Wie wird jemand Faschist? Eine übergroße Frage. Eine Antwort darauf, war die Begrifflichkeit des autoritären Charakters, die im wesentlichen in den 1930er-Jahren vom Sozialpsychologen Erich Fromm geprägt worden war. Der Psychoanalytiker Wilhelm Reich hatte in der Massenpsychologie des Faschismus 1933 die partriarchalisch geprägte Familie dafür verantwortlich gemacht, die konformistische Charaktere forme, die sich Repressionen beugten.
Erich Fromm und die Familie als Keimzelle des Faschismus
Auch für Erich Fromm stand die Familie als prägende Keimzelle im Mittelpunkt. Die autoritär geprägte Familie bringe Kinder hervor, die mehrheitlich destruktive Konformisten werden, was in Rassismus und Ethnozentrismus münde. Fromm sprach polar einseits vom Sozialcharakter/Gesellschaftscharakter, der sein (eingeschränktes) Leben in einer Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit einhergehend die Verfemung andersartigen Verhaltens lebt, und kontrastierend dazu vom reiferen Individualcharakter.
Arno Gruens Vortrag über Selbstwert, Selbstbild und Fremdbestimmung
Arno Gruen hält hier im Video einen verständlichen Vortrag darüber, wie mangelndes Selbstwertgefühl und Staatsautorität fatal zusammenwirken können. Er zeigt, wie Hilflosigkeit und Ohnmacht eines Menschen durch eine autoritäre Erziehung erzeugt werden und zu Entfremdung, Fremdbestimmung und Aggression führen.
Macht und Ohnmacht des Individuums im Ich und im Wir
Gruen leitet aus der Psychologie des Individuums pädagigische und politische Forderungen ab. Die Zersplitterung des Individuums gefährde den Fortbestand der demokratischen Lebensweise. Macht und Gehorsam in gesellschaftpolitischen oder familiären Zusammenhängen führen zu einer Nichtausbildung von Identität und letztlich zum Nationalismus, in dem gemeinsame Hoffnungen und Geborgenheit gerade die in besonderer Weise anziehen, die eine eigene Identität nicht ausbilden konnten. Wo es kein Ich gibt, wirkt das Wir besonders anziehend. Die Identifikation mit der Macht hat diesen Hintergrund: Schwache suchen Stärke dort, wo sich die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit in der Abhängigkeit von der Macht relativieren.
Auslaufmodell „Identität“?
Identifikation mit der Stärke des autoritären Staates führt nicht zur Entwicklung einer eigenen Identität. Im Gegenteil, sie führt dazu, der der Mensch seine Bedürfnisse denen eines anderen unterordnet. Es wird der Mensch, zu dem man in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, benötigt, um selbst Mensch sein zu können. Damit wird lediglich das Leid jener, die das Leid gebracht haben, gemildert – nicht das eigene. Dies vollzieht sich in der Kindheit in der Abhängigkeit zu Erwachsenen und setzt sich fort im Menschen als Teil einer autoritären Gesellschaft.
Verbrüderung mit der Unmenschlichkeit und Verleugnung des eigenen Selbst
Falsche Identifikation und Unterordnung unter den Willen eines anderen, kommen aus der Scham, dass man so schwach war, das eigene Sein zu opfern – und dass man schwach geblieben ist und bleiben wird. Dadurch entsteht in dem Menschen, der sich in der autoritären Struktur so verleugnet hat, ein fortwährender Selbsthass, der zu ungeheuren Aggressionen führt. Die Identifikation mit der Unmenschlichkeit verbaut den Weg zur Entwicklung einer eigenen Identität in einem Kreislauf der Abhängigkeit, der weiter schwächt und nicht stärkt.
Selbsthass und Fremdenhass
Indem das eigene Sein permanent in der Erfüllung vorgegebener Pflichten zurückgedränkt wird, entsteht eine Wut, ein Hass auf das eigene schwache Selbst und seine Lebendigkeit. Ein solcher Mensch sucht Opfer, an denen er sich gewalttätig abreagieren kann. Dabei ist dieser Hass, z.B. Fremdenhass, ein verklausulierter Selbsthass. Menschen ohne eigene Identität wollen das Lebendige in sich töten. Gruen führt hier im Video Klaus Barbie und seine seltsam anmutende Identifikation mit einem seiner Opfer als Beispiel an. Der Feind wird zum Opfer, das das Opfer in einem selbst symbolisiert.
Geburtsstunde des Hasses: Minderwertigkeitsgefühl und Überhöhung
Ist die symbolisch überhöhte und zur Schau gestellte Stärke im Faschismus ein Ich-Ersatz, handelt der Ich-schwache oder Ich-lose Mensch bald auch losgelöst von seinem ursprünglichen Unterdrücker aggressiv und gewalttätig. Dabei werden zu feindlichen Hassprojektionsfiguren für den Aggressor jene Menschen, die das Opfer in seinem beschädigten Selbst spiegeln. Die Ideologie der vermeintlichen Stärke, die in Wirklichkeit eine tiefgreifende Schwäche ist, wird zur Zuflucht für das beschädigte Selbst. Die Suche nach Feindbildern und Feinden transformiert sich in einer Spirale der Selbstbestätigung und zur Rettung des eigenen Ichs des sich minderwertig Fühlenden.
Stärke und Heldentum als Sublimations-Symbolik der Ich-Schwäche
Ausgangspunkt des Faschismus ist dieser auf andere projezierte Selbsthass, die Ideologie rechtfertigt und instrumentalisiert ihn danach. Da man unfähig ist, den eigenen Schmerz zu erkennen und zu spüren, spürt man ihn auch bei seinen Opfern nicht. Über die Identifikation mit dem institutionellen Aggressor verlernt der Ich-Schwache seine eigenen menschlichen Gefühle. Der Prozess der Entmenschlichung schreitet fort durch eine weitere Beeinträchrigung des Fühlens, indem der Gewalttätige sein Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit durch die Identifikation mit den Symboliken von Stärke und Heldentum ersetzt.
Wenn das Selbstwertgefühl bedroht ist, erwacht der Hass
Der identitätseingeschränkte oder identitätslose Mensch hasst im Hass des anderen Menschen sich selbst als Opfer. In der Pein des Anderen versucht er sein eigenes Opfersein durch eine symbolische Selbstbestrafung auszugleichen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten oder wenn der Druck von aussen besonders groß ist, kann in einem bei guten Rahmenbedingungen scheinbar zufriedenen aber prädisponierten Menschen tief drinnen das Opfer erwachen – Hass wird frei, der sich in Aggressionen entlädt. Politisch betrachtet wird dann das Heldentum letztlich zur unpersönlichen und hemmungslosen Möglichkeit des Handelns. Die Wurzeln all dessen werden in der Kindheit und der autoritären Erziehung gelegt.