Stellen wir uns vor, dass irgendwann einmal vor vielen Jahren ein Mann zum ersten Mal die Vorstellung hatte, dass ihm eine grundsätzlich unbekleidete Frau gegenübersteht, die nur einen Pelz anhatte, der spärlich von einem einzigen Knopf zugehalten wurde. Nehmen wir weiter an, dass diese Vorstellung viele andere Männer begeisterte. Gehen wir so weit, dass diese Vorstellung grundsätzliche Wünsche vieler oder sogar sehr vieler Männer berührte.
Geschichten erzählen: Eine Imagination zieht ihre Kreise
Der Mann erzählt seine Vorstellung und sie wird weiter erzählt. Die Vorstellung zieht Kreise. Viele Erzähler modifiziern diese Vorstellung, fügen ihre eigene Vorstellungswelt hinzu. Im Laufe der Zeit entsteht eine archetypische, glatt geschliffene imaginative Erzählung, die das enthält, was die meisten männlichen Zuhörer gut finden. Denn nur, wenn sie möglichst vielen sehr gefällt, wird sie von möglichst vielen weitererzählt und potenziert sich wie ein Kettenbrief. Nur dann.
Mündliche Überlieferung: Erzählvarianten per Mundpropaganda
Es kann auch sein, dass es rund um die Grundvorstellung herum verschiedene Erzählvarianten gibt, die parallel existieren und ein unterschiedliches Publikum finden. Aber: Bis hierhin ist alles nur erzähltes Wort, Geschichten in Kurzform, vielleicht als Anekdote oder Witz verpackt, vielleicht aber auch in einem ernsthaften Gespräch als sexuelle oder in züchtiger Form erotische Phantasie einem Freund offenbart.
Groschenromane und Bildende Kunst: Grund-Erzählmotive als Kulturgut
Dann zieht dieses Grundmotiv solche Kreise, dass es Eingang in den kulturellen Grundvorrat an Erzählmotiven findet. Früher hätte man vielleicht gesagt: Es wird künstlerisch oder unterhaltsam z.B. in einem Groschenroman verarbeitet. Künstlerisch könnte bedeutet beispielsweise, ein Maler malt diese Frau in einem Ölbild. Ein Schriftsteller schreibt die Novelle, „Die Frau im Pelz“ oder ein Lyriker verfasst das Gedicht „Pelzkartoffeln“. Wie auch immer.
Manifestation der Phantasie: Von der Vorstellung zur Realität
Doch heute kommt zum Eingang einer solchen Geschichte in die Kultur einer Gesellschaft der Massenaspekt hinzu, das Aufarbeiten von archetypischen Motiviken durch massenmediale Vermittlungsformen: Es werden Filme gedreht, Comics gezeichnet, Fernsehserien inszeniert oder Buchtriologien geschrieben. Die Vorstellung, solchermaßen schon konkreter geworden, dringt in immer mehr Köpfe, vermengt sich mit deren Vorstellungswelten, bis… ja, bis tatsächlich reale Frauen reale Pelze anziehen und nichts darunter tragen, um männliche Vorstellungsklischees zu bedienen. Die Vorstellung ist plötzlich real geworden und wird nicht mehr reflektiert.
Halbwertszeit des Konkreten: Nur das Unerreichbare bleibt ewig spannend
Aber der Reiz einer Vorstellung ist, dass man ihre Realisierung nicht erreichen kann, dass sie nicht verwirklicht wird. Nur deshalb ist sie so phantastisch und reizt so sehr die Assoziationen. Etwas, das man haben kann, ist nicht mehr spannend, wenn es da und vorhanden ist, selbst schon wenn es ganz konkret ist. Das Konkrete verliert alle Spannung, alle Mystik, alles Interessante. Das konkret Vorhandene hat so dummerweise eine vergleichsweise kurze Halbwertszeit.
One Response to “Massenmediale Wirkung: Warum die Manifestation kollektiver Imaginationen zu deren Auflösung führt”
[…] Massenmediale Wirkung: Warum die Manifestation kollektiver Imaginationen zu deren Vernichtung führt … endoplast […]