Die Welt wird in ihrer digitalen Form flüchtiger, ambivalenter, trügerischer – kurz: immer virtueller. Das Mittel zur Virtualisierung ist die Digitalisierung analoger Datenbestände. Das bezieht sich insbesondere auf Fotos oder anderes Bildmaterial.
So tauschen zum Beispiel auch Illustratoren, Grafik-Designer und Künstler seit längerem Blatt und Leinwand gegen einen drucksensitiven Touchscreen und einen Stift, der nicht mehr malt, sondern nur noch Impulse auf dem Grafikbildschirm auslöst. Bei Fotografen und ihren digitalen Bildern kommen digitale Fotofilter zum Einsatz sowie Tools der Bildbearbeitung und Bildmanipulation. Endoplast nutzt diese Mittel von Anbeginn an, meist zur Verfremdung.
Begegnung mit dem ersten Fotobuch
Ich war vor ein paar Jahren bei einem Kunden, bei dem Perfektionismus angesagt war. In seinem Atelier lag auf einem kleinen runden Tischchen ein querformatiges Buch mit einem Landschaftsbild auf dem Cover. Das Buch war ein Hardcover und es sah hochwertig aus wie ein echtes Profi-Fotobuch. Ich schlug die ersten Seiten auf: Es war ein Bildband mit Fotos aus Skandinavien. Viele Abend- und Nachtaufnahmen mit langer Belichtungszeit waren darunter.
Fotoqualität in Buchform
Erst habe ich den Kunden verwundert gefragt, wer die Fotos gemacht hat. Tatsächlich war er selbst als Amateur der Fotograf gewesen. Dann habe ich mir das Druckverfahren angesehen, einen Rasterpunkt konnte ich nicht sehen. Die Fotos wirkten in diesem überraschenden Moment auf mich fast überirdisch brillant. Da ich mich immer schon dafür interessiert hatte, wie man Abbildungen optimal reproduzieren und drucken lassen kann – ob im Trockenoffset mit einem 300er Feinraster oder per Lichtdruck –, war ich davon begeistert, dass es möglich war, Bücher mit Abbildungen in Einzelauflagen herstellen zu lassen. Und das in einem digitalen Workflow, der flexibel war und vieles erleichterte.
Familienalbum mit neuen Mitteln
Es stellte sich heraus, dass es ein Fotobuch war, das der von mir besuchte Kunde online von seinen Spiegel-Reflex-Kamera-Fotos hatte produzieren lassen. Nach dem Treffen war mir klar geworden, dass die Bilder Fotoabzüge waren – deshalb waren sie so fein aufgelöst, dass mir fast die Tränen kamen. Letztlich also eine analoge Buch-Manifestation eines digitalen Datenbestandes, der in einer Layoutsoftware über eine Leitung hochgeladen und lichtecht ausgedruckt oder ausbelichtet worden war. Sozusagen die folgerichtige Weiterentwicklung des alten Fotoalbums mit damals eingeklebten Bildern. Das war das erste Mal gewesen, dass ich so ein Fotobuch in Händen gehalten hatte. Es war der Beginn einer neuen – privaten – Publikationsform gewesen. Ich beschloss, die digitalen Endoplast-Illustrationen, die ja in der Form analog überhaupt nicht existieren, in Buchform für mich zu publizieren. Anstatt immerzu zu scrollen, wollte ich zukünftig die Möglichkeit haben, wieder zu blättern. Auch ohne das Leuchten des Bildschirms, in einem stillen Eckchen.
Digitale Analog-Fotografie
Fotografien waren vom Anbeginn der Fotografie an etwas Analog-Manifestes. Ob auf Glasplatten, als Daguerreotypie-Unikat auf einer versilberten Kupferplatte oder als Negativ, von dem aus mit Licht über einen Vergrößerer auf Fotopapier belichtet wurde – die Fotografie war eine analoge „Malerei mit Licht“. Am Ende hielt man einen Fotoabzug in Händen, der vorher manuell in der eigenen Dunkelkammer oder von einem Dienstleister belichtet, entwickelt, fixiert und getrocknet worden war.
Das Bild als virtuelle Größe
Das hat sich geändert. Zwar gibt es nach wie vor Fotoabzüge aber oft werden Fotos auch nur am Smartphone, Tablet oder Fernseher als Diashow gezeigt oder in sozialen Netzwerken weitergereicht. Das Bild ist virtuell geworden und oft nur noch ein flüchtiger und zugleich fragiler Datenbestand. Wenn man nicht aufpasst und sich technisch nicht auskennt, ist die Auflösung zu gering oder die Kompression zu hoch. Und wenn die Festplatte, die CD oder der Speicherstick kaputt gehen oder wenn die Kamera oder der Laptop abhandenkommen, sind die Bilder für immer fort, sofern sie nicht doch ausgedruckt wurden, in der (unsicheren) Cloud lagern oder als klassischer Fotoabzug vorliegen.
Das Verschwinden digitaler Bilder
Experten gehen davon aus, dass ein Großteil der Bilder, die heute massenhaft und inflationär aufgenommen werden, die Jahre nicht überdauern werden. Sie werden im Nichts verschwinden, dafür ist kein Zimmerbrand oder Wasserschaden notwendig. Dafür reicht der Sturz eines Laptops oder der Zahn der Zeit, der das Speichermedium erschlaffen lässt. Das mögliche Verschwinden der eigenen Bilder wirkt fast wie eine Gegenbewegung zur Bildüberflutung auf breiter Front. Als würde die Flüchtigkeit der Bilder dem Dauerklicken eine lange Nase zeigen. Über 80% aller Amateurfotografen sammeln die Fotos auf ihrem PC, etwa 40% benutzen CDs und DVDs für ihre Fotoarchivierung, ca. 30% nutzen USB-Sticks und etwa 20% nutzen externe Festplatten dafür. USB-Sticks halten aber maximal 10 Jahre, DVDs und Festplatten maximal 30 Jahre, BlueRays angeblich 100 Jahre. Aber danach sind die Daten weg oder fehlerhaft, wenn sie nicht umkopiert werden.
Bilderschwemme, Bilderschwämme
Die Welt wird überschwemmt von Bildern. Fast schon jeder Ort und jeder Moment unserer Wirklichkeit, so scheint es, wird durch einen unendlichen Strom an Bildern eingefangen und seines Zaubers beraubt. In jedem Konzert eine Flut an hoch gehaltenen Smartphones, an jeder belebten Ecke Leute mit Selfiestangen. All diese Bilder werden im Strom der Zeit vergehen. Vorbei die Zeit der opulenten Familienalben im Schrank, die scheinbar ewig überdauerten und die hier und da nach Tod und Haushaltsauflösung auf Flohmärkten für ein paar Cent angeboten werden. Aus der Vergänglichkeit digitaler Datenbestände mag sich das Bedürfnis ableiten, zumindest für die Höhepunkte und Highlights doch wieder eine anfassbare analoge Form zu haben, der kein Daten-Crash etwas anhaben kann.
Endoplast goes Reality
Die Endoplast-Grafiken als gebundenes Hardcover zum Durchblättern und in der Hand halten – all dies im Schein des Kamins und scheinbar für die Ewigkeit, auch wenn die ebenfalls nur vorläufig ist – allerdings von einer etwas längeren Vorläufigkeit. Ich frage mich, ob ich damit der Flüchtigkeit der Welt Einhalt gebieten kann…
13 Responses to “Digitale Fotos als flüchtiges Gut: Von der hippen Virtualität zum retro-analogen Buch”
Dieser Artikel erinnert mich sehr an ein Geschenk welches ich von meinem Bruder mal zu Weihnachten bekam, es muss in den 70er´n gewesen sein. Oder es war ein Geschenk von meinem Onkel aus Amerika ich weis es nicht mehr so genau…. Auf jeden Fall hies dieser Kasten „Etch A Sketch“ …
Mit diesen konnte man mittels X und Y Koordinaten die man mittels zweier Drehknöpfe beeinflussen kann; welche dann eine grafik auf einer Art Bildschirm Glasplatte abbildet. Ich glaube das gibt es mittlerweile wieder – als Retro-Spielzeug. Für alle die sich dafür interessieren :
https://de.wikipedia.org/wiki/Etch_A_Sketch
Ihr seid wohl etwas wirr-tuell, wie in dem 6Jahresartikel ;d
Zu analogen Zeiten mußte man gut überelegen, wann man auf den Auslöser drückt. Bei maximal 36 Bilder pro KB-Film mitunter schwierige Entscheidungen. Man weiß ja nie, ob nicht noch interessantere Motive vor die Kamera laufen – und Rückwände mit Meterware Film hatten nur wenige
Heutzutags kann man knipsen soviel die SD-Karte hergibt und erst später aussortieren. Hat seine Vorteile: Man verpasst kein Motiv mehr und kann hinterher nur die besten Fotos in den Adelsstand des Fotobuchs erheben.
Fragt sich noch, wie lange ein Fotobuch „hält“. Aber die meisten Fotos sind doch sowieso nicht für die Ewigkeit gemacht.
Und die Hochzeitsfotos aus den 70ern sind auch schon recht verblasst…
Dat Fotobuch is dat einzige Buch wat zu lesen echt Spass macht *frech grins*
@Guzz: Du meinst, dass dieses Gerät ebenfalls analog und digital ist? Das Analoge durch die Drehknöpfe repräsentiert? Das Digitale durch den Bildschirm. Ja. es gibt wohl einiges, was diesen Übergang symbolisiert. dieses „Etch a Sketch“ kenne ich nur vom Hörensagen.
@me: Ich glaube, dass diese Fotobücher im Grunde wie Fotos, die richtig ausfixiert sind, sehe sehr lange halten. Fotografien überdauern ja die Jahrhunderte.
@Uwe: ? Wieso?
F(arbf)otografien überdauern doch nicht Jahrhunderte. Es gibt die Farbfotografie wie wir sie kennen doch erst seit den 1930er Jahren, entwickelt etwa zeitgleich von Kodak und Agfa. Wobei die Farbschicht der Kodak-Filme dichter war als die der Agfa-Filme, was die höhere Farbtiefe ausmachte. Trotzdem sind die Fotos heute stark ausgeblichen, vor allem die Rottöne und auch das Negativmaterial hält nicht ewig. Ich bezweifle, dass Fotobücher länger halten.
@me: Stimmt. Die Farben bleichen aus. Allerdings kommt es darauf an, wieviel Licht die mitbekommen. Bücher sind in der Regel zugeklappt und halten lange – sofern die Säure im Papier sie nicht auflöst…
Andererseits muss der letzte Urlaub auch nicht für die Nachwelt konserviert bleiben…
Kommt auf den Urlaub an und wie weit südlich er ist. ;-)
[…] Rolf: Kommt auf den Urlaub an und wie weit südlich er is… […]
[…] Schwerpunktverlagerung: Wir sind nicht mehr nur von Hardware umgeben, die unseren Alltag mit Digitaltechnologie durchdrungen hat, sondern haben vor allem mit Software zu tun, um die Hardware zu betreiben und […]