden es ungleich schwerer haben. Man kann das Prinzip schon erkennen: Alle großen, relativ konzentrierten Branchen und Unternehmen wie Verlage werden solche Uploadfilter nutzbar machen können. Alle Urheber kleiner Werke, alle Privatleute mit ihren Fotos, Gedichten und Texten werden dies nicht so einfach oder gar nicht mit einem vertretbaren Aufwand können. Das heißt, sofern Uploadfilter als Standard kommen sollten, wären die Nutznießer Unternehmen aus der Musikbranche, der Filmbranche und der Verlagsbranche. Verlierer wären die privaten Internetuser, auch weil Memes und anderes Rechtmässige herausgefiltert werden könnten, weil ein Uploadfilter zum Beispiel keinen Humor und keine Satire versteht. Im Artikel steht, dass Memes möglich sein sollen, natürlich weiß aber kein Politiker, wie dies technisch machbar sein sollte. Die Argumentation vom zuständigen CDU-EU-Politiker Axel Voss kann man als dreist bezeichnen. Er bleibt generell Aussagen darüber schuldig, wie die technische Umsetzung aussehen könnte und sieht die Internetkonzerne in der Bringschuld. Einschränkungen von Bürgerrechten und von Freiheiten sowie eine mögliche Zensur sind ihm offenbar egal.