Die französische 70er-Jahre-Fernsehsendung „Tac au tac“ (zu deutsch etwa: „Wie aus der Pistole geschossen“) zeigt jeweils mehrere Comic-Zeichner, die vor laufender Kamera auf einem großen Blatt zusammen zeichnen. Unterschiedlicher hätte in dieser Folge die Auswahl an Zeichnern kaum sein können: Im 13-minütigen Filmbeitrag zu sehen sind die Comic-Zeichner Burne Hogarth, John Buscema und Philippe Druillet.
Das zeichnerische Thema von Hogarth und Buscema ist vor allem die menschliche Anatomie, Druillet war ab den 1970er-Jahren einer der avantgardistischen Pioniere einer neuen Welle von Comics, die erwachsenere Inhalte und eine anspruchsvollere Zeichentechnik brachten. Insgesamt prallen hier die eher klassische amerikanische Comicwelt und die französische innovative Comicszene – allerdings versöhnlichlich – aufeinander.
Philippe Druillet: Phantastisch
Philippe Druillet hatte bereits 1966 seine Geschichte Le mystère des abîmes publiziert, in der sein Held Lone Sloane bereits Thema war, der ihn noch lange begleiten sollte. Drulliet ist nicht so sehr Zeichen-Techniker, seine Strichführung bringt oft nichts Besonderes und seine zeichnerischen Mittel sind begrenzt. Andererseits kann er als der Auto und Zeichner gelten, der in einzelnen seiner Geschichten tatsächlich Comic-Kunst zelebrierte. Seine Seitenkompositionen zeigten nie Dagewesenes. Druillet entführt den Leser und Betrachter in surreale grafische Welten. Im Jahr, als dieser Kurzfilm entstanden war, hat Philippe Druillet in Italien den European SF award for Comics für Lone Sloane erhalten. 1975 sollte er zudem mit Moebius/Jean Giraud, Jean-Pierre Dionnet und Bernard Farkas das wegweisende Erwachsenen-Comic-Magazin „Métal Hurlant“ gründen, das später die Ableger „Heavy Metal“ in Amerika und „Schwermetall“ in Deutschland erhielt. Damit wurde die Comic-Landschaft bleibend verändert. Die Epoche der Erwachsenen-Comics hatte begonnen. Die wichtigsten Beiträge lieferten damals neben den Franzosen Moebius/Jean Giraud und Philippe Druillet mit seiner Den-Saga und anderen Geschichten der Amerikaner Richard Corben. Das war auch deshalb wichtig, weil so eine kulturelle Brücke zwischen Europa und Amerika geschlagen wurde, was auch hier im Filmbeitrag der Fall ist. Dabei ist der unterschiedliche Produktionshintergrund der drei Zeichner das wirklich Interessante.
Burne Hogarth: Der Anatomie-Meister
Burne Hogarth ist eine Comic-Legende – zeichnerisch auf einer Stufe mit Alex Raymond (Flash Gordon) und Hal Foster (Prinz Eisenherz/Prince Vaillant). Alle drei Zeichner hatten das Privileg ihre Comics in Sonntagsbeilagen von Tageszeitungen zu veröffentlichen. Sie mussten in der Regel also pro Woche nur eine ganze Seite abliefern, was im Fall der drei genannten dazu führte, dass sie ihre Kunstfertigkeit bei den Zeichnungen immer weiter treiben konnten; denn eine Seite in einer Woche abzuliefern ist für amerikanische Verhältnisse zeitlich luxoriös. Im Gegensatz dazu hat beispielsweise Jack Kirby in den 1960ern und 1970ern Jahren ca. 15 Seiten pro Woche erdacht und mit Bleistift vorgezeichnet (die später von jemand anderem getuscht wurden), in den Jahrzehnten davor hat er mitunter 5-6 Seiten am Tag gezeichnet. Solch ein Fließbandzeichner ist auch der hier anwesende John Buscema. Man muss sich folgendes vor Augen halten: zwischen 1958-1970 hat Jack Kirby bei den Marvel Comic-Heften das Allermeiste gezeichnet und auch mit erdacht. Er galt als der maßgebliche Zeichner des Hauses Marvel und hat viele andere Zeichner, die später ihren eigenen Stil fanden, geprägt. Ob Barry Windsor-Smith, Frank Miller oder Jim Steranko: am Anfang ihrer Karriere zeichneten sie wie Kirby, weil sie mußten, damit der Hausstil gewahrt blieb, oder weil sie ihm nacheiferten.
John Buscema: Der Fließbandzeichner
Der Nachfolger nach Kirbys Weggang war John Buscema. Während Kirby die menschliche Anatomie nicht realistisch wiedergegeben hatte, war Buscema in der Lage, die menschliche Anatomie idealtypisch abzubilden. Er hatte wie auch Kirby am Anfang das Glück, dass seine Bleistiftzeichnungen von Tusch-Genie Joe Sinnott getuscht wurden. So gibt es einige der ersten Hefte der Fantastischen Vier, von Thor und dem Silver Surfer, die wunderschön gerieten. Doch Buscema sollte sich sehr schnell verausgaben und zum Fließbandzeichner zweiter Klasse werden. 1972 jedoch, am Anfang seines Wirkens bei Marvel hatte er in der Zeichenrunde ein Portrait des Silver Surfers beizusteuern. Buscema stand damals, was die Proportionierung seiner muskulören Superhelden anbelangte, in der Tradition von Burne Hogarth. Hätte er weniger gezeichnet und sein großes Talent gepflegt, hätte er zur Welt der Comics mehr beitragen können. So bleiben nur einige wenige Hefte, an die man sich positiv erinnern wird. Buscema war ein weiteres talentiertes Opfer der Comicindustrie vergangener Tage.
Burne Hogarth und Tarzan
Burne Hogarth war seinerseits 1937 in die Fußstapfen eines ganz Großen getreten. Hal Foster hatte bis dahin die Tarzan-Sonntagsseiten gezeichnet. Hogarth übernahm und führte zunächst den Stil von Foster weiter. Doch dann wurde sein Zeichenstil immer expressionistischer und dynamischer. Die darstellerischen und zeichnerischen Fähigkeiten Hogarths verfeinerten und erweiterten sich zusehends. Er lehnte sich motivisch an die Ideale der Renaissance an und schuf einen Tarzan mit dezidiert ausgearbeiteter Muskulator. Hogarth wurde so der Zeichner, der die menschliche Anatomie am besten beherrschte. Auch seine Bildkompositionen vervollkommneten sich immer weiter und seine Darstellungen von Flora, Architektur, von Tieren oder Landschaft erreichten ein beim Medium Comic nie gesehenes Niveau. Speziell auch die Darstellungen von tosendem Wasser, von sich bewegenden Körpern, wilden Tieren und teils erfundenen Phantasiepflanzen erinnerten an die Proportionen, Techniken und Darstellungsweisen alter Meister wie Michelangelo und Leonardo DaVinci. Auf dem Höhepunkt seines Wirkens erreichte Burne Hogarth eine perfekte Strichführung wie kein Zweiter.
Reproduktionstechnische Probleme
Leider gibt es kaum eine Tarzanausgabe, die dem drucktechnisch gerecht wird. Oft lassen sich für Nachdrucke in Buchform Originalvorlagen nicht mehr finden und wurden deshalb als unzureichende Reproduktionen alter Zeitungsseiten publiziert, die die Genialität der Strichführung teils ganz zerstören oder teils nur ahnen lassen. Während die Werke von Alex Raymond und Hal Foster öfter in verttretbaren Editionen publiziert wurden, liegt im Deutschen keine Ausgabe vor, die Burne Hogarths Zeichentalent in voller Pracht zeigt. Jedenfalls ist aber das hohe Niveau seiner Zeichnungen dem Umstand geschuldet, dass er fast alles, was er gezeichnet hat, nicht nur als Fließband-Broterwerb gesehen hat, sondern es ernst genommen und immer weiter getrieben hat. Der Sonntags-Seiten-Intervall war dabei entscheidend. In diesem wöchentlichen Rhythmus konnte Burne Hogarth seinen Zeichenstil perfektionieren und jedes einzelne Panel ausarbeiten.
Publikationsformen und ihre Auswirkungen
Neben Phillipe Druillet, dem naiv zeichnenden Avantgardisten, der seine Geschichten in Metal Hurlant und in Alben veröffentlichte, John Buscema, dem Fließbandzeichner, der täglich liefern muss und damit sehr schnell über seine kreativen Verhältnisse lebte, ist Altmeister Hogarth das wahre Genie, das mit seinen Kräften gehaushaltet hat und deshalb nur ein vergleichsweise schmales Werk vorlegen kann. Neben Tarzan hat er noch Drago und Mister Miracle gezeichnet. Beides auf hohem Niveau aber nicht über seine Arbeit bei Tarzan hinausgehend. Der Unterschied zwischen den drei Comiczeichnern ist produktionstechnisch gesehen, dass der eine, Druillet, Magazin-Zeichner war, der andere, Hogarth, Sonntagszeitungs-Zeichner und der dritte, Buscema, Comicheft-Zeichner – zwischen den drei Pubikationsformen liegen Welten. Hier eine weitere Folge von „Tac au tac“ mit Jean Giraud, Neal Adams und Joe Kubert.