Startend am Montag den 8.8.2016 lud das seit Monaten ausverkaufte Punkrockholiday zum sechszehnten Mal nach Tolmin in Slovenien zu einem fünftägigen Festival. Der Montag kam als zusätzlicher Festivaltag kurzfristig für einen zusätzlichen Obolus von 15,- Euro dazu. Tolmin liegt in einem Tal der slovenischen Alpen, umringt von malerischen Bergen und gilt aufgrund günstiger Thermik als Paradies für Paraglider. Überhaupt zieht die Gegend magisch sportlich ambitionierte Touristen an. Mutige Drachenflieger, Verwegene Kletterer, Padelboot-Drifter mit – dank mässig wildem Fluss – Familienzusammenhalt, zähe Radrennfahrer und selbstmörderische Motorradfahrer. Unter so viel tüchtigen Menschen möchte man unwillkürlich den Bierbauch einziehen. Der Aufenthalt auf dem großräumigen Festival-Campig-Areal beruhigt jedoch sogleich: bauchbildendes Bierfrühstück, lockernde Bierzwischenmahlzeit und ausschweifendes Bierabendmahl gelten hier nicht als dekadent.
Musikalisch beginnen die Tage am frühen Nachmittag auf der Beach-Stage, direkt am Soča Fluß. Man kann hier permutieren zwischen einem Abrocken vor der Bühne, dem Longdrink an der Bar oder einem die Eier schrumpelnden Bad im eiskalten Gebirgsfluss. Entspannter geht es nicht. Die Newcomer-Bands auf der Beach-Stage haben ein beschwerliches Bewerbungsverfahren auf sich genommen, um hier kostenlos auftreten zu können. Nur wer seine Demo-CD hier persönlich abliefert, kommt überhaupt ins Auswahlverfahren. Wer es bis hierher geschafft hat, hat schon was drauf und will sich hier unbedingt präsentieren.
Auch die wohl melodiöseste Band des Festivals spielt hier auf, For I Am. Fünf junge Leute aus Belgien mit einer Frontfrau, die schon seit ihrem zwölften Lebensjahr in verschiedenen Bands performt. Seit zwei Jahren widmen sich die Musiker, die sich schon vorher aus anderen Formationen kannten, ihrer Lieblingsmusik, dem Punkrock bzw. eher dem Pop-Punk. Während für die meisten Bandmitglieder der Punkrock irgendwann die Musik war, die ihre Eltern besonders irritierte, wurde Hanne, die stilsichere Sängerin, schon von Kindesbeinen an von ihrem kundigen Onkel, der ein renommiertes Punkrockmagazin herausgab, an diese Musik herangeführt. Die Musik von For I Am ist eher klassisch, die Gitarren – nicht bis zum letzen verzerrt – strukturieren den Rhythmus. Die Texte sind sozial und politisch engagiert und in der CD komplett abgedruckt. Ein Interview mit der jungen Band folgt in Kürze hier auf endoplast.de.
Gegen Abend wechselt man, die verschiedenen Fressstände streifend, zur Hauptbühne, wo man unter tausenden Gleichgesinnten die bekannteren Bands feiern kann. Hier wird von nur kurzen Umbaupausen unterbrochen, viel harter, lauter Punkrock geboten. Der Trend ist klar, Hardcore-Punk hat sich als der Punkrockmainstream herausgebildet. Und davon wird hier viel geboten. Den tausenden von Fans brüllen brachiale Wände aus Gitarrensounds und knallige Drums entgegen, potente Sänger setzen sich dagegen durch. Die Bässe folgen zumeist den Gitarren und fetten diese von unten an. Das hat Energie und macht Spaß. Viele der Bands folgen bekannten Vorbildern und so freut es, trotz all der Energie, dazwischen Bands zu finden, die durch eigene Konzepte hervorstechen. NOFX zeigen einen besonderen Stilwillen und mischen eigenwillig Punkrock mit Reggae.Ihr Auftreten, ihre Attitüde ist ganz klar Punkrock, auch in den Reggae-Passagen. Selbst in ihrer Melodiebildung und Gesangskunst sind sie absolut eigen. Ich mag Bands mit eigenem Profil die sofort wiedererkennbar sind. NOFX`Stilwille wirkt nie aufgesetzt, es ist wie aus einem Guss.
Auch Jello Biafra, früherer Frontmann der Dead Kennedys, bietet hier mit der Formation Jello Biafra and GSOM absolut Eigenes. Der alte Herr des Punkrock pflegt eine eigenwillige Attitüde, die sich deutlich von der üblichen aggressiven, nihilistischen unterscheidet. Bei ihm herrschen Frechheit, bisweilen Arroganz vor. Als sei Biafra die alte Diva des Punkrock, die den Jungen immer noch etwas zu erzählen hätte. Tatsächlich hat Biafra einiges zu erzählen. Er verficht den politisch interessierten Punkrock, er schleudert Botschaften hinaus in die Welt. Auch musikalisch hebt sich die Band ab. Bei ihr sind Melodiebildung und rhythmisierende Gitarren eine wohltuende Abwechslung unter den vielen Klonen des Punkrock.
Ganz anders die niederländische Band Antillectual, der ein Sendungsbewusstsein völlig abhanden kommt. Die Band nimmt zuerst die Instrumente auf und überlegt sich dann, welche Lyrics sie dazu anbieten kann. Wo auch immer die Text-Ideen herkommen, am Ende sollen sie nur Spaß machen. So schafft es das Festival doch, eine gewisse Spannbreite anzubieten. Zwischen Spaß und Aggressivität, zwischen Agitation und Scheißegal. Punkrock eben. Unser Interview mit Antillectual folgt in Kürze auf endoplast.de.
Anmerken möchte ich noch den hervorragenden Sound. Laute Bands sind nicht leicht abzumischen, die Tontechniker hier machen einen fantastischen Job.
Please be a good punkrocker – Alles in Ordnung
Das Publikum wird ritualisiert in die Shows mit eingebunden. Stage-Diving ist erlaubt. Verwegene Sprünge gibt es keine, alles ist vorsichtig und safe. Gegen Ende einer jeden Show dürfen die Fans auf die Bühne. Gruppenbild mit Band. Das funktioniert erstaunlich gut. Die Ordner haben das Publikum und das Publikum hat sich selbst im Griff.
Überhaupt ist alles gut organisiert. Das Festival der aggressiven Musik ist ein friedliches. Bevölkert von ausgesprochen netten und entspannten Menschen. Camping klappt, sanitäre Situation ausreichend. Umweltschutz wird ernst genommen. Wenn man meckern wollte, dann darüber, dass hier nirgends ein gutes deutsches Frühstück zu bekommen ist. Weder auf dem Festivalgelände noch in der Stadt. Guter Kaffee schon, aber leckere Brötchen oder dunkles Brot sind hier unbekannt. Das muss man als Reisender aushalten können.
All die gut ineinandergreifenden Rädchen des Festivals können nicht verhindern, dass es nicht doch auch was zu meckern gäbe. Am verregneten Mittwoch treffe ich in einem Restaurant mit überfordertem Personal die Nörgel-Chemnitzer. Festivalerfahrene junge Leute aus dem Osten Deutschlands. Es fehle hier an Kameradschaft, erklären sie mir. Bald verstehe ich, dass mit fehlender Kameradschaft die Monetarisierung des Festivals gemeint ist. Der Eintritt ist teuer. Fürs Campen 30,- Euro extra. Der zusätzliche Montag kosten überraschend 15,- Euro zusätzlich. Was ihnen auf der Homepage nicht ersichtlich war. Dazu kommt ein Bezahlsystem mit aufladbarer Geldkarte, auf der direkt 20,- Euro geblockt werden, die man wiederkriegt, wenn man die beiden ausgehändigten Müllsäcke – voll oder leer – wieder zurück gibt, die Geldkarte zurückgibt, die Pfandbecher eintauscht und insgesamt ein guter Punkrocker ist. Wurde einem nicht erklärt, erst als die Geldkarte an einem Verkaufsstand nicht akzeptiert wurde, wurde man über den Sachverhalt aufgeklärt.
Die Chemnitzer waren unzufrieden mit dem dünnen, wassergleichen Bier. Mit der langen Wartezeit auf die bestellte Mahlzeit im improvisierten Dorfrestaurant. Damit, dass die dann doch aufgetischte Mahlzeit nicht so schlecht war, dass man darüber hätte herzhaft herziehen können. Zwei ihrer Lieblingsbands haben abgesagt. Dann die Camping-Situation. Aber vor allem die Kosten. Es war halt der verregnete Mittwoch. Hoffe, die Jungs haben doch noch ihren Spaß gehabt.
Please be a good punkrocker – Warum nicht auch bei Regen?
Der verregnete Mittwoch war für manches Zelt das Todesurteil. Wer direkt an einem der Wege zeltete, konnte erleben, dass die vorbeiziehenden Passanten der zunehmenden Verschlammung der Wege auswichen, indem sie über die angrenzenden Zelte stolperten und sie niederrissen. Auch der Vorbau meines Zeltes wurde – hier wird es persönlich – schamlos niedergetreten. Ich wünschte mir, ein Punkrocker könnte ein so guter Punkrocker sein, dass er auch mal durch den Schlamm läuft, um die bescheidene Not-Behausung eines armen Mannes zu verschonen. Na, vielleicht lassen sich die guten Punkrocker nächstes Jahr noch etwas mehr zähmen.
Wo wir schon bei guten Punkrockern sind: Die netten und kompetenten Kollegen von Punkrockers-Radio.de haben zahlreiche Live-Interviews geführt, die sie freundlicherweise in ihrem Archiv abgelegt haben. Ein Besuch dort ist unbedingt zu empfehlen.
Das Punkrockholiday bietet viel und ist mit dem wunderbaren Alpenpanorama eine tolle Gelegenheit zu entspannen. Die Landschaft ist vortrefflich und sollte ausgiebig genossen werden. Weshalb ich mich zum Schluss dem Programmheft uneingeschränkt anschliessen möchte:
„We are shure that you’ll enjoy the beauty of the Soca river and Tolmin, so please be a good punkrocker and keep it clean!“ Na klar, Müllsäcke brav abgegeben.
(c) alle Fotos: Juchelchen