Ein Abstecher zur 24. Zappanale
Das Fahrrad sicher verzurrt, das Zelt auf die Pritsche des Kleinlasters geschmissen und ab geht es Richtung Bad Doberan. Bad Doberan ist ein Niedlichkeits-Nest mit eigener Dampflock-Anbindung ans Meer, oben in Mecklenburg-Vorpommern, in direkter Nachbarstadt richtiger Ostsee-Anlieger-Städte und Austragungsort der nunmehr vierundzwanzigsten Zappanale.
Als Zappanale firmiert ein Festival, auf dem die Musik des 1993 verstorbenen amerikanischen Komponisten, Produzenten und Musikers Frank Zappa von verschiedenen Bands aufgeführt wird. Auf dem Musik im Geiste von Frank Zappa gespielt wird. Auf dem Musik von ehemaligen Mitmusikern Frank Zappas dargeboten wird.
Was war doch gleich mein Job?
Auf dem Hinweg frage ich mich, wie die Musik des Festivals zu beschreiben sei, wenn alle Zappa spielen. Diese Band spielt zappaesk, die andere aber irgendwie auch? Das eine klingt nach den Mothers, das andere mehr nach Zappas vierter Band? Werde ich als Gelegenheits-Zappa-Hörer die richtigen Worte finden für ein Event, auf dem jeder Besucher ein ausgewiesener Intimkenner sein wird?
Mitten in der Nacht erkunden wir uns in Bad Doberan nach dem Weg zum Festivalgelände. Der einzig belebte Ort ist zu dieser Zeit eine von bärtigen Männern bevölkerte Kneipe, die sich als die Zentrale der ARF-Society e.V. herausstellt, dem Veranstalter der Zappanale. Auf einem Schild ist zu lesen, dass das Lokal „gegen Abend“ öffnet. Die Zappanalianer gehen es entspannt an.
Das Festival breitet sich mit zwei Bühnen auf dem Gelände der Galopprennbahn aus. Es gibt genügend Platz zum Parken und zelten.
Wir besiegen einige organisatorische Hürden durch freundliche Kooperation mit überfordertem Personal und schaffen es, zu Dangerous Kitchen eingelassen zu werden, einer Frank Zappa Tribute Band aus dem Ruhrgebiet in einer Besetzung, wie sie so ähnlich noch öfter auf dem Festival zu sehen sein wird. Zu den Rockmusik-typischen Instrumenten Gesang, Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug gesellen sich Vibraphone, Marimbaphone und einige Blasinstrumente. Vibraphone oder Marimbaphone, das werde ich noch feststellen, finden sich hier so häufig wie auf keinem anderen Rockfestival in Deutschen Landen.
Ja, so in dieser Art hat Zappa geklungen. Ich vermerke: Historische Aufführungspraxis, man nimmt die Sache ernst, auch den Humor in der Musik des Meisters. Mangels Kennerschaft ist es mir nicht möglich, eventuelle Abweichungen zu Zappas Aufnahmen auszumachen.
Sebkha-Chott Galoot Formula Plays Frank Zappa´s Thing-Fish.
Höhepunkt des ersten Abends ist eine Aufführung von Thing-Fish, einem absurden „Broadway Theaterstück mit pornografischen Inhalten“, das nie durch Zappa selbst aufgeführt wurde. Das gleichnamige Album (3 LPs) galt als Cast-Recording für eine geplante Aufführung, die jedoch erst 10 Jahre nach seinem Tod stattfinden sollte. Jenseits des Broadways, versteht sich.
Der Inhalt lässt sich nur in Schlaglichtern beschreiben: Einige nette Leute schauen ein Broadwaystück an, in dem sich Leute über ein Gift unterhalten, das Schwarze und Schwule killen soll. AIDS spielt eine Rolle. Emanzen können sich nun mittels ihrer Brieftaschen selbst erzeugen. Zum Thing-Fish, einer Kreuzung aus Kartoffel und Donald Duck, wird man mittels einer durch die Regierung in geheimen unterirdischen Labors verabreichten Mixtur. Aber nur, wenn man vorher schon gemein und hässlich war.
Die musikalisch live begleitete Darbietung ist visuell – mit Masken, Grafiken, Videoprojektionen und Marionettentheater – überwältigend, verwirrend, schillernd.
Laut Programmheft soll Drummer Wladimir Ohrelianov Il nicht nur der größte Künstler der Absurdität sein, sondern auch der größte Porno-Produzent, der jemals gelebt hat. Diese Behauptung abzusichern bedarf es in den nächsten Tagen einer Recherche in der Videothek meines Vertrauens.
Urlaubsstimmung
Vormittags vor Beginn des Programms ist genug Zeit, sich am Ostseestrand im 15 Radminuten entfernten Heiligendamm die weiße Haut verbrennen zu lassen im Wettstreit Sonnenschutzfaktor 50+ gegen bratende Sonne.
Die headbangenden Coogans Bluff – nach dem zappafreien Film mit Clint Eastwood benannt -rocken als erste die Hauptbühne. Die langhaarigen, seit 2003 zusammen musizierenden Herren könnten direkt aus den 60ern stammen. So klingt auch ihre Musik, mit einer Prise 70iger und etwas Stoner-Rock, etwas Blues und Rock´n´Roll.
Aus Japan reiste Kazutoki Umeza mit seiner KIKI Band an. Als Doctor Umeza hat er schon in den 80igern das Publikum des Moers Festival mit humorvollem Free-Jazz umgehauen, als alle anderen den Free-Jazz bereits als historische Epoche abgetan hatten. Hier spielt er mit expressivem, avantgardistischem Jazz-Rock auf. Alles Eigenkompositionen, nichts von Zappa. Bassist Takeharu Hayakawa legt ein fettes, häufig mehrstimmiges Fundament. Joe Trump, u.a. bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Eliott Sharp, trommelt durch originellen Einsatz seiner Toms einen eigenwilligen Beat zusammen. Virtuos und eher technisch orientiert: Gitarrist Natsuki Kido. Ich wage es kaum zu sagen: Das wird trotz starker Konkurrenz mein Zappanale-Lieblingskonzert.
Does Humor Belong in Music?
Die schräge Zappa-Musik weiter zu verschrägen schaffen Polka-Streng aus Österreich mit tanzbaren Polka-Interpretationen des Meisters. Nach eigenen Worten verneigen sie sich „vor Frank Zappa, dem größten Förderer der böhmischen Polka in der nichtklassischen Rockmusik“. Mit – mutmasslich – erfundenen Anekdoten zwischen den Stücken dichten sie die Zappa-Historie auf humorvolle, sympathische Weise zu einer tschechoslowakischen Erlebnisreise um. Was weniger irre klingt, wenn man sich erinnert, dass Zappa unter Václav Havel Kulturattaché der Tschechoslowakei war. Wenn auch nur kurz aufgrund der Intervention der konservativen Regierung in Washington.
Ein Besucher merkt an: „Solange solche Irren hierherkommen, ist das Festival noch in Ordnung.“ Der Zappanalianer schätzt es also, wenn die historische Aufführungspraxis frech durchbrochen wird.
Anschliessend findet sich auf der Hauptbühne Banned from Utopia ein. Heldenverehrung wird auf dem Festival großgeschrieben. Jeder Ex-Zappa-Musiker, der in einer der Festival-Bands spielt, wird als spezielles Juwel hervorgehoben, besonders verehrt. Mit Banned from Utopia tritt eine Formation an, die seit 1994 in wechselnden Besetzungen ausschließlich mit Ex-Zappa-Musikern besetzt ist. Für das Festival eine Sensation. Die Besucher zücken reihenweise ihre Asthmasprays und fummeln nervös in ihren Herzkreislaufpillendöschen um nicht in Ohnmacht zu fallen. Banned from Utopia versprechen authentischen Zappa, wenngleich sie Eigenkompositionen untermischen.
Von allen Bands spielen sie die gediegenste Variante des Zappa-Zeugs. Fast schon eine Art Launch-Version des Anti-Bürgertumrocks. So rund und geschlossen hat der Meister selbst wohl nie geklungen. Zappa, meine ich, hatte immer etwas sperriges, raues. Um der Heldenverehrung zu genügen, hier die Namen der diesjährigen Banned (in Klammern die im Programmheft vermerkten Zappa-Wirkjahre, wie es sich für eine penible Heldenverehrung gehört):
Tom Fowler (72-76)
Ralph Humphrey (72-74)
Ed Mann (76-80, 81-83, 87-88)
Ray White (76-77, 80, 81-82, 84)
Robert Martin (81-82, 84, 87-88)
Albert Quon Wing (87-88)
Den Ausklang lange nach Mitternacht geben The Z Three, ein Orgeltrio aus USA um Organist Beau Sasser, die noch mal richtig losrocken. Mit Zappastücken, versteht sich.
Der Sonntagmittag gehört, da sind wir bürgerlich, der Kultur. Was gäbe es da passenderes als die Zappa-Single-Ausstellung in Bad Doberan, dem Niedlichkeits-Nest, in dem sich prima frühstücken lässt. Die Single-Ausstellung zeigt schön ordentlich nebeneinander, historisch sortiert Singles (die 7-Zölligen schwarzen Schallplatten) von Frank Zappa, oft in verschiedenen Pressungen (DJ-Verison etc.). Dazu von Zappa produzierte Singles anderer Musiker. Der Enthusiast darf passend dazu ein 500-seitiges Buch von Dieter Jakobus erwerben: „Vinyl Is Not Dead, It Just Smells Funny“. Die Total-Bedienung in Sachen Zapppa-Singles. Für mich ein beeindruckendes, beinahe heiliges Dokument des Wahnsinns, den wahre Sammelleidenschaft unter die Menschen bringen kann.
Im zweiten Ausstellungsraum zeigt der Künstler Helmut King seine Bilder und Skulpturen. Ergänzt wird das ganze durch einen interessanten, langen Vortrag von Frank Wonneberg zur Geschichte des Vinyl, den ich mir sparre. Teilnehmer berichten, dass er sehr erhellend und detailverliebt gewesen sein soll. Ich vermerke: Der Zappanaliander huldigt dem vergangenen Surrounding. Ob Wehmut mit im Spiel ist?
All You Can Eat
Anschliessend gönnen wir uns Fisch „All You Can Eat“ in Kühlungsborn bei Peter Klatt, der im Geiste echten Unternehmertums wirkungsvolle Werbeflyer auf dem Festival verteilt hat. Das führt uns radelnd in die übernächste Stadt, wieder einem echten Ostsee-Anlieger, weshalb wir die ersten sonntäglichen Programmpunkte verpassen. Auch die „Überraschung vom Chef“ auf der kleinen Mystery-Stage. Ich frage andere Besucher, was es nun war, diese Überraschung. Aber jeder, den ich ausquetschen will, stellt sich dumm. Ich vermute eine Verschwörung. Die Zappanale nimmt man ernst oder man gehört nicht dazu. Wer den Chef ignoriert, bekommt die kalte Schulter gezeigt.
Pojama People müssen ohne Ike Willis, auskommen. Ike Willis, „The Voice of Thing-Fish“ – Achtung: Heldenverehrung – durfte aufgrund eines abgelaufenen Passes nicht einreisen. Was dazu führte, dass die amerikanischen Musiker mehrerer Bands auf diesem Festival zusätzlich zu dem ihnen schon bekannten deutschen Wort „Lederhosen“ ein neues gelernt haben: „Passport“ und launig darüber spotten.
Pojama People sind eine Zappa-Tribute-Band, deren Spielfreude augenblicklich auf das Publikum überspringt. Zu keinem Zeitpunkt erwecken sie den Eindruck, jemand würde in ihren Reihen fehlen.
Ich selbst bin jetzt auf der Zappanale angekommen, fühle die Rhythmuswechsel Zappas, bin in den Melodien zuhause. Ich bin eins geworden mit dem Festival.
In der anschließenden Session schmeißen sich die Festivalmusiker von Pojama People, Banned from Utopia mit Kazutoki Umezu zusammen zu einem weiteren, launigen Höhepunkt. Sogar ein Gitarrenverstärker raucht ab. So muss handgemachte Rockmusik sein.
Als Rausschmeisser hält das norddeutsche „Jazzprojekt Hundehagen“ her, das in den Vorjahren das Festival eröffnete. Es spielt Zappa und Zappa-ähnliches. Nur keinen Jazz. Aber Zappas Musik war ja schon immer so eine Art Jazz für Leute, die keinen Jazz mögen.
Mein Fazit: die Mischung aus Ostseestrand, frischen Matjesbrötchen und großartiger Musik ist einmalig und lohnt die Reise allemal. Kaum je findet sich ein so entspanntes Publikum. Die Zappanale-Besucher – zumeist gestandene Damen und Herren, vereinzelt (selbstproduziertes) Jungvolk, dazwischen eine Alters-Lücke – ruhen in sich. Sie haben ihren Standpunkt, ihre entschiedene Stimme in der mit Möglichkeiten vollgestopften Welt der Postmoderne. Beliebigkeit ist nicht ihr Ding. Zappanale-Besucher sind fest geerdet in der Welt der Bedeutungen und genießen drei Tage lang die wunderbare Vielseitigkeit, den Humor und die Absurdität des Zappa-Kosmos als das Geschenk, das es ist.
Nächstes Jahr gerne wieder.