Das Leben eines Künstlers und seiner Vision kann man sich als lang anhaltende Lernerfahrungs-Reise zum gesteckten Ziel vorstellen. Den „Missing Link“ im Schaffen von Meisterregisseur Stanley Kubrick wollten wir uns nicht entgehen lassen. Die Ausstellung „Eyes wide open – Stanley Kubrick als Fotograf“ im Kunstforum Wien zeigt vom 8. Mai bis 13. Juli 2014 den Filmemacher und manischen Perfektionisten in seinen beruflichen Anfängen: als Reportage-Fotograf der Zeitschrift „Look“, der Bilderfolgen inszenierte.
Vom Foto zum Dokumentarfilm
Der Weg vom Nachdenken darüber, wie er als Fotograf ein Thema in einzelnen Bildern bzw. Bildsequenzen darstellen und erzählen kann hin zum Bewegtbild der drei Dokumentarfilme, die er später drehte, hat eine gewisse Folgerichtigkeit. Denn der Dokumentarfilm konnte das Leben noch genauer und realistischer abbilden, als das die Fotos vermochten. Wir haben uns vom Ruhrgebiet nach Wien aufgemacht, um den Fotografen Stanley Kubrick kennenzulernen und damit den Anfängen des Cineasten nachzuspüren.
Vom Dokumentarfilm zum Spielfilm
Der darauf folgende Weg vom Dokumentarfilmer zum Spielfilmregisseur schließlich hatte im Falle Kubricks abermals eine gewisse Zwangsläufigkeit wenn nicht gar Unausweichlichkeit. Kubrick wollte hin zur komplexesten Kommunikationsform, die der Film neben dem Roman sein kann. Man sieht der Strenge seiner Bilder an, dass er überlegt gestaltet – er wollte Fotos aneinander reihen und als Erzähl-Geschichten inszenieren. Der Dokumentarfilm gibt dem, der Inhalte vermittelnd gestalten will, weitergehende Möglichkeiten. Doch erst der Spielfilm verleiht die totale Kontrolle über ein Thema, weil hier der Regisseur das Thema so ausarbeiten kann, wie er es möchte, ohne Einflussnahme durch die einschränkende Wirklichkeit. Das Ziel Kubricks war die vollständige Kontrolle über sein Kunstwerk. Die Reise Kubricks vom Fotografen über den Dokumentarfilmer hin zum Regisseur von Spielfilmen ist eine Reise zum perfekten Film: inhaltlich, erzählerisch und technisch.
Ein Kubrick-Film als Reise zur Erkenntnis
Unsere Reise führte uns raus aus dem Ruhrgebiet in die alte Kulturstadt Wien. Das Ruhrgebiet als Hort der Industriekultur, ebenfalls ein auch anderweitig kulturell vielfältige Kulturregion, ist so ganz anders als das alt-ehrwürdige Wien.
Stanley Kubrick: Prototyp eines anspruchsvollen Regisseurs
Unter all den Regisseuren der Filmgeschichte hat Stanley Kubrick einen Sonderstatus inne. Kein anderer war bei seinen Filmen zugleich so ernsthaft und leidenschaftlich besessen wie er. Dabei waren seine bei der Kritik begeistert aufgenommenen Filme bis auf einen immer auch Erfolge an den Kassen und damit Geldbringer. Was Kubrick aber einmalig gemacht hat, war, wie er seine Themen durchdrungen hat, oft hinab in ungewöhnliche Tiefen, für die er Erzähl-Stoffe und Bilder fand, die unter die Haut gehen. Jeder Film nach seiner filmischen Orientierungsphase war entweder technisch, erzählerisch oder inhaltlich ein Meilenstein der Filmgeschichte – oder auch alles gleichzeitig. Ein Kubrick-Film ist provokant, funktioniert auf mehreren Ebenen von der anspruchsvollen Unterhaltung bis hinein ins Philosophische und betritt auch technisch Neuland.
Die Dokumentarfilme und erste Spielfilme
Nach seiner Zeit als Fotograf, drei Dokumentarfilmen und den drei Spielfilmen „Fear and Desire“ (1953), „Tiger von New York“/„Killer’s Kiss“ (1955) und „Die Rechnung ging nicht auf“/„The Killing“ (1956), die Kubricks Talent erahnen und ihn reifen ließen, folgte 1957 mit „Wege zum Ruhm“/„Paths of Glory“ mit Kirk Douglas in der Hauptrolle, ein Anti-Kriegsfilm, der den Militarismus von seiner menschenverachtenden Seite zeigte. Kubrick sollte das Thema 1987 mit „Full Metal Jacket“ noch einmal aufgreifen. Interessant übrigens, dass die beiden Filme auf einer ähnlichen Perspektive basieren. Beide zeigen den Krieg aus der Sicht der geschundenen Soldaten. Beide setzten zu ihrer Zeit Maßstäbe für die Abbildung des Grauens vor und im Krieg, den Zwiespalt der Soldaten, ihre Ohnmacht und ihre Auflehnung.
„2001: Odyssee im Weltraum“ und weitere große Filmerfolge
1960 glänzte „Spartacus“ als Monumental-Epos, war aber der einzige Film, bei dem Kubrick nicht die alleinige künstlerische Kontrolle hatte. Andererseits war es für Kubrick auf Vermittlung Kirk Douglas’auch so etwas wie der Durchbruch in Hollywood. Mit „Lolita“ widmete er sich 1962 dem Thema Pädophilie, 1964 folgte „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“/„Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“, der genial den Irrwitz des Wettrüstens auf den Punkt brachte. Nach „Lolita“, einem sexuell provokanten Werk war „Dr. Strangelove…“ in der damaligen Zeit ein politisch provokantes Thema. Danach folgte für Kubrick der Umzug nach London. 1968 das Opus Magnum des Regisseurs mit „2001: Odyssee im Weltraum“/„2001: A Space Odyssey“, ein Film, der inhaltlich, visuell und erzählerisch völlig Neues bot. Ein Film auch, der in der heutigen Zeit ferngesteuerter Kriege mit Drohnen und ferngelenkten Raketen und Bomben wieder aktuell geworden ist. Überhaupt kann man sagen, dass Kubrick-Filme wenig veralten und wie gute Kunstwerke zu verschiedenen Zeiten immer wieder neu interpretiert werden. Kubrick war der Vermittler zwischen Tiefgang und Visualität, zwischen Mitgefühl und Provokation. Vor allem hatte ein Kubrick-Film eine Aussage, die meist Wellen schlug. Die philosophisch-gewalttätige Zukunftsvision „Uhrwerk Orange“/„A Clockwork Orange“ von 1971 steht an inhaltlicher Potenz und Inszenierungswucht seinem Vorgänger in nichts nach. Hier ging es um nichts weniger als die Nivellierung von Gut und Böse.
Kubricks filmische Spätphase
Kubrick hatte sich pynchonesk vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, was jedes Mal die Gerüchteküche um seine neuen Projekte doppelt stark brodeln ließ. Später, bei seinem letzten und kommerziell erfolgreichsten Film „Eyes Wide Shut“, für den er sich mit Nicole Kidman und Tom Cruise für über ein Jahr zurückgezogen hatte, sollten sich die Mutmaßungen um die Zusammenarbeit des Regie-Genie mit den Teenidolen und Mainstream-Superstars hinein ins Irrwitzige steigern. Die Zurückgezogenheit Kubricks regte die Fantasie der Medien an und war ein wirksames Marketinginstrument. Nach Barry Lyndon (1975), einem behutsam inszenierten historischen Film, der durch die Aufnahmetechnik glänzte, weil Kubrick die Innenaufnahmen mit neuartigen Kameralinsen nur bei Kerzenlicht drehte, der aber an den Kinokassen floppte, kam 1980 „Shining“/„The Shining“, ein Horrorfilm-Psychothriller, der einmal mehr in einem vermeintlich seichten und vordergründigen Genre zeigte, wie gut Kubrick Bilder für seine Visionen finden konnte. Kubrick erlebte noch den Schnitt des 1999 veröffentlichten „Eyes Wide Shut“ und starb vor dessen Premiere. Zurück blieb das Image des Genialen, des Filmbesessenen.
Zu den visuell-gestalterischen Wurzeln Kubricks
Zu Wien, einer Stadt, die geradezu zum Inbegriff von Kunst geworden ist, passt die Reise in die Vergangenheit zu Kubricks Anfängen sehr gut. Wien hat lange kulturelle Wurzeln, so lohnt ein Besuch in dieser Ausstellung, die wie eine Zeitreise zu einem Künstler ist, der in seinen Filmen die Zukunft vorweggenommen hat, mal als Science-Fiction wie „2001: Odyssee im Weltraum“ oder als schräger Zukunftsfilm mit „Uhrwerk Orange“, aber insgesamt sind die Filme Kubricks Referenzen in der Filmhistorie. Das, was mit einem Film an inhaltlicher Tiefe und zugleich Massentauglichkeit möglich war, das realisierte Kubrick. Viele andere Regisseure orientierten sich an seinen Werken.
Kubrick: Herr über den fotografischen Zufall
In seinem fotografischen Werk hat Kubrick gelernt, die verschiedenen Seiten eines Themas zu beleuchten. Seine Bilder sind ausnahmslos, selbst wenn sie reportagehaft und zufällig wirken, kontrolliert gestaltet und suggestiv wie später seine Filme. Kubrick arbeitet viel mit Vordergrund/Hintergrund, schafft Spannung durch angeschnittene Motive und ordnet doch jedes Sujet zu höchster visueller Klarheit. Die Fotografie strotzt einerseits vor Understatement, andererseits bietet sie sensible Ansichten des Menschen, sie thematisiert Images und gegensätzliche Wirklichkeiten. Die Fotos wirken in ihren schlechtesten Momenten überinszeniert, gewollt und künstlich. Doch all dies ist durchdrungen von einem überaus starken gestalterischen Willen, dem sich das Thema unterordnen muss. Kubrick überlässt nichts dem Zufall und wenn doch, dann ist der Zufall Teil seiner Konzeption.
7 Responses to “Visionär Stanley Kubrick im Kunstforum Wien: Eine Reise in die Vergangenheit der filmischen Zukunft mit den Mitteln der Gegenwart”
Meiner Ansicht nach doch eine völlig überflüssige Ausstellung. Der Mann war doch Regisseur. Da war er gut.
Warum soll er nicht auch als Fotograf gut sein? Film und Foto sind doch verwandt.
Und selbst wenn sie es nicht wären, sollten denn alle Multitalente sich auf ein Talent beschränken?
Vielleicht ist ja auch die Frage, inwieweit das mehr so akademischen Charakter hat. Also nach dem Motto: Wenn Kubrick nicht so berühmt gewesen wäre, hätte ein Museum so eine Ausstellung organisiert? War er gut genug als Fotograf?
@Uwe Warst du in der Ausstellung?
@Petra @Ralf Kubrick ist eine Kulturfigur. Deshalb die Ausstellung. Als Fotograf ist er nicht berühmt geworden aber er war gut.
[…] Rahmen des digitalen Irrwitzes war ich schon etwas erstaunt. „Slide“ hat mich an die Bombe in „2001 Odyssee im Weltraum“ erinnert, nur sprechen kann es nicht, und beißen tut es übrigens auch (noch) nicht. ;-) […]
Man sieht eigentlich schon an den Bildern hier, dass er auch bei den Fotos Regie geführt hat. Man kann das zudem unter dem Label „Genese eines Künstlers“ betrachten. Denn auch ein Film besteht aus Bildern und Kibrick konnte damals als Fotograf fleissig üben.
[…] Tool basiert auf dem Buch und dem Film Shining. Der Roman Shining von Stephen King war von Stanley Kubrick verfilmt worden. Der Horrorstreifen von 1980 sorgte in verschiedener Hinsicht für Furore, obwohl der Film Stephen […]