Marguerite hatte ein beachtliches Vermögen mit Diebstahl und Betrug (Antiquitätenhandel) aufgebaut. Sie war noch jung, sie war schön (wie Elizabeth Taylor), das Leben war wunderbar. Sie kaufte sich ein Schloss in Südfrankreich und zog über die Flohmärkte, um ihr Schloss zu dekorieren. Möbel hatte sie genug, aber es fehlten kleine Dinge, mit denen viele Frauen gern jede Ecke voll stellen – zum Leidwesen ihrer Putzfrauen. An einem sonnigen Morgen in Saint-Émilion drängte sich Marguerite durch die engen Gassen eines Flohmarkts. Die Farben strahlten, die Tauben saßen auf der Chapelle de la Trinité und schauten zu, wie Marguerite (nennen wir sie fortan kurz „Marga“, immerhin sind wir hier in Deutschland) den Stand eines alten Herrn inspizierte. Der Mann war mittelgroß, unendlich alt und sehr dünn. Seine Hakennase ragte über seinen Stand, auf dem hauptsächlich kleine Püppchen ausgestellt waren, wie die dereinst so edle Nase der Sphinx über die Wüste Ägyptens. Der Händler sah Marga an, die ganz automatisch ein gewinnendes Lächeln aufgesetzt hatte. Die Püppchen waren alt. 18. Jahrhundert. Der Mann hatte doch bestimmt keine Ahnung oder kein Interesse, Geld zu machen, immerhin war sie die Wiedergeburt von Kleopatra, oder mindestens von Friedrich dem Großen, nur hübscher. Und da sollte ihr Lächeln doch für einen automatischen Preisnachlass gut sein. Sie begrüßten einander. Marga begann eine lange Geschichte zu erzählen, die darauf hinauslief, dass sie irgendetwas Schönes für ihre alte kranke Mutter suche. Ihre Mutter hatte wirklich manchmal Rückenschmerzen. Was denn die Püppchen kosten, fragte Marga dann. Der Preis war lächerlich niedrig und Marga hatte Mühe nicht triumphierend aufzulachen. Aber der alte Mann starrte sie mit seinen kleinen Augen an und es gelang ihr keine Miene zu verziehen, sondern so zu tun, als sei ihr das noch zu teuer, wo sie doch so eine arme Frau sei. Nein, weiter könne er mit dem Preis nicht hinuntergehen, erklärte der Mann. Schließlich kaufte Marga drei Püppchen, die sie für das Doppelte würde weiterverkaufen können.
Die Leute haben sehr unterschiedliche Meinungen, ob der Teufel schön oder hässlich ist. Viele Leute halten ihn für schön, weil er die Menschen dann besser verführen kann, oder weil er dereinst ein Engel war. Die meisten denken aber wahrscheinlich, dass er nicht existiert. Ich gehe davon aus, dass wir keinen Teufel brauchen, um einander die Hölle auf Erden zu bereiten, wenn uns das Spaß macht. Der Teufel sind wir. Und wir sehen alle unterschiedlich aus.
Als Marga heimkam, in ihr Schloss, untersuchte sie die Puppen genauer. Schnitt und Struktur der Kleider waren definitiv barock. Es waren zwei weibliche und ein männliches Püppchen. Sie trugen Perücken aus Papier, die mit feinen Nadeln auf den Köpfchen befestigt waren. Marga nahm eine der Perücken vorsichtig ab. Auf den Wachsköpfchen hatte das Püppchen ein Büschel schwarze Haare. Das könnte sogar Menschenhaar sein. Marga war begeistert. Das männliche Püppchen hatte eine Art Orden an der Jacke. Der Orden war ebenfalls mit einer feinen Nadel befestigt, die ein bisschen rostig war, kein Wunder nach all den Jahren. ähnliche Accessoires fanden sich auch an den weiblichen Püppchen. Marga beschäftigte sich noch den ganzen Nachmittag mit den Püppchen und konsultierte auch das Internet.
Abends ging sie rüber zum Haushälterpärchen. Die kochten für sie. Sie nahm die Püppchen mit. Das Pärchen war mittleren Alters. Der Mann sah gut aus, und Marga redete gern zu ihm. Mit der Frau redete Marga nicht so gern, denn sie war leider eine religiöse Irre, ging jeden Sonntag in die Kirche und bekreuzigte sich nun beim Anblick der Püppchen. „Das sind Voodoo-Puppen“, kreischte die Haushälterin. Dann hielt sie einen langen Vortrag über die Gefahren von Voodoo-Puppen. Die Seele des Anwenders von bösen Zaubern leide entsetzlichen Schaden. Der Fluch falle immer auf den Fluchenden zurück. Wäre in diesem Fall schlauer von ihr gewesen, darauf hinzuweisen, dass Marga selbst Schaden erleiden könne. Finanziellen zum Beispiel.
Marga ging wieder heim, überlegte sich, welcher ihrer Konkurrenten sie am meisten ärgerte und nahm dann die männliche Puppe. Sie schrieb den Namen der Person auf einen Zettel und stieß dann die Nadel mit dem kleinen Orden durch den Zettel in die Brust des Püppchens, wobei sie sich ausmalte, dass der Konkurrent schreckliche Schmerzen erleide. Sie wollte ihn nicht umbringen. Es genügte ihr, den Mann zu ruinieren.
Marga schlief ruhig, selig und traumlos. Beim Frühstück klingelte das Telefon. Eine Katastrophe hatte sich ereignet. In der Wohnung über ihrem Geschäft in Marseille hatte es einen Rohrbruch gegeben. Sie war natürlich versichert, aber es war trotzdem ärgerlich und sie verlor bestimmt Geld durch die Überschwemmung. Zeit ist auch Geld. Prompt lag die Haushälterin ihr wieder in den Ohren, dass das bestimmt an den Voodoo-Puppen liege. Marga lenkte ein. Sie musste ohnehin nach Marseille, um den Schaden zu begutachten und ihren Angestellten zu sagen, was zu tun sei. Also nahm sie die Püppchen einfach mit.
Jean, der Haushälter, musste sie fahren. Mit seinem Auto. Wozu bezahlte sie ihn denn. Auf der Autobahn platzte ihnen ein Reifen. Glücklicherweise war gerade nicht so viel Verkehr und sie kamen unbeschadet auf dem Randstreifen zum Stehen. Jean wechselte den Reifen. Marga grübelte inzwischen, ob die Voodoo-Puppen nicht vielleicht doch Pech brachten. Sie entschloss sich, ihren Konkurrenten anzurufen, um herauszufinden, ob er vielleicht gestorben war. Leider lebte er noch und er war sehr schlecht gelaunt, denn sie hatte ein paar Sachen von ihm in Kommission genommen und die waren in Marseille in die Überschwemmung geraten. Während Marga noch von höherer Gewalt schwafelte, legte der Konkurrent auf. Marga war nun soweit, dass sie ein bisschen Ablenkung brauchte. Das Rad war inzwischen auch gewechselt. „Fahr an der nächsten Abfahrt raus und such uns ein kleines Wäldchen“, befahl sie dem Haushälter. Der lief rot an. „Nein Madame, das kann ich wirklich nicht mehr tun. Meine Frau hat etwas gemerkt und“, er holte tief Luft: „ich hab Warzen.“ „Du hast was?“, fragte Marga entsetzt und fügte erbost hinzu: „wieso bezahle ich dir dann so ein sa-gen-haf-tes Gehalt?“ Sie begann zu schreien und holte schon zu einer Ohrfeige aus. Der Mann duckte sich. Dann hielt sie jedoch inne. „Vielleicht sind die Voodoo-Puppen ja auch daran schuld. Fahr mich in ein Wäldchen“ – und als sie seinen Blick sah – „nicht dafür, du Trottel. Ich will die Voodoo-Puppen verbrennen.“ Sie fuhren also an der nächsten Ausfahrt von der Autobahn in ein malerisches südfranzösisches Kaff und fanden ein Eukalyptuswäldchen, an dem man halten konnte. Schwierig wurde es noch einmal, als sich herausstellte, dass niemand ein Feuerzeug dabei hatte. Ganz unten im Handschuhfach fand sich aber ein Streichholzbriefchen. Damit, den Voodoo-Puppen und mit dem Benzinkanister bestückt, gingen die beiden in das Wäldchen. Marga warf die Puppen auf den Boden. Jean übergoss die Puppen mit Benzin und zündete sie an. Sie brannten lichterloh und eine Stichflamme stieg auf, trug ein bisschen Asche mit, die wieder hinunter rieselte und auf Margas Tennisschuhe fiel. Marga schrie auf und sprang herum. Sie zog dann die Schuhe aus und verbrannte sie. Jean nötigte sie, ebenfalls seine Schuhe zu verbrennen. Dann gingen sie barfuß beziehungsweise auf Strümpfen zurück zum Auto. Und fuhren zum überschwemmten Lager. Ohne weiteren Halt. Zumindest für Marga hörte die Pechsträhne damit vorerst auf.
Teil 2: Es hat Füße
Teil 3: Marga schreibt ein Buch
Teil 4: Griselidis
Teil 5: Jean-Pierres Wunsch geht in Erfüllung
Teil 6: Reinkarnierte Hunde
Teil 7: Abstürze
Teil 8: Schrecken
Teil 9: Auferstehung
Hier ist das zweite Buch Leben ohne Marga von Charlotte Palme nachzulesen:
Teil 1: Leichenschmaus
Teil 2: Relativitätstheorien
Teil 3: Jagdfieber
Teil 4: Das Frohe leben am Hofe