Was passiert, wenn sich ein australisches Theaterensemble an die Holocaust-Thematik wagt? Dann protestieren indische Gruppen gleich über drei Kontinente hinweg. Während der Europapremiere bei den Wiener Festwochen überraschte das Back to Back Theatre mit ihrem ungewöhnlichen Stück „Ganesh Versus the Third Reich“ nun auch das deutschsprachige Publikum.
Im Raum stehen vier Stühle und zwei Tische. Von den Decken hängen wie Gardinen zusammengeschobene Plastikfolien im Überformat. Der Hintergrund ist schwarz. Nichts Neues im Alpenland, solche reduzierten Bühnenwelten ist man vom gegenwärtigen europäischen Theater gewöhnt. Aber das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Denn das Ensemble aus dem kleinen australischen Ort Geelong feiert nicht umsonst seit 25 Jahren weltweit Erfolge.
Der indische Gott Ganesh auf Reisen ins Nazi-Deutschland
Im Vordergrund steht die Geschichte des indischen Gottes Ganesh, der sich auf die Reise ins Nazi-Deutschland macht, um Hitler die Swastika, das traditionelle Glücksymbol der Hindus, zu entreißen. Ganesh wird von Brian Tilley gespielt, in bunter Pumphose und einem Elefantenkopf auf dem etwas beleibten Körper. Eine Darstellung, die bei indischen Communities nicht auf Wohlwollen gestoßen ist. Schon vor der Premiere wurden auf Facebook weltweit Proteste und Boykottaufrufe laut. Das Back to Back Theatre nahm es sportlich: Man tauschte sich mit Vertretern der hinduistischen Gruppen aus, zog Berater hinzu.
Simon Laherty, der geistig behinderte Schauspieler als Adolf Hitler
In Österreich hielt das Publikum eher die Luft an, als der geistig behinderte Simon Laherty selbstbewusst als Hitler auf die Bühne tritt, obwohl er erst wenige Minuten vorher noch einen jüdischen KZ-Häftling spielte und seine Deutschkenntnisse so rudimentär sind, dass man mit Übertiteln arbeitet. Alle Schauspieler wären unter dem Hitler-Regime vermutlich als wertlos betrachtet und hingerichtet worden.
Übertitel in Sanskrit, Englisch und Deutsch
Die Übertitel, die bei dem dreisprachigen Stück in Sanskrit, Englisch und Deutsch eingesetzt werden, sind weit mehr, als ein praktisches Instrument, erklärt David Wood, der einzige Darsteller ohne Behinderung, nach der Show. „Die Übertitel sind ein Statement der Theatergruppe. Denn durch die Behinderungen sind einige Schauspieler nur sehr schlecht zu verstehen. Durch den konsequenten Einsatz von Übertiteln werden alle gleichermaßen verständlich, egal, in welcher Sprache sie gerade sprechen.“
Bruce Gladwin über das integrative Ensemble
„Ganesh Versus the Third Reich“ ist von der Gruppe gemeinsam entwickelt worden. Bruce Gladwin, dem die künstlerische Leitung des Back to Back Theaters untersteht, nennt es sogar autobiografisch. Er ist bereits der vierte Regisseur, der mit dem integrativen Ensemble arbeitet. Die festen Ensemble-Mitglieder leben mit geistigen Behinderungen – Autismus, Tourette- oder Downsyndrom. Und darum geht es an diesem Abend mitten im schicken Museumsquartier, in dem sich draußen in der lauen Frühlingsnacht die Wiener Schickeria zuprostet. Anderssein.
Christoph Schlingensief lässt grüßen: Behinderung aggressiv angegangen
Die Geschichte von Ganesh ist eigentlich bloß das Vehikel für das Stück im Stück. In abwechselnden Szenen beobachtet das Publikum nämlich eine Theatergruppe mit geistig behinderten Schauspielern bei den Proben zu „Ganesh Versus the Third Reich“. Es wird heiß diskutiert, über die Qualität des Stücks, die intellektuelle Fähigkeit einzelner und über die faire Rollenverteilung: „Du kannst ja ein Hindernis spielen.“ Das häufig tabuisierte Thema Behinderung wird offensiv bis aggressiv, aber auch mit einer entspannten Leichtigkeit und einer Portion schwarzen Humors angegangen. Zeitweise kommen Erinnerungen an die Arbeit Christoph Schlingensiefs hoch, wenn der Regisseur der fiktiven Theatergruppe einem noch fiktiveren Publikum zuruft: „Worüber lacht Ihr jetzt? Über eine Freakshow!“
Improvisations-Theater: Märchen oder „Freakshow“?
Weite Teile des Skripts sind durch Improvisation entstanden. In den Proben des Back to Back Theaters haben die Schauspieler Szenen frei improvisiert. Die Ergebnisse wurden transkribiert, so dass die Aufführung zwar einem Text folgt, aber authentisch und spontan wirkt. Realität und Fiktion verschwimmen dadurch im Laufe des Stückes zunehmend. Lediglich die visuell spektakulären Bühnenbilder, die mit den anfänglich so unscheinbar wirkenden Plastikfolien erzielt werden, machen deutlich, dass zumindest der Ganesh-Strang ein Märchen ist.
Bizarr, explosiv, politisch: Eine imaginäre Theater-Reise
Auf die Frage hin, welche Botschaft die Gruppe dem Publikum vermitteln möchte, antwortet der Gastdarsteller David Woods: „Ich möchte einen Raum voll Menschen und auf eine imaginäre Reise mitnehmen.“ Das ist dem Ensemble sicherlich gelungen. Die Reise ist bizarr, explosiv, politisch und anrührend. Zu Recht wurde die Europapremiere daher mit Standing Ovations aufgenommen. Da muss also erst eine australische Theatergruppe kommen, um dem deutschsprachigen Theater zu beweisen, dass man ruhig auch mal bei Tabuthemen den Finger in die Wunde legen, aber gleichzeitig grandiose Unterhaltung auf die Bühne bringen kann. „Ganesh Versus the Third Reich“ ist im September in Rotterdam zu sehen. Geplant sind Gastspiele in Deutschland in 2013.