Middle of the Roar: Was gehört dazu, ein Popstar zu sein? Das Aussehen? Das Selbstbewusstsein? Das Talent? Geniales Songmaterial? Katy Perry muss alles richtig machen, so scheint es, wenn man sich ihren Erfolg ansieht. Obwohl ihr Songmaterial nicht sehr kunstvoll oder eigenständig arrangiert ist und noch weniger stilvoll produziert.
„Eine Ausnahme ist Roar, ein eingängiges Lied, das musikalisch nicht so klischeehaft und vorhersehbar ist, wie viele andere ihrer Hits. Inhaltlich kämpft Roar um das Selbstbewusstsein einer Frau, das Video unterstreicht die Vehemenz des Power-Pop-Stückes und beginnt erstmal damit, dass der männliche (Selbst-)Darsteller gefressen wird und damit dem Dschungel zum Opfer fällt, während Katy Perry den Flugzeugabsturz nicht nur überlebt – sie wird regelrecht zum Tier und setzt sich durch
Der Song-Text: Minderwertigkeits-Klischees
Im Lied heißt es einleitend: „I used to bite my tongue and hold my breath/Scared to rock the boat and make a mess“, also frei übersetzt etwa: „Normalerweise habe ich mir auf die Zunge gebissen und den Atem angehalten, anstatt den Laden zu rocken und einen auf Welle zu machen.“ Das Lied setzt also bei Minderwertigkeitsgefühlen an und bedient damit textlich doch wieder Klischees, die man hinreichend kennt. Aber die Sängerin verkörpert das im Video sowohl mir der richtigen Dominanz als auch mit postmoderner Selbstironie. Es ist gleichzeitig ernst gemeint und nimmt sich selbst auf die Schippe. Deshalb passt der Song ganz gut in die Zeit.
Erfolgsfaktoren: Augenzwinkernd klauen
Natürlich ist es nicht verkehrt so auszusehen, wie es die Zielgruppen am liebsten haben, aber im Pop sind vor allem zwei Aspekte wichtig geworden: Man muss gut klauen können und es sollte ein Augenzwinkern bei allem dabei sein, was man macht, das gibt den Inhalten die richtige Würze. Bierernst war gestern, kalauern aber auch. Bedient haben sich Katy Perry und ihr Songwriter- und Produzententeam, das neben ihr aus Bonnie McKee, Cirkut, Max Martin und Lukasz Gottwald besteht, bei Sara Bareilles‘ Lied Brave, das inhaltlich und von der musikalischen Spannungskurve her das gleiche vorher gemacht hat, nur weniger eingängig und trotz witzigen Videos ohne Selbstironie.
Superlative: Der Roar-Erfolg
Roar, im August 2013 veröffentlicht, ist ein Lied der Superlative: etwa 10 Millionen Mal wurde es verkauft, hatte relativ schnell 500 Millionen Klicks auf YouTube bekommen und weltweit die Hitparaden gestürmt. Katy Perry ist unermüdlich, jettet um die Welt, um ihre Alben, Videos und Songs zu promoten und lässt keine Gelegenheit aus, visuell eindringlich und deutlich rüberzukommen. Allein das Roar-Video bekam im Vorfeld eine Fülle an kleinen Teasern auf YouTube und Promotionauftritten in den Medien. Katy Perry ist inzwischen nicht nur ein Markenname für Popsongs sondern auch einer für eine visuell und akustisch mediengerechte Vermarktung. Meist ist ihr Pop zu konventionell, zu vorhersehbar und unelegant.
Kate Perry: Druckvolle Soldatin im Loudnesswar
Mit Roar hat Katy Perry aber ein Stück abgeliefert, das hängen bleibt – nicht nur weil es einem in die Gehörgänge gehämmert wird, sondern weil es spannungsreich geschrieben ist. Der Sound ist schrecklich, sind doch die Produktionen von Katy Perry Negativbeispiele für die Unsitte des Loudness-War, bei dem die Produzenten und ihre Toningenieure, die lauten Töne etwas abmildern und die leisen aufdrehen, um eine höhere druckvolle Durchschnittslautstärke hinzubekommen, die vom Hörer als insgesamt kraftvoller wahrgenommen wird. So schafft man um den Preis mangelnder Dynamik und musikalischer Differenzierung sowie eines leicht übersteuerten Sounds eine bessere Wahrnehmbarkeit. Im Falle von Katy Perry passt das auch sogar völlig ins Konzept der visuellen und akustischen Überdeutlichkeit; denn sie setzt eindeutige Reize für ein Massenpublikum was Songs, Outfit und Präsenz anbelangt. Dem Song Roar tut das aber trotzdem keinen Abbruch. Kommentieren.