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Tagebuch 27.09.2013: Über SuperheldInnen, Politiker, Nerds und Geheimidentitäten

Sie haben es in der Hand. Peer Steinbrück.

Früher habe ich Superhelden-Comics gelesen. Als Junge gehörte das damals so dazu. Ich fand das gut, aber über eine Frage habe ich mir damals den Kopf zerbrochen und keine Antwort gefunden: Warum waren die Geschichten so angelegt, dass der Superheld grundsätzlich eine Geheimidentität haben musste, also etwas, was in seinem Leben wie eine immer währende Lüge auftauchen musste?

Dramaturgisch sicher verständlich, weil das die Geschichten komplexer und damit spannender machte, weil zwischen dem realen Superhelden-Dasein und der Geheim-Identität stets ein Spannungsfeld entstand: es ging um Gehemniskrämerei, um Entdecktwerden und Heimlichtuerei, um Schutzbehauptungen und politische Unkorrektheiten – um der Öffentlichkeit die Wahrheit vorzuenthalten. Ein Thema, mit dem wir dieser Tage im Falle der Totalüberwachung durch britische und amerikanische Geheimdienste auch wieder ganz real zu tun haben. Denn immer, wenn Bürger ihre verbrieften Rechte einfordern, wird etwas ins Feld geführt, über das man angeblich nicht reden darf.

Inzwischen ist mir aber klar geworden, warum es in Comics und danach auch in Kino-Filmen oder Fernseh-Serien diese Geheimidentitäten gibt und warum sie so wichtig und erzählerisch auch erfolgreich sind: Weil sie den Charakter des traumweltverliebten männlichen Lesers spiegeln. Er, der auf die Comics so anspringt, weil er sich mit dem Superhelden identifieziert und infiziert, indem er innerlich Eins wird mit ihm und am Ende nicht mehr wirklich unterscheiden kann, wenn er die Geschichten liest und ansieht, ob er nicht selbst sogar der Superheld ist.

Das baut auf und stärkt die Unsicherheit. Der junge männliche Leser muss dabei imaginieren, dass er in der wirklichen Welt mehr ist, als ihm viele zutrauen. Und so wird die Geheimidentität übernommen ins eighen Ich, als Deckmantel für die eigene Unzulänglichkeit, als Symbol dafür, dass man permanent unterschätzt wird. Die Geheimidentität ist wie ein dicker Pelz, der einen davor bewahrt, mithalten zu müssen in der harten Welt, gut auszusehen oder intelligent zu sein oder ein guter Sportler zu sein. All das ist man zwar – aber nur insgeheim, verdeckt von der Geheimidentität, man muss es der Welt nicht mehr zeigen und es genügt, wenn man selbst weiß, wie toll man ist.

Superhelden, also Menschen mit besonderen Fähigkeiten und Geheimidentitäten, handeln in ihrem Zusammenwirken aus Macht und gespielter Ohnmacht, aus Omnipotenz und Größenwahn auf der einen Seite und dem Zurschaustellen der eigenen Unfähigkeit, von einem Spiel um Wahrheit und Unwahrheit, von Können und Nichtskönnertum. Das Spiel mit der Geheimidentität hat etwas von einem strategischen Theater, denn es kommt auf die richtige Ökonomie an. Seelig der, der allmächtig ist, von dem aber niemand weiß, dass er es ist. Das erinnert ein bißchen an Georg W. Bush und Dick Cheney. Denn während George W. Bush der vorletzte gewählte Präsident der Vereinigten Staaten war, soll angeblich die Fäden der Macht sein Vizepräsident Dick Cheney in Händen gehalten haben, sollen sich Staatsoberhäupter bei ihm getroffen haben, während George W. Bush mit seinem Cowboyhut ins Wochenende fuhr.

Jedoch wäre Dick Cheney in den USA unwählbar gewesen. Warum? Wegen seiner politischen Überzeugungen? Weil er zu links oder zu rechts gewesen wäre? Weil er in strittigen Fragen unbequeme Positionen vertreten hätte? Nichts von alledem. Vielmehr: Weil er nicht telegen genug war, weil er eine Stirnglatze hat. Zu wenig Haare. Jemand, der Präsident der Vereinigten Staaten sein will, muss vor allem im Fernsehen gut aussehen, wie ein Filmschauspieler. Und vielleicht hat er noch eine Geheimidentität, aber unter Umstzänden ganz anders, als man denken mag. Vielleicht nämlich verbirgt sich dahinter nicht ein Superheld, sondern ein Superschurke oder ein Nichtskönner. Wer mag das schon erahnen?

Von der Politik in den USA kann man ganz einfach einen Sprung in die bundesdeutsche Politik vollführen. Helmut Kaohl hatte in seiner langen Amtszeit das „Aussitzen“ zur Blüte geführt. Das ist ein inaktives Nichtbehandeln drängender Probleme auf sehr unterschiedliche Art: Es entweder totschweigen oder kleinreden oder nur so tun, als würde man sich des Problemes annehmen, bis der Mantel des Schweigens drüber gedeckt und es vor allem aus den unliebsamen Medien verschwunden ist. Angela Merkel steht in dieser Tradition. Probleme erledigen sich entweder von selbst, indem andere etwas tun oder sie relativieren, dass wir ja so schlecht nicht dastehen und dass man nicht alles schlechtreden soll.

Hinter der einfühlsamen Rednerin, die für alles ein offenes Ohr zu haben scheint, verbirgt sich eine harte Machtpolitikerin á la Maggie Thatcher, die weiß, dass die beste Methode schon rein mathematisch und wählermengermässig ist, nicht anzuecken. Anstatt eine klare Meinung zu vertreten, mit der sie Rückgrat beweisen würde, mit der sie aber auch potenzielle Wähler verärgern könnte, geht sie in der Regel den Weg des geringsten Widerstandes – nach außen hin. Denn parteiintern weiß man um ihr Machtbewusstsein und ihre Härte. Angela Merkel hat die Geheimidentität einer Art politischer Sozialarbeiterin angenommen, dahinter mag sich eine zähnefletschende Polit-Wölfin verbergen.

Letztlich fällt einem beim Them „Geheimidentität“aber auch noch der Nerd ein, dünn, bebrillt, leicht katatonisch oder endoplasmatisch, jedenfalls angesiedelt in der Nähe zum Autismus, der auf einem Sozialen Netzwerk unterwegs ist, mit falschem Namen und falschem Foto, der virtuell mit Frauen flirtet, obwohl er das im echten Leben nur schwer hinkriegt. Der radikal und mutig ist, aber nur online und nur wenn er niemandem direkt entgegen treten muss. Und er liest Superhelden-Comics und merkt nicht, dass er tatsächlich nur Peter Parker ist und bleibt und niemals „Spiderman“/„Die Spinne“, sein wird.

Aber der Ausblick darauf macht Hoffnung, wie der Ausblick auf eine bessere Politik viele wieder Merkel wählen ließ, die Frau mit den zwei Gesichtern. Im Batman-Comic heisst ein Schurke „Twoface“, weil sein Gesicht wie eine Medaille zwei Seiten hat. Wenn man ihn von der einen Seite sieht, wirkt er ganz normal, doch die andere Seite ist hässlich und entstellt von einem Unfall. Auf den ersten Blick, bringt man die beiden Seiten nicht zusammen. Doch sie sind da.

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