Der Rittmeister hatte immer gesagt, eine gerade Körperhalte passe zu einem aufrechten, charakterstarken Menschen. „Der Rittmeister“ war nicht ernst gemeint, es war ein alter Nachbar mit militärischem Hintergrund, den wir so genannt hatten.
Ich muss gerade daran denken, wie er das damals gesagt hat – 30 Jahre ist das jetzt her. Ich sitze gerade in einem überschaubaren Raum mit kleinen Tischen und Stühlen. Den Raum nennen wir scherzend „Das Aquarium“ – ein bis auf eine Wand fast vollständig verglaster Raucherbereich, eine Mischung aus Eisdiele und Café. Rechts hinten ein Zweiertisch. Daran zwei Männer zwischen 30 und 40, dunkel und einfach gekleidet, südländische Typen. Früher hätten sie die Mädchen am Nebentisch angesehen, jetzt aber sitzen sie mit rund gebogenen Rücken auf ihren Stühlen und blicken auf die Displays ihrer Handys. Sie schweigen sich an, starren wie erstarrt, wie gelähmt, offenbar hoch konzentriert.
Die beiden Mädchen: 17 oder 18 Jahre alt. Sie kleben mit ihren Nasen fast an ihren Handys, noch tiefer runter gebeugt als die beiden Männer. Sie blicken nach unten, aber gar nicht verschämt, konzentriert auf eine andere Welt, soziale Netzwerke, Jungs, die ihnen schreiben. Sie lachen immer wieder, während sie auf dem Minibildschirm etwas lesen. Sie reden nicht miteinander.
Daneben ein einzelner Herr, Mitte 50. Er kommt mir bekannt vor. Ich habe ihn vielleicht schon mal auf Facebook oder Google+ gesehen. Oder es ist nur eine Ähnlichkeit. Er hat ein sehr kleines Smartphone, das in seinen großen Händen fast lächerlich wirkt. Er sitzt nach vorne gebeugt, das Kinn nahezu auf der Brust, um den Gleitsichteffekt seiner Brille besser ausnutzen und um besser lesen zu können. Er tippt hier und da sehr langsam mit spitzem Zeigefinger etwas ein, denkt nach, guckt nochmal genau, was dort steht, meist mit gerunzelter Stirn. Dann tippt er wieder etwas.
Und ganz links an zwei Tischen drei Männer, einer über 40, die anderen beiden um die 30. Der 40jährige sitzt direkt am Fenster, wenig Haare, einen größeren Tabletcomputer vor sich. Neben ihm ein sehr gedrungender 30jähriger, zwei Leder-Etuis, mit denen er geradezu jongliert. Ich kann nicht sehen, ob in beiden Smartphones sind, jedenfalls starren beide Männer gebannt auf ihren kleinen und ihren großen Bildschirm. Der dritte sitzt mit dem Rücken zu uns. Er redet viel, lacht dabei, er spricht die beiden ständig an. Sie blicken nur selten hoch und antworten einsilbig, er stört sie in ihrem Verschmelzen mit der anderen, schöneren Welt. Sie tun eigentlich nur so, als hörten sie ihm zu. Er ist lebenslustig. Er hat weder Handy noch Tablet. Er lächelt. Er sitzt locker aber gerade auf seinem Stuhl.
Auf der anderen Seite des Raumes zwei kleine runde Sitzgruppen. Zwei vielleicht 16jährige Mädchen direkt neben unserem Tisch. Türkinnen, stark geschminkt. Die Handys liegen vor ihnen auf dem Tisch. Sie trinken Kaffee, reden kaum miteinander. Hin und wieder hebt eine ihr Handy hoch und guckt auf den Bildschirm. Was sie sieht, ändert nicht ihren Gesichtsausdruck. Sie legt es danach weg, ohne die andere anzusehen.
Ganz hinten rechts, ein Ehepaar, Mitte/Ende 50 etwa. Sie wirken, als wären sie schon ewig zusammen. Er hat sein Handy wie einen Zwergenlaptop schräg vor sich hingestellt. Er tippt permanent mit den beiden Zeigefingern. Sie hält ihres in der Hand, scrollt intensiv, liest, tippt. Sie reden nicht.
Ich lasse den Blick nochmal schweifen: Keiner raucht in diesem Augenblick, obwohl es ein voll besetzter Raucherraum ist. Keiner sieht hoch, keiner sitzt aufrecht. Und gerade jetzt in diesem Augenblick redet kein einziger. Es ist still im Aquarium. Sie blicken in kleine Schlüssellöcher zu anderen Welten, die ihnen große Versprechungen machen. Das wirkt etwas gespenstisch-autistisch.
Ich selbst beende dieses Kapitel, indem ich diesen Satz zuende tippe und meinen Laptop schließe.