In die zurückliegenden Affären war Karl-Theodor zu Guttenberg auch deshalb verwickelt, weil er, je nachdem wie man es sieht, entweder extrem wankelmütig oder extrem flexibel war. Immer wollte er auf Gedeih und Verderb an dem festhalten, was in der öffentlichen Wahrnehmung seinem positiven Image entspricht – ein episches Theaterstück in vier Akten.
Ausgangspunkt der ersten Affäre, der sogenannten „Kundus-Affäre“ war der Raub deutscher Tanklastzüge in Afghanistan durch die Taliban gewesen. Die Tanklastzüge wurden später auf Geheiß der Bundeswehr von einem US-Kampfjet bombadiert, wobei neben den Taliban auch etliche Zivilisten ihr Leben verloren. Zur Affäre für zu Guttenberg wurden die Ereignisse unter anderem, weil er offenbar von politischer Eitelkeit geblendet in den Medien gut dastehen wollte.
Akt 1: Die Kundus-Affäre der Minister Jung und zu Guttenberg
Die Bombardierung hatte am 4. September 2009 stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war der CDU-Politiker Franz Josef Jung noch Verteidigungsminister. Es war zunächst die Frage, ob und – wenn ja – wieviele Zivilisten bei der Bombardierung zu Tode gekommen waren. Die Mitteilungen und Sichtweisen zu diesem Zeitpunkt waren unterschiedlich. Zwei Wochen später kam eine afghanische Untersuchungs-Kommission zu dem Schluß, dass sich unter den Toten 69 Taliban und 30 Zivilisten befanden.
Ein Nato-Bericht, Entlassungen und ein wendiger zu Guttenberg
Als am 28. September 2009 Karl-Theodor zu Guttenberg Verteidigungsminister wurde, lag seinem Ministerium der geheime Nato-Untersuchungsbericht bereits vor. Dieser Bericht ist von seine Faktizität her das Referenzwerk für die Folgezeit in der Beurteilung der zurückliegenden Ereignisse. Wie sich später herausstellte, kam die Nato darin zu brisanten Einschätzungen. Unter anderem könnten demnach sogar 40 Zivilisten getötet worden sein, und es wird darin Kritik an Kommandeur Oberst Georg Klein geübt, der den Schlag befohlen hatte. Zur Affäre wuchsen sich die Geschehnisse in der Folge nicht nur wegen der toten Zivilisten, der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel, der katastrophalen Entscheidung aus sondern auch und immer mehr, weil sich Jung und zu Guttenberg als in verschiedenen Fragen als unwissend bezeichneten, um der Verantwortung und einer Verurteilung durch die Öffentlichkeit entgehen zu können. Am 29. Oktober 2009 wird Generalinspekteur Schneiderhan in Kenntnis des Nato-Berichts, der das Gegenteil schreibt, sagen, dass der Beschuß der gestohlenen Tanklastzüge „zum damaligen Zeitpunkt militärisch angemessen“ gewesen sei. Wie eine Woche vor ihm Generalinspekteur Schneiderhan hatte der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wissen lassen, dass die Luftschläge „ militärisch angemessen zu sehen“ seien. Er nennt als Grundlage seiner Bewertung, dass der Beschuss gerechtfertigt war, den Nato-Bericht, obwohl der doch zu anderen Einschätzungen kommt, was zu diesem Zeitpunkt die Öffentlichkeit nicht weiß, weil der Bericht geheim ist. Eine denkwürdige Parallele zur jetzigen Diskussion über die Erstellung und Autorenschaft der Doktorarbeit des Verteidigungsministers, bei der er unter Umständen ebenfalls wohl nicht gewußt hat, was im einzelnen drin steht und woher es kam.
Die Bild-Zeitung betritt das Geschehen
Weitere Brisanz erhielt die politische Bewertung der tatsächlichen Geschehnisse, als sich die „Bild“-Zeitung auf einen Bericht von Feldjägern vom 14. September berief, demnach die Bundesregierung inklusive ihrem damaligen Verteidigungsminister Jung schon vorher als behauptet von den zivilen Opfern gewußt haben mußte.
Politische Bewertungen: Von der Angemessenheit zur Nicht-Angemessenheit
Guttenberg, der gesagt hatte, der Angriff wäre gerechtfertigt gewesen, entließ schließlich Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert, weil sie ihm den Feldjägerbericht und andere Informationen nicht oder zu spät hätten zukommen lassen. Auch Jung, inzwischen Arbeitsminister, nahm seinen Hut. Gleichzeitig vollführte der neue Verteidigungsminister eine Kehrtwende: Er nannte den Kundus-Angriff nun „nicht angemessen“, obwohl er Kommandeur Klein bescheinigte, der habe an eine militärische „Angemessenheit“ geglaubt – wofür zu Guttenberg zudem Verständnis äußerte. Schneiderhahn und Wichert wurden später als die ersten „Bauernopfer“ zu Guttenbergs bezeichnet. Das Deutsche Rote Kreuz soll den Verteidigungsminister aber bereits am 6. November schriftlich darüber informiert haben, dass es viele zivile Opfer gegeben habe. Ein Widerspruch zur Aussage zu Guttenbergs, er sei erst später informiert worden.
Aussage vor dem Untersuchungsausschuß und Ende des ersten Aktes
Letztlich endet die Kundusaffäre für die interessierte Öffentlichkeit mit der Aussage zu Guttenbergs vor dem Kundus-Untersuchungs-Ausschuß, dass das Bombardement der Tanklastzüge „falsch“ gewesen sei. Zu Guttenbergs Einschätzung hat sich während der Zeit seit der Bombadierung um 180° gedreht. Er ist in seiner Bewertung der Ereignisse von einer Bestätigung einer richtigen militärischen Entscheidung über ein In-Zweifel-Ziehen bis hin zu einer negativen Bewertung vor dem Untersuchungsausschuß gewankelmütet. Inhaltlich bemerkenswert geschmeidig, handwerklich kommunikativ wendig und formal opportunistisch. Ist das die einzige Möglichkeit für einen Politiker, gerade wenn er über die Maßen eitel ist, um sein Gesicht zu wahren?
Akt 2: Die Gorch-Fock-Affäre des Ministers zu Guttenberg
Die komplexen Ereignisse, die gegenüber der Öffentlichkeit in Deutschland kaum transparent dargestellt werden konnten, hätten ein Lehrstück in Wahrhaftigkeit für den neuen Minister zu Guttenberg sein können. Doch bei der jüngsten Gorch-Fock-Affäre ging es ähnlich zu: Zu Guttenberg entließ Norbert Schatz, den Kapitän des Segelschulschiffs, ohne ihn vorher regelkonform zu befragen. Ein Opfer für die Öffentlichkeit, ein weiteres Bauernopfer für die Medien, um zu beweisen, dass er, der Verteidigungsminister, schnell entscheiden kann – und natürlich um von sich die Gafahr eines politischen Schwelbrandes abzuwenden, die so manche Politiker-Karriere beendet hat. Eine Art Flucht nach vorne, auch um etwas zu beweisen.
Akt 3: Die Plagiatsaffäre hinterläßt tiefe Spuren
Im dritten Akt steht die Doktorarbeit zu Guttenbergs im Mittelpunkt des Geschehens. Über deren Unwissenschaftlichkeit besteht kein Zweifel, ihre Autorenschaft wird konträr diskutiert und sie ist nur ein Baustein im widersprüchlichen kommunikativen Verhalten eines Mannes, der mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und nun alles dransetzt, um gut und dem entsprechend als Gewinner dazustehen. Dafür hat er nicht nur hehre ethische Grundsätze für sich und sein Handeln definiert und auf seiner Website kommuniziert, nein, er tut alles dafür, um dem Selbstbild zu entsprechen – ob es nun wahr und authentisch ist oder auch nicht. In der „Plagiats-Affäre“ mußte er auf seinen Doktortitel verzichten, noch bevor ihm heute die Doktorwürde aberkannt wurde, weil der Großteil seiner Arbeit aus nicht genannten Quellen zusammengeschrieben worden war. Erst reagierte der Verteidigungsminister mit aufgesetztem Unverständnis, dann lenkte er ein und entschuldigte sich. Aber diese Affäre ist unter Umständen noch nicht zu Ende. Sie bekommt durch die aktuelle Ankündigung der Universität Bayreuth, man werde nun in Sachen des Täuschungsversuches ermitteln, einen medialen Seitenarm. Dieser Vorgang kommt einer Überprüfung der Vorsätzlichkeit gleich. Sollte der Vorsatz erwiesen sein, wären die entschuldigenden Aussagen des Ministers, er wäre überlastet gewesen und hätte eher fahrlässig als vorsätzlich gehandelt, eine weitere Dimension.
Akt 4: Die Lebenslauf-Affäre oder Generation Praktikum
Der vorläufig letzte Akt im skizzierten Affären-Reigen ist, dass zu Guttenberg, der über praktisch kaum berufliche Praxis verfügt hatte und dennoch Wirtschaftminister geworden war (vermutlich weil er aus einem „guten Stall“ stammt) seinen Lebenslauf geschönt hat: Aus Praktikanten-Tätigkeiten hat er Arbeitsstellen gemacht. Schoppenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ stand wohl Pate. Warum der Aufwand? Es ging darum, den schönen politischen Schein zu wahren. Im Mediengewitter darf alles rauskommen, nur nicht die Wahrheit. Man muß sich das Verhältnis zwischen Politiker und öffentlicher Wahrnehmung wie eine Liebesbeziehung vorstellen. Wer kann in einer Beziehung schon die absolute Wahrheit sagen, ohne den anderen zu verletzen? Um nicht Ärger zu kriegen, versucht man drum herum zu reden: „Es ist nicht das, was Du denkst“ – und so macht das der Jung-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg auch. Als Fernziel hat er den Posten des Bundeskanzlers vor Augen. Nicht nur für ihn sondern auch für seine Partei, die CSU, eine neuartige Perspektive, war doch wohl noch nie ein CSU-Politiker nördlich Bayerns so beliebt. Um das Ziel zu erreichen, muß zu Guttenberg hoch pokern, alles in eine Waagschale legen und versuchen seine Fehler und seinen Lebenslauf auszugleichen (und ebenso, nicht größenwahnsinnig zu werden). Er hat versucht, sein Studium, das er bereits nach dem 1. Staatsexamten beendet hat ohne das 2. folgen zu lassen, durch die Erreichung der Doktorwürde aufzuwerten und mangelnde Berufserfahrung soll ausgeglichen werden, indem die paar Praktika im Lebenslauf zu echten Arbeitsstellen mutieren – etwas, das viele tun, was einen Politiker, der hoch hinaus will, aber in Bedrängnis bringt.
Zu Guttenberg, das Medien-Ereignis
Zu Guttenberg mit Kerner und Frau im Schlepptau in Afghanistan anstatt eines gut informierten Ministers – das scheint die Realität zu sein. Zu Guttenberg, das Medienereignis, ist das Pfund, mit dem der Verteidigungsminister weiter wuchern wird. Ob das reicht, um zu bestehen und weiterzukommen? Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vorgemacht, dass es geht. Für manche Politiker geht es nämlich nicht um den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit sondern um den Unterschied zwischen erwischt werden und nicht erwischt werden. Eine harte Probe für ein demokratisches Staatswesen und im Besonderen für eine Parteienlandschaft, die inzüchtig und händeringend politische Youngster sucht, um ihre eigene Zukunft zu sichern.
Kurzweilig und unterhaltsam: Politik im Medien-Zeitalter
Dafür scheint in diesem Fall die CDU/CSU viel in Kauf zu nehmen; denn zu Guttenberg, der Mann mit dem Label „volkstümlicher Adliger“ hat sich von Beginn an darum gekümmert, sich einen ihm genehmen Platz in der Polit-Arena zu sichern. Der gute Mensch, als den er sich verkauft, nutzt dafür unterschiedlichste Methoden: Er ist letztlich ein Wirtschaftsminister ohne die Wirtschaft aus eigener Anschauung zu kennen, ein Doktor, ohne wissenschaftlich zu arbeiten, ein Verantwortlicher ohne Verantwortung zu tragen, davon kündet eine schon stattliche Liste an Bauernopfern. Warum ist zu Guttenberg dennoch so beliebt? Er versöhnt AC/DC- mit Klassikfans, Demokratie mit Monarchie, Teenies mit Schwiegermüttern und spröde Politik mit dem rechten Maß an dramatischer Medialität – ob es um das harte Soldatenleben geht, um süßes Märchenvorlesen vor Kindern oder eben um spannende Affären, die schon mal das Dschungel-Camp blass aussehen lassen. Politik mit Unterhaltungsfaktor: Kriegsfilm („Afghanistan im Bombenhagel“), Komödie („Dr. Who in Bayreuth“), Seefahrergeschichte („Das harte Leben auf der Gorch Fock“) und Politkrimi („Die unerträgliche Leichtigkeit des Lebenslaufes“) – alles ist dabei. Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg kommt das Verdienst zu, die Nation zumindest nicht zu langweilen.