Tom kam piepsig pfeifend um die Ecke, um die Tüte abzuholen. Der Kassierer wirkte irritiert: „Was ist da drin?“ fragte er Tom vorsichtig. „Weiß ich auch nicht“, entgegnete der „aber egal, gib her. Ich liefere die ja auch nur ab.“ Der Kassierer reichte Tom die Tüte, der sie ohne Augenkontakt in Empfang nahm und dabei so tat, als wäre es ein ganz normaler Vorgang und ihm völlig egal. Draußen war es kälter, als das Thermometer auswies, weil es viel zu windig war. Toms Rücken verschwand in der Dunkelheit.
Mit einem Ruck zog er an den beiden herabhängenden Schnüren seiner Kaputze, um sie enger ums Gesicht zu ziehen. Was noch herausguckte, erinnerte entfernt an das Profil einer Spitzmaus, deren Nase nervös die Luft einsog. ‚Was für ein Scheißwetter.‘ Die zugenähte Plastiktüte, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, raschelte bei jedem Schritt. Tom ging links die abschüssige Straße hinunter, die bis auf die paar Stellen am Anfang, an denen intakte Laternen standen, völlig dunkel war.
Die Straße war am Vormittag milchig und an den Häuserspitzen weiß, später hatte sie sich einen dicken schwarzen Mantel ausgesucht und sich ab dem Nachmittag langsam in ihn hinein gleiten lassen. Einige Meter vor ihm war der Punkt absoluter Dunkelheit. Große Bäume und ein paar Sträucher schirmten diesen Bereich zusätzlich ab. Außerdem war es so spät, dass die Bewohner ihre Rolleaus bereits herunter gelassen hatten.
An dieser Stelle bog Tom in eine Einfahrt ab, lehnte sich an die Hauswand und lauschte. Die erste Zeit vernahm er seinen Atem. Als der schließlich ruhiger ging und nicht mehr zu hören war, griff er unter seinen Arm nach der zugenähten Tüte. Das Rascheln kam ihm überlaut vor. Er verharrte sofort wieder bis unbewegliche Stille eingekehrt war. Ganz entfernt nur war der städtische Autolärm als dräunender Matsch zu hören.
Tom wartete länger als er eigentlich gemusst hätte, bis sein Atem flach ging und er innerlich ruhig war, so gut es ging. In der Zeit, die bis dahin vergangen war, hatte er sich seine Gesichtszüge vorgestellt: sie sollten unbeweglich sein wie eine lebendig wirkende Maske, weil Tom keine Angst haben wollte. Und wenn sie ihm nicht anzusehen war, war sie auch nicht vorhanden. Unter der Maske wollte er jedoch voller Gefühle sein. Tom holte tief Luft und spürte, dass sein Atem selbst danach stabil war, also probierte er es noch einmal: Er nahm die Tüte und befühlte die Naht. Seine Finger wanderten auf und ab, bis sie ein kleines Stückchen Faden fanden, der hinaus hing.
Seine Fingerspitzen betasteten das Fadenende und zogen daran, woraufhin sich der Faden zaghaft löste und Tom erschrak, als er das laute Rascheln hörte. Jetzt war es zu spät. Seine Gesichtszüge verkrampften sich und er vermeinte in der Bewegung der Tüte Geräusche wahrzunehmen, ein Klirren und dumpfe Töne, als würden harte Platten aneinander geschlagen. Die Folie war geöffnet und die Furcht vor dem, was darin war, stand ihm in der Dunkelheit zum Glück unsichtbar ins Gesicht geschrieben.
2 Responses to “Gesichtsfalltür”
[…] Gesichtfalltür […]
[…] hatte sie in die linke Hand gestützt, während sie eine Zigarette zwischen den Fingern hielt. Tom lief rot an, dann ging er schnell an ihr vorbei in den warmen Raum, begleitet von ihrem langsamen […]