Viele Möglichkeiten zu haben, scheint auch für Künstler wichtig zu sein. Wer etwa viele Ressourcen hat, wähnt sich in einer Struktur der Grenzenlosigkeit und meint, dass dies seiner Kunst zugute käme. Andererseits ist der klassische Künstler ein auf die Abwesenheit der Mittel spezialisiertes Mängelwesen. Aber was wäre besser: Den Mangel zu verwalten oder alle Möglichkeiten zu haben, indem man das, was man braucht, hat und nichts vermissen muss?
Ein Künstler tendiert dazu, eine Form für sein inneres Sein und seine inneren Befindlichkeiten zu suchen – was ansich zweckfrei und unkommerziell ist, obwohl es nicht unbedingt völlig ausschließt, auch in der Kommerzialität seine Berufung zu finden. Ein Künstlertypus ist ein Mittelloser und Leidender. Er leidet an sich selbst als Reservoir der Aussichtlosigkeit, er leidet aber auch materiell, und beide Aspekte des Leidens sind miteinander verzahnt.
Nichts haben, nichts können
Wäre es besser, nichts zu können und nichts zu haben oder viel zu haben, um damit alles, was man will, verwirklichen zu können? Etwa indem man Geld fur jedes Arbeitsmaterial und jedes Arbeitsmittel besitzt, jede gewünschte Inspirationsreise unternehmen kann, viel Geld in die Präsentation seiner Werke zu stecken vermag oder sich einfach ohne äußeren Zwang nur seinen Werken widmen kann? Aber was heißt schon „alles“ oder „nichts“ zu haben? Man mag das Bild des darbenden Künstlers als chaotisch Gefangenem in einer zerstörten Existenz im Kopf haben, der sich mittellos am Rande der Selbstaufgabe und von Selbstzweifeln zerfressen seine Kunst abringt. Hierbei mag man an Egon Schiele und seine Deformation des sexualisierten menschlichen Körpers denken, an die offenbare „Zerfleischung“ Lucian Freuds, der allerdings nicht mittellos war oder an Franz Kafka, auch wenn der Beamtenstatus hatte und ebenfalls nicht arm und zerschunden war. Aber Kafka war ein innerlich Zerrissener, der in einem fortwährenden Prozess der Selbstfindung und Selbstvergewisserung die literarische Moderne einleitete.
Modell „Erfolgs-Künstler“
Als ein anderes Standard-Modell kann man sich den erfolgreichen Künstler vorstellen, der in den Medien und auf Partys präsent ist, der Galeristen kennt, dessen Werk ein Spekulationsobjekt ist, der also viel Geld hat und seine Kunst-Produkte vielleicht sogar seriell produziert, auch am Fließband wie Andy Warhol. Hier mag man ebenso an Jeff Koons denken. Der mittellose Künstler hingegen strebt nach einer materiellen Grundlage und wähnt sich, hätte er die erreicht, in einer besseren Position. Vielleicht aber hat er seine Ausdrucksstärke aus dem Leidensdruck bezogen, die der Mangel mit sich bringt. Kunst wäre hier als Sublimationsakt anzusehen, als ein Ausgleich für ein verpfuschtes Leben, das den Künstler und seine Wahrnehmung ausserhalb der Normen verortet. Der Künstler wäre so betrachtet ein Sonderling als Nicht-Teil der Gesellschaft, der ihren blinden Fleck überwindet und der Gesellschaft ihre Realitäten spiegelt.
Arten von Mängelwesen
Ein Mangel kann vielfältig sein: materiell, bezogen auf das eigene Können, also darauf, inwieweit man in der Lage ist, die eigenen Ideen adäquat umzusetzen. Ein tradierter Allgemeinplatz kündet davon, dass die Fülle materieller Möglichkeiten den Künstler korrumpiert. Dass sie seinem Ausdruck Schärfe und Klarheit nimmt, dass er zum Beispiel zu viel Zeit hat, selbst über seine Kunst nachzudenken oder sie intuitiv nachzuempfinden, wo doch vorher, etwa in der Armut, alles ganz automatisch aus ihm heraus direkt auf die Leinwand floss, vielleicht weil es die einzige Perspektive war oder die einzige Möglichkeit der Besinnung auf das eigene Ich. Dem mag man entgegenhalten, dass aber die Armut ein Künstlerleben zerstören kann, dass ein Künstler, der kein Geld für Leinwand und Farben oder für Granit- oder Marmorblöcke hat oder keines für die teuren Metalle seiner kinetischen Skulpturen gar nicht mehr in der Lage ist, seine Kunst zu schaffen bzw. sie adäquat auszudrücken. Oder dass sein Leben so destruktiv ist, dass er nicht dazu kommt, seine Kunst zu formen.
Mangel im Künstlerleben
Vielleicht ist bei der Betrachtung der Möglichkeiten in der Kunst ebenso wichtig, sie in Bezug zum Werdegang des Künstlers zu setzen. In jungen Jahren kann genügend Energie vorhanden sein, sich über Widrigkeiten wie den Mangel oder die eigene Zerrissenheit oder Zerstörtheit hinwegzusetzen bzw. sie als Kraftquelle zu nutzen. Im vorgerückten Alter mag das weniger gut funkrionieren, wenn man dann dem Mangel als dem Zuwenig nicht mehr genügend entgegensetzen kann. Auch hier wird deutlich, dass der Mangel wie ein ambivalenter giftiger Treibstoff wirkt: In manchem Künstlerleben hat er die entscheidende Energie für den besonderen Ausdruck geliefert. Andererseits zerstört der Mangel wie ein schleichendes Gift manches Künstlerleben. Egon Schiele ist 28 Jahre alt geworden, Vincent van Gogh 27 Jahre. Ihr Werk mutet an, als hätte es ein langes Leben gefüllt, und doch war es jeweils nur ein kurzes Jahrzehnt, in dem sie ihr Werk zwischen Lebensverwerfungen und Leidensdruck entfaltet haben.
Der nachhaltige Mangel
Aber der Mangel und die Reichhaltigkeit sind nicht isoliert zu betrachten: wer wenig hat, will mehr, wer Mangel leidet, will die Reichhaltigkeit. Die ist also ein Entkommensmodell für den Mängelverwalter, sie ist Vision und Ziel, Antrieb und Wegweiser. Auch wenn man das „Alles“ aller Möglichkeiten nicht erreicht, dient es der Motivation des Künstlers. Die fiele weg, hätte der Künstler jede materielle Möglichkeit. Wenn alle alle Möglichkeiten hätten, wäre nichts gut und alles schlecht. Der Ansporn liegt im Weniger nicht im Mehr, weil der Künstler dazu neigt, das Weniger durch das Mehr auszugleichen, real oder virtuell. Vielleicht hat also der, der sich im Mangel einrichtet und ihm nicht mehr entkommen will, für sich eine Vorraussetzung für besondere Ausdrucksmöglichkeiten gefunden.
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