Um handeln zu können, abstrahiert der Mensch die Welt und polarisiert sie begrifflich. Wer also handlungsfähig bleiben will, vereinfacht zunächst. „Gut“ und „böse“ sind dabei die denkbar einfachsten Kategorien.
Was für den Einzelnen eine Grundlage sein mag, ist in der politischen Gemeinschaft kontraproduktiv: im gemeinsamen Miteinander nur nach grösstmöglicher Einfachheit zu streben, führt zu Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen, die einer komplizierten Welt gerecht werden.
T/\Error in Frankreich
Angesichts der Opfer der IS-Anschläge in Paris, mag man sich nach schnellen Entscheidungen der Politik sehnen – ein Mechanismus, der rechtsradikalen Parteien mitunter neue Wähler zuführt; denn man unterstellt diesen Rechts-Parteien, dass sie nicht lange nachdenken müssen, sondern sofort handeln. Dies bedient infantile Wünsche nach direkter Triebbefriedigung. Ein Bürger mit politischem Weitblick jedoch denkt längerfristig und perspektivisch.
Die Paris-Anschläge: Schnelles Handeln oder viel nachdenken?
Hinter sofortigem Handeln steckt die befreiende Wirkung einer Wunscherfüllung, doch die Verlockung der schnellen „richtigen“ Entscheidung sitzt einem Irrtum auf; denn was in einer Krisensituation tatsächlich „richtig“ oder „falsch“ ist, kann man nicht so einfach absehen. Dies bezieht sich nicht auf eine schnelle Strafverfolgung, sondern auf weit reichende politische Entscheidungen wie einen Gegenangriff oder Krieg oder die Wiedereinführung von Grenzen.
„Richtig“ und „falsch“ in der internationalen Politik
„Richtig“ und „falsch“ sowie das „Böse“ und das „Gute“ sollte es nur auf der persönlichen Ebene als erste Individualempfindung geben. Zwischen mehreren Menschen in der politischen Willensbildung und zwischen Völkern sind die Kategorien „richtig“ oder „falsch“ erst durch gemeinsame Absprachen, die in Kompromisse münden, in Handlungen umzusetzen.
Die Widersprüchlichkeit der Welt
Die vernetzte Komplexität der Welt und ihrer Entscheidungen basiert auf der Handhabung ihrer Widersprüche und auf der diskursiven Auflösung dieser Widersprüche. Die Gruppierungen, die den Westen attackieren – ob IS, Boko Haram, die Taliban oder Al Qaida –, sind auch Produkt von Armut und westlicher Einflussnahme. Je krasser die wirtschaftlichen Unterschiede und die Dominanz westlicher wirtschaftlicher, militärischer und territorialer Interessen, desto weiter öffnet sich die Büchse der Pandora. Letztlich schaffen wir selbst die Voraussetzungen für die Anschläge – und das ist ein nur schwer aufzulösender Widerspruch.
Handlungskategorien sind Entscheidungskategorien
„Richtig“ oder „falsch“ als Handlungs- und Entscheidungskategorien in einer Demokratie müssen Ergebnis eines Interessensabgleiches sein. Sein Mittel sind abwägende Gespräche, weil nicht einer alleine in simplen naheliegenden Reaktionen „richtig“ handelt, sondern viele Menschen sich einigen müssen. „Richtiges“ oder „falsches“ Handeln als Reaktion auf Sprengstoffanschläge ist nicht absolut zu sehen, sondern relativ – was heute „richtig“ sein mag, kann sich morgen als falsch erweisen, weil „richtige“ oder „falsche“ Lösungen im Wandel begriffen sind: neue Zeiten und neue Koalitionen bringen neue Lösungen.
Grobe Vorurteile bringen erste Orientierung
„Richtig“ und „falsch“ oder „gut“ und „böse“ erweisen sich einmal mehr als realitätsferne Abstraktionen, die zwar einer ersten Orientierung dienen aber zu nicht mehr gut sind, und damit sind sie nicht nachhaltig und nicht zukunftsweisend. Wer bleibend in diesen kontrastreichen Absolutismen denkt und entscheidet, handelt an den Erfordernissen der Welt vorbei.
Das alte Dilemma: reden oder handeln?
Das Argument gegen den Interessenabgleich ist seine Langwierigkeit und oft auch der Umstand, dass zu lange ergebnislos diskutiert wird. An bundesdeutschen oder europäischen Politikern mag kritisiert werden, dass sie mitunter nur diskutieren und ein Handeln damit vermeiden wollen; denn zu handeln birgt das hohe Risiko des Scheiterns. Diskutieren ist virtuelles Handeln, Handeln selbst ist die Realität, vor der viele Politiker gerade in internationalen Zusammenhängen zurück schrecken. Dennoch ist „richtig“ oder „falsch“ in einer Demokratie keine punktuelle Entscheidung Einzelner, sondern ein fortwährender Konsensprozess. Auf je mehr Schultern er verteilt ist, desto „richtiger“ wird er – und diskutieren sollte dabei stets handlungsorientiert sein.