Eines Tages entschied mich dazu, nicht mehr zu schlafen. Es war nicht, wie es vielleicht anmuten mag, eine große Entscheidung, die ich lange in mir bewegt hatte. Nein, es war mir einfach so in den Sinn gekommen, damit aufzuhören. Natürlich war mir deren Tragweite in diesem Moment keineswegs bewusst und auch was es für mich tatsächlich bedeuten würde, erfasste ich in diesem Moment nicht.
Alles, was ich sah, war die Möglichkeit, keinen einzigen Augenblick meines Lebens mehr zu verschlafen und das erschien mir überaus reizvoll. Mein Körper war bereit dazu, schien er doch den gesamten Schlaf, der ihm zu Lebzeiten zustehen sollte, bereits verbraucht zu haben. Und so war es nur die logische Konsequenz, dass er mir eines Tages genau diesen Gedanken schickte, nämlich wach zu sein. Für immer.
Ich war beglückt, voller Tatendrang ging ich ans Werk und räumte meine Wohnung um. Ein Schlafzimmer würde ich nicht mehr brauchen, nie mehr, und so richtete ich mir eine Bibliothek ein, für die ich bisher keinen Platz gehabt hatte und die ich mir immer gewünscht hatte. Ich stöberte auf Flohmärkten, war Stammgast bei Haushaltsauflösungen und verbrachte Stunden in Antiquariaten. Kein Wort, kein Reim sollte nicht von mir gelesen sein. Als die Nachbarin starb, schenkten mir ihre Kinder, als sie ihre Wohnung ausräumten, einen großen Ohrensessel aus rotem Samt. Den stellte ich in meinen Leseraum, er umarmte und hielt mich, wenn mich eine Geschichte zu Tränen rührte. Ich schloß einen 10-Jahres-Vertrag in einem Fitnessstudio ab, das rund um die Uhr geöffnet hatte. Dort würde ich meinen Körper trimmen und quälen. Ich beantragte eine Kreditkarte, die in meinem bisherigen Leben keine Rolle gespielt hatte, damit ich beim nächtlichen Zappen durch Shopping-Kanäle erbarmungslos zuschlagen konnte.
Im großen und ganzen tut das Wachsein mir gut. Es ist keineswegs so, dass ich dunkle Ringe unter den Augen habe. Meine Haut ist rosig und vielleicht sogar ein bisschen braun gebrannter als früher, und es geht nun schon seit einigen Jahren so.
Ich hatte nur nicht bedacht, dass mir das Träumen so fehlen würde.