Nicht enden wollende Ausdauer oder kurze Focussierungs-Eruptionen? Bei der Einschätzung von Kunst geht es oft um deren Bewertung, um formale, inhaltliche oder politische Relevanz oder darum, wie zeitgemäß Kunst ist. Es geht um die Qualität des Kunstkonzeptes oder auch um die der technischen Ausführung. Welche Rolle spielt bei alledem die Zeit?
Letztlich ist die Bildende Kunst ein evolutionärer Prozess der Ausdrucksformen. Es geht innerhalb der Kunstzirkel und Kunstkenner auch um die Selbstreferentialität von Kunst, also darum, ob ein Künstler dem evolutionären Prozess etwas hinzufügen kann, das zum Zeitpunkt des Entstehens innerhalb der Kunstwelt neu erscheint. Dabei kann aber zum Beispiel die Wiederholung von etwas Vorhandenem innerhalb eines neuen Wirkzusammenhangs dennoch neu sein.
Gibt der Künstler Antworten auf drängende Fragen?
Oft ist das Wirken eines Künstlers aber nicht nur anhand solcher Kriterien zu beurteilen, sondern anhand seines Oeuvres auf der Zeitachse. Das heißt: Hat sich seine Kunst entwickelt? Hat er das oder die gewählten Themen, die er bearbeitet hat, durchdrungen und so beispielsweise als Maler ganz eigene originelle Bildwelten geschaffen? Hat er dem Gegenstand seiner Betrachtung etwas hinzugefügt, das so noch nicht da war? Hat er Antworten auf Zeitfragen gegeben? Und wie hat sich all dies in seinem Wirken entwickelt?
One-Hit-Wonder oder Ewigkeitsanspruch?
Aus der Unterhaltungsindustrie bzw. der Musikbranche, in der sich die Vortragenden auch „Künstler“ nennen, kennt man den Begriff des „One-Hit-Wonder“ – jemand, der ein erfolgreiches Lied veröffentlicht hat und ein Leben lang damit verbunden wird. Das „One-Hit-Wonder“ ist keine künstlerische sondern eine ökonomische Kategorie. Sie enthält aber außerdem eine zeitliche Verortung: Jemand hat zu einem bestimmten Zeitpunkt große Energie aufgewendet und dort einmalig etwas kommerziell Erfolgreiches geschaffen. Ein Bildender Künstler würde aber in der Regel nicht wahrgenommen werden, wenn er lediglich ein relevantes Bild gemalt hätte. Was zählt ist immer sein umfassender Lebensbeitrag als ganzer. Zum Teil auch deshalb, weil das Medium „Ausstellung“ einer gewissen Anzahl an Exponaten bedarf, weil das Werk eines Künstlers nur seriell monetär ausschlachtbar denkbar ist – und inhaltlich deshalb, weil für komplexe Botschaften nicht ein Werk reicht.
Wie sehr überfordert und verausgabt sich die Künstlerin?
Man kennt es von Bildenden Künstlern, dass sie in ihrer jugendlichen Phase den relevanten Teil ihres Werkes geschaffen haben, um sich danach selbst zu paraphrasieren und zu wiederholen. Das Künstlerdasein ist ein Langstreckenlauf, keine Kurzstrecke. Gerade obsessive Persönlichkeiten neigen aber dazu, sich in einer kurzen Zeit zu verausgaben.
Muss ein Künstler mit langem Atem besonders heftig hecheln?
Die österreichische Autorin und Literatur-Nobelpreis-Trägerin Elfriede Jelinek hat das Schreiben eines Romanes als unerhörten Kraftaufwand beschrieben, von dem sie in vorgerücktem Alter unsicher war, ob sie ihn noch aufbringen könne. Der deutsche Kammersänger und Wagner-Tenor René Kollo hat in einem Interview gesagt, dass es immer weniger Sänger gäbe, die in der Lage wären, einige Stunden lang auf der Bühne zu stehen und zu singen – weil dies ein Kraftaufwand wäre, der Durchhaltevermögen voraussetze.
Sind Intervalle in der Kunst eine Falle?
Die Voraussetzung dafür, Künstler/In zu sein, ist ein beträchtlicher Energieaufwand. Kunst ist nur auf längere Distanzen überhaupt in ihrer Relevanz wahrnehmbar und zu beurteilen. Kunst braucht die Zeit, um wachsen und sich entwickeln zu können. Punktuelles Arbeiten, lediglich ein Bild, eine Plastik, ein Film sind nicht genug. Es geht um das eine Thematik bearbeitende Serielle. Das ist ein andauernder Kräfte zehrender Langlauf. Schöpferische Intervalle sind Momentaufnahmen auf der Strecke der Ewigkeit.
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