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Der Deadline-Nazi

Er arbeitet als Grenzbeamter und hat keine eigenen Beine. Die wurden ihm vor Jahren amputiert. Seine Beine hat er zwischenzeitlich durch Räder ersetzt, die im Zusammenspiel mit den Speichen aus Uhrzeigern als funktionale Stoppuhren fungieren. Tagsüber fährt er auf Patroullie eine exakt angezeichnete Linie über Land auf und ab. Auf seinen Körper sind geeichte Millimetereinteilungen tätowiert: an Armen und an jedem einzelnen Finger. Er ist die Exaktheit in Person.

Die Staubwolken, die gerade am Horizont zu sehen sind, werden von Textern aufgewirbelt, die zweierlei erreichen wollen: erstens den Deadline-Nazi durch ihr etwaiiges Zuspätkommen nicht Oberhand gewinnen zu lassen, zweitens durch den vielen Staub, den sie aufwirbeln, zu verschleiern, wie faul sie in Wirklichkeit waren und wie extrem lächerlich zu spät sie wieder einmal sind.

Sie verwenden in ihren Leben ebensoviel Zeit aufs Schreiben wie auf das Erfinden von Entschuldigungen. Texter sind Pegel-Arbeiter. Sie gucken in einer Zeit, in der sie eigentlich arbeiten müssten, den ganzen Tag Fernsehen, werfen gelangweilt Wurfweile auf Zielscheiben, sitzen in Eisdielen rum oder treffen sich witzemachend mit Leuten – und zwar so lange, bis ihr innerer Schweinehund sich wie ein übergroßer Luftballon durch die Ungerechtigkeitsgase, die durch ihre irrwitzig große Faulheit fast zwangsläufig entstehen müssen, immer weiter aufbläht. Er wird dicker und praller, bis er Gefahr läuft zu platzen. Schließlich setzen sich die Texter etwa zu dem Zeitpunkt, an dem der Text spätestens beim Kunden sein sollte, in Bewegung und fangen nach einer Denkpause unwillig und abgelenkt damit an, einen ersten Vorentwurf für den Text zu verfassen.

Der Deadline-Nazi entstammte ursprünglich einer kranken Texter-Phantasie, die bei einem der vielen Eisdielentreffen entstanden war. Durch einen Meteoritenschauer, der zeitgleich zur damaligen Idee auf der Erde nieder gegangen war und eine unbekannte Strahlung abgegeben hatte, hatte sich der Deadline-Nazi aus einer quantenverschobenen Dimension, in der alles wahr wird, was sich Autorenhirne ausdenken, materialisiert. Nun führt er sein schreckliches Regiment über die die Faulheit reinkarnierende Texterschar.

Für Barbara, den schlimmsten Deadline-Nazi von allen. ;-)

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