Das Web verändert die Welt. Eine Binsenweisheit. Wer an etwas Tradiertem festhält, muss sich inzwischen die Augen reiben, steht doch praktisch alles zur Disposition: Berufsstände, Wirtschaftszweige, Vertriebskanäle, Kommunikationsformen – ja, vielleicht sogar politische Gepflogenheiten und ganze Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme?
Politischer Nutzen: Hass als etablierte Kommunikations-Ebene
Nicht neu ist die Erkenntnis, dass Menschen sich in den sozialen Medien und in den Kommentarblöcken von Nachrichtenwebseiten in einen Hassrausch hineinsteigern. Angesiedelt ist dies zwischen anonymer Folgenlosigkeit des eigenen hasserfüllten Kommentierens und einer identitätslosen Sozialisation über das Web. Das Web wird zur monströsen Selbstdarstellungsplattform, hinter der der wahre Mensch verblasst.
Targeting: Die personengenaue Ansprache über Facebook
Aber das ist nur ein Stimmungsbild. Der Brexit und die Wahl des Donald Trump als neuem amerikanischen Präsidenten haben gezeigt, was das Web als Propagandamaschine vermag. „Targeting“ ist das Stichwort. Eigentlich bezeichnet es die zielgruppengenaue Ausrichtung von Werbung im Internet und in den Sozialen Medien. Bei Facebook kann man für Personen, denen die eigene Werbung ausgespielt – das heißt: gezeigt – werden soll, eine Fülle an Kriterien eingeben: Hobbys, Interessen, Alter, Wohnort usw. Hier, bezogen auf den amerikanischen Wahlkampf, bezeichnet „Targeting“ die personengenaue Ansteuerung einer Information. Wie zu lesen ist, hatte Trump das Unternehmen Cambridge Analytica innerhalb der SCL Group damit beauftragt, für ihn Wahl-Propaganda und Fakenews nicht nur zielgruppengenau über Facebook zu streuen, sondern personengenau. Im Zweifelsfall bekommt jeder die Artikel ausgespielt, die ihn gegen Hillary Clinton einnehmen und für Donald Trump.
Informationelle Seifenblasen individuell für jeden Wähler
Die Rede ist hier von einer neuen Art über Medien zu kommunizieren: Nicht eine Information für alle, sondern verschiedene manipulierte Informationen für bestimmte Personen oder Personengruppen. Über Datensammlungen zu einzelnen Personen kennt man ihre politische Ausrichtung und ihr Verhalten. Für die einen verunsichernde Nachrichten, für die anderen aufstachelnde. Trumps Team hat ihre Datensätze um psychlogische Bewertungen angereichert und als Informationskanal vor allem Facebook genutzt. Die Psychologie ordnet jeden Facebooknutzer nach den fünf Kriterien „Neurotizismus“, „Extraversion“ (das ist die Polarität von Extrovertiertheit/Introvertiertheit), „Offenheit für Erfahrungen“, „Gewissenhaftigkeit“ und „Verträglichkeit“ ein.
Neue virtuelle Filterblasen für wütende Wähler
Wir wissen: Die Realität ist in einer Gesellschaft Vereinbarungssache. Trump und sein Team haben die Grundpfeiler gesellschaftlich bis dahin vereinbarter Realität in die Luft gesprengt, in viele kleine Teile zerlegt und einige diese Stückchen, die in ihr politisches Konzept gepasst haben, für die Massen neu zusammengesetzt und so eine verzerrte Realität geschaffen. Marketingtheoretisch muss man allerdings sagen, dass Trumps Team viele Wähler dort abgeholt hat, wo sie stehen: Gefangen in ihrer Wut auf bestehende Strukturen. So erhält via sozialer Medien jeder seine eigene Filterblase ohne es zu merken. Über den Tellerrand gucken war gestern.
Facebook als Erfüllungsgehilfe der Nachrichten-Manipulation
Mark Zuckerberg hat bestritten, das Facebook im Wahlkampf eine Rolle gespielt habe, seine Mitarbeiter haben ihm wiedersprochen und eine Arbeitsgruppe als Untersuchungskommission der Ereignisse eingerichtet. Auch seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat Facebbok geändert. Anzeigen, die auf Webseiten mit Fakenews verweisen sind nun verboten. Auch Google will seine Suchmaschinen-Ergebnisse von solchen Seiten befreien. Inzwischen wird klar, das Trump und sein Schwiegersohn Jared Kushner Facebook und andere soziale Medien professionell antidemokratisch für ihre Demagigien genutzt haben. Das libertäre Web tritt an, die übelsten Visionen George Orwells‘ 1984 ganz anders umzusetzen. Nicht in einer Diktatur, sondern in einer Art Scheindemokratie, die den Bürgern individuell ausgerichtete virtuelle Welten verkauft.
Das neue Lügen: Maßgeschneiderte Realitäten
Gelogen wurde in Politik und in (populistischen) Teilen der Medienlandschaft immer schon. Nun ist Lügen nicht mehr Lügen, sondern schlicht, eine Alternativrealität, die zudem emotionsstimulierend wirkt und Hass und Wut weiter hochschwappen lässt. Das Informations-Monopol der etablierten Medien ist durch das Web längst gebrochen. Trump wird vermutlich an den etablierten Medien vorbei direkt-medial über das Web kommunizieren. Mal sehen, was passiert.
5 Responses to “Wut-Targeting: Donald Trump und die direkt-mediale Demokratie-Demontage”
[…] auf die Zustände und ihre Projektion in die Zukunft reagiert – immer wieder befeuert vom Populismus, der die Ängste weiter […]
[…] auch politisch eingesetzt werden. Der Facebook-Skandal um Daten von Facebooknutzern, die durch Cambridge Analytica genutzt wurden, um potenzielle amerikanische Wähler zu manipulieren, Donald Trump zu wählen, […]
[…] Dass die USA gespalten sind und letztlich nicht wenige Bürger Donald Trump gewählt haben, kann auf sehr unterschiedliche Weise gedeutet werden. In Zeiten von Verunsicherung durch politischen und wirtschaftlichen Niedergang ist der Wunsch nach einem starken Führer übermächtig. Dass der sich als Tabubrecher sehr viel herausnehmen kann, hat Donald Trump nicht zuletzt vom Italiener Silvio Berlusconi gelernt, der ebenfalls Unternehmer ist und es schaffte, mit Unterbrechungen zwischen 1994 und 2011 viermal italienischer Ministerpräsident zu werden. So wie Trumps Art, Politik zu betreiben als „Trumpismus“ bezeichnet wird, wurde der politische Stil von Silvio Berlusconi „Berlusconismus“ genannt. Beides bezeichnet eine hemmungslos populistische Ausrichtung, die demokratische Traditionen und Umgangsformen negiert und mit geläufigen Tabus bricht. Über allem steht, dass kein gesellschaftlicher Konsens mehr angestrebt wird, sondern politischer Eigennutz. […]
[…] Gesellschaft ungerecht behandelt und von ihr abgezockt fühlen. Beide kämpfen gegen das System und Donald Trump profitiert von den Geldern der einen wie der anderen […]
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