Augenschmerzen

Erschreckt vom Gewimmel der Stadt, es gibt gute Gründe, niemanden anzusehen. Die verwilderten Wesen greifen nach meiner Seele. Es gibt auch gute Gründe, sich einzusperren und nie wieder zu bewegen. So verlässt man den Kreislauf der Schmerzen. Ich aber habe Hunger. Die Nachbarn klopfen, der Geheimcode für mich nicht zu entschlüsseln, jeder weiß doch, dass sie nur die Mauern anrufen, endlose Gebete, Papiere in die Ritzen stecken mit aufgeschriebenen Bitten an die Götter der Inneneinrichtung.

Weit über dem Friedhof der Dinge schwebend, sieht grau aus, was von Nahem so bunt war. Und ein Priester betritt das gesperrte Gebiet, schneidet aus filzartigem Untergrund eine Bahn heraus, schiebt seinen Krummstab darunter. Er stellt sich gebückt unter das spitz zulaufende Dach des Filzzelts – nun ein sakraler Raum – und opfert etwas von seinem Blut der Erde, die schreit erstickt.

Mit den Nägeln Muster in Tierfelle ritzen. Darin schlafen. Sackartige Mäntel nähen. Sich darunter verbergen. Es regnet. Die Scheiben der Straßenbahn sind beschlagen. Meine Jacke riecht wie eine feuchte Katze, unförmig beult sie sich. Abwinken.

Ah, du Straße, an der sich jene Haltestelle verbirgt, welch Mauern dich zieren, rundlich, wie das Bett eines Flusses, auf dessen Boden ich gehe und ich bin kein Fisch. Da oben auf den Stegen zwischen den Kanälen regnet es. Jemand wird nass. Bächlein aus den Haaren. Das Spiegelbild auf der Wasseroberfläche von Tropfen zerrissen. Klasse Wetter zum Angeln. Ach, das wäre zu einfach.

Besuchen. Sich falten auf einem Stuhl. Die Dinge beginnen zu sprechen, lassen ein brausendes Schweigen im Raum entstehen, über den Stimmen. Meine eigene Stimme zittert, als fühlte sie sich im Hals noch am besten. Was bildete ich mir ein, denken zu können? Schwätzen. Urteile wie falsche Pässe zu täuschend echter Nestwärme. Die Finger zum Schwur erhoben in die Schläfen bohren.

Nachts durch Straßen irren. Orte aufsuchen, wo jene sind, die sich bewegen müssen. Zusehen. Zwanghafte Bewegung unter den Schlägen des Rhythmus. Warten, während das Dunkel alt wird. Und selbst ergrauen.

Dann steige ich in einen Brunnen der Stadt. Noch ist es dunkel und leer. Die Felle liegen als schmutziges Knäuel auf dem Boden, darin klebrig mein Herz. Ich hebe den welken Körper ins Wasser, tauche. Ein Priester geht vorbei, zündet sich eine Zigarette an und der Schein des Benzinfeuerzeugs erhellt die Schatten auf verlorengegangenen Mauern verlorengegangener Häuser. Noch mit der Glut im Gesicht, sehen wir uns an, ein Sakrileg. Ich versuche den Ausdruck zu ändern, dreinzuschauen wie eine Kuh. Der Mond beginnt zu rollen, langsam erst, dann schneller. Durch die Straßen der Stadt, deren Mauern zusammenlaufen gegen unendlich. Schnell den nassen Leib in die Felle hüllen und dem Mond hinterher. In staubiger Ferne geht purpurn die Sonne auf.

Wenn ich Musik höre, muss ich heulen, peinlich, wie ein kleines Kind, mit aufgeschürften Knien, weil es mich an die eigene Stimme erinnert, die ersatzlos versiegt ist.

Hinter der Betonbrücke steht ein leeres Haus. Sich vervielfachend tritt der Priester die Tür ein. Sie gehen die Treppe hoch, sie saufen mit den Verurteilten. Sie werfen das fettige Haar zurück und stoßen an. Die Priester räuchern. Sie holen Trommeln und Flöten aus ihren Reisebeuteln. Töne wirbeln um sie in bunten Spiralen. Derweil färbt sich vor den Fenstern das Efeu langsam dunkelrot, die Sonne geht unter und wieder auf wie ein sehr langsames Jo-Jo. Die Priester sitzen am Tisch und ersprechen sich, überall liegt das Ersprochene. Sie wischen sich die Münder mit großkarierten Taschentüchern. Die Liturgie schreibt Rot vor. Der erste Priester schlägt mit der Stirn die Tür des Küchenschranks ein, er holt das Brotmesser heraus und das Vogelzwitschern draußen vor dem Fenster beginnt im Adrenalin zu leiern.

Er wird alles zurückgeben.