Über Geschmack läßt sich streiten. Stimmt das? Im Zeitalter der Relativierung und einer in Beliebigkeit abgleitenden Toleranz wird aus allem alles. Aus Falsch wird Richtig aus Schwarz Weiß. Bleibt noch die Frage: Gibt es Weiß oder Schwarz überhaupt? Oder sind das wahrnehmungstechnisch gesehen lediglich gesellschaftliche Vereinbarungen?
Das Zeitalter der Relativierung ist zugleich das Zeitalter des Grundsätzlich-in-frage-Stellens. Das geht so weit, dass überlegt wird, ob wir und unser Universum nicht Simulationen sind. Infrage stellen ist gut, wenn man daraus mit einer gefestigten Position hervorgeht, die flexibes Denken erst möglich macht, ohne dass die eigene Meinung purzelt wie ein Dominostein.
Das Ich als Trutzburg
Tatsächlich können relativierende Gedankengänge sinnvoll sein und positiv ausgedeutet zu einer Verortung des eigenen Seins, des eigenen Ichs beitragen. Dennoch sind Weltbilder und deren unterliegende Seinstheorien das eine, das andere ist das Leben, das – selbst wenn es Ausformung einer aberwitzigen Beliebigkeit wäre – sich den Erfordernissen des Alltags zu stellen hat.
Trash als Geschmacksverirrung
An diesem Punkt kommt die Frage des Geschmacks ins Spiel, dem oftmals ein Alles ist relativ beigeordnet wird. Über Geschmack ließe sich streiten, ist die landläufige Meinung. Was ist Geschmack in der Kunst beispielsweise? Die Frage ist schon deshalb nicht unberechtigt, weil Trash ja inzwischen ein etabliertes Thema der Kunst geworden ist, sogar eine Form, ein Inhalt und ein Motiv.
Was ist Geschmack?
Geschmack ist der Kultur-TÜV – eine Art Qualitätssiegel für Qualitätscontent, für sinnige Inhalte und innovative oder klassische Formen. Als geschmacklos gilt es, gesellschaftliche Vereinbarungen zu missachten. So betrachtet der Bourgeoisie den Punker formal als geschmacklos. Dabei hat Punk eine politische Dimension gehabt, die sich als Auflehnung gegen falsche Visionen und unsoziale Politik abseits von Katagorien wie Geschmack oder Geschmacklosigkeit bewegt hat. Was soll also adrette Kleidung angesichts gepflegter Unbarmherzigkeit auf dem Humus politischer Notwendigkeiten?
Geschmacksfragen und Wahrnehmung in der Kunst
Geschmack ist Wahrnehmungssache, die von Person zu Person variiert. So könnte man schnell zu dem Schluß kommen, alles sei relativ – wenn nicht eindeutig ein schickes Chanel-Kleid besser aussähe als ein Jogginganzug auf dem Abendempfang. Ebenso befördern populärkulturelle Motiviken, die je nachdem nichts oder alles aussagen, das Œuvre manchen Künstlers in die völlige Beliebigkeit. Hier könnte man einwenden, dass die Aussage eines Kunstwerkes sowieso völlig beliebig ist, weil sie nicht nur vom Schöpfer beeinflusst wird, sondern vom sie wahrnehmenden Rezipienten, dass die Aussage von Kunst eben doch relativ ist, und – je nachdem, wer sie ansieht – als trashig oder klassisch interpretiert werden kann.
Der Inhalt als Verhandlung mit der Wahrnehmbarkeit als Richter
Das ist zwar nicht falsch aber es ist unvollständig. Denn einen Künstler entbindet die Neu- und Uminterpretation seines Werkes durch sein Publikum nicht davon, eine Haltung und eine Meinung zu haben und auch nicht davon, etwas zu sagen zu haben, das heißt, nach Möglichkeit keine trivialen Inhalte zu vermitteln. Und auch nicht, die trivialen Inhalte als Kunstform zu stilisieren; denn das ist inzwischen sooft geschehen, dass es nichts Trivialeres mehr gibt, als künstlerisch verbrämte Trivialität. Ein Schaffender sollte zum Gegenstand seiner Betrachtung eine Haltung haben. In Analogie dazu sollte eine Gesellschaft sich Werte geben, die sie verkörpert und lebt. Denn Trivialität ist nicht nur langweilig, sie ist auch geschmacklos.
Körperwelten und Privatfernsehen: Geschmacklosigkeit als Sensation
Beispielsweise Leichen in den Körperwelten-Ausstellungen zu zeigen, bricht mit einem gesellschaftlichen Tabu. Unter einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt, könnte man die Ausstellungsserie für interessant halten. Wie mit den Leichen, deren Ausstellung von den Machern als künstlerisch dargeboten wird, umgegangen wird, wie also was gezeigt wird, kann als geschmacklos gelten. Dschungelcamp, Deutschland sucht den Superstar , Germany’s Next Top Model, Der Bachelor und anderes im Fernsehen, sind ebenfalls geschmacklos. Darüber zu streiten, ob oder ob das nicht so ist, wäre ebenfalls geschmacklos. ;-) Geschmack, positiv ausgedeutet und jenseits von Standesdünkel, ist ein Wahrnehmungsfilter, der sich an gesellschaftlich sinnvollen Werten orientieren sollte.
Tabubruch als Geschmacklosigkeit: Wer sagt, was relevant ist?
Und was ist mit dem Tabubruch als probates Mittel in der Kunst? Wenn Andy Warhol auf eine Metallplatte uriniert, der Urin sich dort einfrisst und das auf der Documenta ausgestellt wird – ist das nicht auch geschmacklos? Ja. Aber bei allem eindeutig Geschmacklosen gibt es auch Randbereiche des Ungefähren, in denen die Klassifizierung schwierig wird. Jedenfalls darf relevante Provokation geschmacklos sein. Aber wer sagt, was relevant ist? Niemand Bestimmtes. Was relevant ist, wird umkämpft sein. Was nur Scharlatanerie ist oder wertvolle Kunst, wo also Geschmacklosigkeit sinnvoll ist, das ist gesellschaftliche Vereinbarungssache, obwohl sich die Gesellschaft nie einigen wird. ;-)
Der Bachelor als Prototyp politischer Geschmacklosigkeit
Dabei gibt es nicht nur eine formale Dimension oder eine Benimm-Dimension sondern auch eine inhaltlich-politische. Wenn beispielsweise ein Fernsehsender in Der Bachelor zeigt, wie Frauen um die Gunst eines Mannes buhlen und sich dabei filmen lassen, ist das nicht nur voyeristisch vom Zuschauer und exhibitionistisch von den Reallity-Darstellern, sondern es definiert ein negatives Frauen-Selbstbild und hat somit das Gegenteil einer Vorbildfunktion. Geschmacklosigkeit und Entrechtung von Frauen gehen hier Hand in Hand. Und wie schön mag es für viele Zuschauer sein, mit anzusehen, wie aus vermeintlicher Dümmlichkeit eine gesellschaftspolitisch schädliche Botschaft entsteht – nie war es deutlicher, wie Geschmacklosigkeit und Verantwortungslosigkeit der Medienmacher Hand in Hand gehen und wie eindeutig schlecht sowas ist. Es ist nebenbei auch einfach geschmacklos.
One Response to “Der Bachelor gegen Goethe: Über Geschmack lässt sich nicht streiten”
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