Der Verkäufer im Tabakwarengeschäft hatte die Vitrine geöffnet und betrachtete die Zigarren mit ihren bunten Etiketten. Dann schloss er für einen kurzen Moment die Augen. Der Duft des Tabaks kroch langsam durch seine Nase, bevor er sich in seinem Kopf ausbreitete und sich in bestimmten Biegungen und Niederungen seines Hirns absetzte wie kalter Nebel an einem Sommertag.
Zielgerichtet griff er zu einem sündhaft teuren Einzelstück, das aufgebahrt in einer schmalen Holzschatulle lag, führte sie unter seine Nase und inhalierte tief. Der Duft dieser Zigarre war so wohlriechend, dass er fast zu intensiv für seine Sinne war.
Der Geruch von Tabak und der von gutem Kaffee waren für ihn unvergleichlich. Vorsichtig steckte er die Zigarre zurück in ihre Holzverpackung, schloss diese und legte sie in die Vitrine. Seine Finger brannten. Um sie zu kühlen, hielt er sie an sein Ohrläppchen, hatte er doch irgendwo mal gelesen, dass dies die kühlste Stelle am Körper sei. Es begann in seinem Ohr zu dröhnen. Nicht schon wieder dieser verdammte Tinnitus. Neuerdings bekam er den immer, wenn er sich nur in die Nähe des Schaufensters begab oder aber in der Nacht, wenn sein Geist Ruhe suchte. Nackte Füße trampelten im Takt auf seinem Trommelfell herum, brachten es zum Beben und ein melodiöser Singsang machte sich von dort aus auf in den letzten Winkel seines Körpers.
Dr. Zigian betrat, auf einen Zug wartend, im Bahnhofsgebäude das Tabakgeschäft, um eine Zigarre zu erwerben. Der Verkäufer registrierte mit geübtem Blick das feine Äußere seines Kunden und rieb sich innerlich die Hände, witterte er doch ein gutes Geschäft. Er öffnete die Vitrine, beugte sich hinein und nahm drei sehr teure Zigarren heraus, die nicht oft den Weg auf die Ladentheke fanden.
Dr. Zigian besah sich die Zigarren, roch daran und legte sie zurück in das mit rotem Samt ausgeschlagene hölzerne Kistchen. Er war viel in der Welt herum gekommen, kannte sich gut damit aus, unter welchen Bedingungen Zigarren produziert wurden und setzte einen angewiderten Gesichtsausdruck auf. Der Verkäufer erschrak. Etwas war nicht in Ordnung. Er hatte viele anspruchsvolle Kunden. Alle hatte er zufrieden gestellt. „Ich garantiere für die Qualität dieser Zigarren.“ Dr. Zigian schüttelte unwirsch den Kopf: „Diese da riecht nach Sklavenarbeit. Diese da nach Menschenverachtung und Ausbeutung. Und diese wirkt auf mich, als würden sich jegliche Menschenrechte in Rauch auflösen.“ Er verließ das Geschäft grußlos.
Der Verkäufer wollte die Zigarren zurück zur Vitrine legen. Er roch noch einmal an der geschlossenen Kiste. Ein Moment, der für ihn üblicherweise die Zeit anhielt. Doch ein Zucken durchfuhr seinen Körper, seine Füße begannen sich rhythmisch zu bewegen, fest trampelten sie auf dem Holzfußboden, aus seinem Mund kamen tieftraurige Laute, die ihre Bahn wie Rauch durch den Laden zogen. Seine Arme schnellten in die Höhe, die Zigarren fielen auf den Boden, schon mit dem nächsten Schritt hatte er sie zertrampelt.
One Response to “Dr. Zigian und die wehgane Zigarre”
[…] System Dr. Zigian und die 7. Persönlichkeit Dr. Zigian und der Scheitel der Bauchfelltrompete Dr. Zigian und die wehgane Zigarre Dr. Zigian und die Bedeutungslosigkeit Dr. Zigian und die […]