Am vergangenen Freitag war Japan von Erdbeben heimgesucht worden. Heute Morgen, 6:46 Uhr unserer Zeit (in Japan 14:45 Uhr Ortszeit), folgte ein wesentlich stärkeres Beben mit nachfolgendem Tsunami.
Es wurden weitere Tsunami-Warnungen an die gesamte Pazifik-Küstenregion ausgegeben, speziell an Länder wie Russland, Taiwan, die Phillippinen und die pazifische Inselgruppe der Marianen. Auch Neuseeland, Australien und die Westküste der USA sowie Peru und Ecuador könnten bald betroffen sein. Man mutmaßt, dass sich die Welle schwächer auch in den indischen Ozean fortpflanzen könnte. Inzwischen sind an den Küsten Russlands und auf Hawai zehntausende Menschen evakuiert worden. In Japan selbst gab es seit dem Morgen mehr als 80 Nachbeben.
Bebenstärke: 8,9 auf der Richterskala
Japan liegt in der pazifischen Erdbeben-Region, dem sogenannten „pazifischen Feuerring“. Dort stoßen vier tektonische Platten aneinander, weshalb es nicht Wunder nimmt, dass in dieser Region weltweit die meisten Beben gemessen werden. Der Tsunami im Nord-Osten Japans verlief auf einer Breite von 150 Kilometern. Das Beben hat eine Stärke von 8,9 auf der nach oben offenen Richter-Skala erreicht, sein Epi-Zentrum lag in 10 km Tiefe – 80 km von der Küste entfernt. Das ist etwa 400 km von der Hauptstadt Tokio entfernt, wo es aber auch gehörig gewackelt hat. Das Beben ist damit eines der stärksten, seit es seismische Messungen gibt. Dabei soll die Flutwelle 4-10m hoch gewesen sein. Auch im erdbebengewohnten Japan hatte die Stärke des Bebens historische Ausmaße erreicht. Wohl noch nie war Japan von einem Tsunami auf seiner gesamten geografischen Breite getroffen worden. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, gab es innerhalb einer Stunde wohl sogar vier unterschiedliche Erdbeben, so in der Nähe Tokios eines in der Stärke von 7 auf der Richterskala.
Neu ist nicht nur die Stärke und Dauer des Bebens
Neu war auch die Berichterstattung: Die Nachrichten-Agentur Reuters hat aus Helikoptern die Katastrophe gefilmt und der Welt zunächst über CNN gezeigt, wie interessant das Schreckliche aus der Luft aussieht. Nie war man bei einer Natur-Katastrophe bildhaft dem Schrecken so nah. Wie Schmeißfliegen kreisen die medialen Drohnen über dem Leid und liefern epische Bilder in die Welt. Dabei sieht man, wie das Wasser alle Insignien des Wohlstands mit sich reisst. Genau genommen sieht man aus der Luft gar kein Wasser sondern nur Abfälle, Holz- und Häuserteile, havarierte Schiffe, Autos, Schutt, Geröll und vieles Andere – und es scheint, als wolle die Naturgewalt alle den Müll, den sie produziert, der Inustrie-Nation entgegenschleudern. Dabei ist der Schrecken nur mittelbar: Man sieht zwar, wie die gewaltigen Wassermassen sogar große Container-Schiffe und brennede Häuser mit sich übers Land ziehen, man sieht aber aus dieser Entfernung keinen einzigen Menschen. Die japanischen Medien zeigen ebenfalls nur gefilterte – sprich: zensierte – Bilder, um eine Panik zu vermeiden. Erst später sieht man beispielsweise bei uns Bilder von Menschen auf den Dächern von Häusern oder aus Fenstern nach Rettung winken. Diese Bilder sind in Japan nicht zu sehen.
Brennendes Atomkraftwerk: Atomarer Notstand ausgerufen
Noch spricht man nur von vergleichsweise wenig Toten aber die Lage ist so kurz nach der Katastrophe nicht verlässlich einschätzbar, auch weil wohl viele Menschen verschüttet sind und einen vollständigen Überblick zur Zeit niemand haben kann. Inzwischen sind mehrere Hundert Tote gezählt worden. Das wird aber nur der Anfang sein. Mehrere Atomkraftwerke, die an der Küste stehen, haben sich abgeschaltet. Im Kraftwerk Onagawa ist ein Brand an einem Turbinen-Gebäude ausgebrochen, beim Fukushima-Kraftwerk ist das Kühl-System ausgefallen. Die Regierung hat wegen Onagawa den atomaren Notstand ausgerufen – was normalerweise nur in Kraft tritt, wenn Radioaktivität austritt. Von offizieller Seite heißt es im Moment aber, man habe das Turbinen-Gebäude vom Reaktorblock abgetrennt und das Feuer gelöscht. Dort sind 2.000 Anwohner evakuiert worden. Probleme können auftreten, wenn die Brennstäbe des abgeschalteten Atomkraftwerkes Fukushima nicht mehr gekühlt werden können. Im Moment läuft das Kraftwerk auf Batterie, Kühlaggregate werden herbeigeschafft. Können die Brennstäbe nicht schnell genug gekühlt werden, droht die Kernschmelze. 3.000 Anwohner wurden aus dem Einzugsgebiet der Fukushima-Reaktoren bereits evakuiert. Im Moment scheint die Situation auf des Messers Schneide zu stehen: Man versucht im Reaktor Fukushima fieberhaft den Wettlauf gegen die Überhitzung der Brennstäbe zu gewinnen. Das atomhörige Japan bekommt in diesen Stunden die Quittung für seinen ungehemmten Fortschrittsglauben, der auf der vergleichsweise kleinen Inselgruppe zur Inbetriebnahme von insgesamt 54 Reaktoren geführt hat. Wie diese Situation auch ausgehen mag, sie hat gezeigt, wie unkalkulierbar Kernenergie ist. Die Reporter und Fachleute im Fernsehen sprechen bereits in sachlichem Ton über die Auswirkungen eines Super-GAU.
Großer Schaden: Beschädigte Infrastruktur
Es gibt außerdem zahlreiche Infrastruktur-Probleme: Neben den Energieversorgungs-Problemen, sind die Handynetze zusammengebrochen, zahlreiche Flüge sind gestrichen, kein Zug fährt mehr und eine Raffinerie sowie Gaswerke stehen in Brand. Insgesamt soll es landesweit etwa 100 Brände geben – zum Teil auch in Tokio. Stand 20:10 Uhr: Es kommt eine neue Meldung über ein schweres Beben der Stärke 6,6.
Wirtschaftliche Folgen des Tsunamis
Der Sachschaden ist schon jetzt gigantisch. Der Yen ist dementsprechend abgestürzt, auch die Börse wird reagieren – und schon spekuliert man über die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Man rechnet auch für die nächsten Wochen mit starken Nachbeben. Den gesamten Schaden der Naturkatastrophe wird man aber erst vor Augen haben, wenn klar ist, wie stark andere Länder betroffen sind. In den USA geht jedenfalls die Angst vor einer neuen Weltwirtschaftskrise um, sollte der Handelspartner zu sehr in Mitleidenschaft gezogen sein.