Bei Ereignissen, die man nicht bewältigen kann, neigt man zur Verdrängung und zu strategischem Denken. Da in Duisburg all das passiert ist, was nicht hätte passieren dürfen, handelt die Stadtverwaltung repräsentiert durch Oberbürgermeister Adolf Sauerland nach diesem Prinzip.
Zunächst war die erste Reaktion von Sauerland, dass er sich keiner persönlichen Schuld bewußt ist. Er hat sich selbst als Opfer stilisiert. Die Fakten, die ans Licht kamen und immer weiter ans Licht kommen, werfen kein gutes Licht auf das Event-Management der Stadt Duisburg als Aufsichtsbehörde. Zuletzt war beispielsweise darüber zu lesen, dass der LOveparade-Veranstalter Lopavent per Rechtsanwalt die Stadt nur ein paar Tage vor Veranstaltungs-Beginn aufgefordert hatte, die Loveparade stattfinden zu lassen. Ein Zeichen mehr, dass Vieles im Argen lag.
Die Unterschriften-Aktion zur Amtsenthebung des Oberbürgermeisters
Bis zum 20. August waren 10.000 Unterschriften zusammen gekommen, die eine Duisburger Bürgerinitiative der Stadtverwaltung übergeben hat. Es geht dabei darum, Oberbürgermeister Adolf Sauerland abzuberufen. 8.000 Unterschriften hätten für den Antrag genügt. Vier Monate kann sich die Stadtverwaltung zur Bearbeitung Zeit lassen. Die Parteien indes verhalten sich indifferent, eine Mehrheit für die Abwahl, die nur von SPD und FDP beführwortet wird, kommt zur Zeit immer noch nicht zusammen. In Duisburg scheint es keine funktionierende Opposition zu geben. „Bündnis90/Die Grünen“ zieht mit Oberbürgermeister Sauerland an einem Strang.
Die Verantwortlichen ohne Verantwortung
Noch immer drängt sich der Verdacht auf, dass die drei Hauptakteure, erstens die Stadtverwaltung Duisburg als Behörde, die für das Genehmigungs- und Überwachungsverfahren zuständig war, zweitens der Veranstalter Lopavent mit seinen Sicherheitskräften und drittens die Polizei, die insbesondere die Menschen-Zuflüsse zu regeln hatte, den schwarzen Peter weiterreichen wollen. Deshalb dreht sich alles so schön im Kreis. Man kann davon ausgehen, dass weiterhin mit harten Bandagen gearbeitet wird. Sollte der Oberbürgermeister doch zurücktreten, vielleicht noch vor der Ratssitzung am 6. September, bei der die Geschehnisse rund um die Loveparade thematisiert werden, würde er sicherlich für vieles verantwortlich gemacht, selbst wenn er persönlich keine Schuld tragen sollte. Sollten andererseits die Analyse des Innenministeriums bzw. die Ermittlungen der Duisburger Staatsanwaltschaft das Genehmigungs-Verfahren für Rechtens befinden, könnte seine Rechnung des Aussitzens doch noch aufgehen. Der OB will offenbar keinesfalls übergeordnet die politische Verantwortung übernehmen, was ihm praktisch von der Bundeskanzlerin über den Bundespräsidenten bis zur Ministerpräsidentin von NRW alle nahegelegt haben, sondern nur verantwortlich sein, wenn man ihm etwas nachweisen kann. Was ist das denn für eine politische Kultur? Bis zum 2. September will die Stadt einen sogenannten Abschlußbericht vorlegen, in dem sie analysiert, inwieweit sie Schuld trifft.
Bringen die Razzien neue Erkenntnisse?
Wie vorgestern herauskam, hatte die Staatsanwaltschaft Duisburg Anfang der zurückliegenden Woche Büros von Lopavent-Geschäftsführer Rainer Schaller in Duisburg, Essen, Köln und Berlin sowie Taufkirchen und Schlüsselfeld in Bayern sowie die zweier Sicherheits-Dienstleister durchsuchen lassen. Es ging im weitesten Sinne um die Sicherheits-Situation bei der Loveparade, um deren Organisation, die Auftrags-Vergabe und die Mitarbeiter.
Alle haben vor der Loveparade gewarnt, warum fand sie trotzdem statt?
Ansonsten: Jeder schiebt es auf den anderen, keiner ist es gewesen – auch wenn das Feuer der Beschuldigungen zwischenzeitlich etwas erloschen war. Was sich immer mehr und in immer neuen Facetten abzeichnet, ist, dass der Druck, die Loveparade trotz aller Widrigkeiten doch noch stattfinden zu lassen, hoch war. Aktuell wird gemutmaßt, die Landesregierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers habe Druck ausgeübt, dass die Loveparade trotz des Chaos‘ stattfinden kann. Was auch auffällig ist: Eigentlich alle, die mit am runden Tisch für die Genehmigung und Organisation der Loveparade gesessen hatten, haben gewarnt und Bedenken vorgetragen, die Loveparade wie geplant stattfinden zu lassen, weil wohl klar war, dass Sicherheits-Standarts nicht erfüllt waren. Das sagen die Polizei, die Feuerwehr und auch bei der Stadt gab es kritische Stimmen – letztlich wurde die Veranstaltung doch durchgeführt und 21 Menschen kamen zu Tode. Warum? Wollte es die große Politik auf Landesebene, puschten es die Medien zu sehr oder der Vorstand des Projektes „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ und/oder der Duisburger Oberbürgermeister? Immer noch viele Fragen ohne Antworten.
Zur weiteren Information:
Hier kann man die kompletten Planungsunterlagen zur Loveparade bei Wikileaks als ZIP-Datei herunterladen.
Am Rande
Am 7. Oktober liesst Silvia Kaffke in Duisburg aus ihrem Duisburg-Krimi „Das dunkle Netz der Lügen“. Auch wenn das Buch mit den Loveparade-Ereignissen rein gar nichts zu tun hat, könnte der Titel symbolisch passen, und der Ort stimmt auch.
2 Responses to “Strategien nach der Loveparade: Warnungen, deutschlandweite Razzien und ein Abwahlantrag”
[…] Rathaus geführt, bei der weitere Unterlagen sichergestellt worden sind. Lange vorher hatte es diverse Razzien in den Büros des Loveparade-Veranstalters Lopavent […]
Die Medien…?